Kritik zu Quartett
Das Regiedebüt von Dustin Hoffman wurde angeregt durch Daniel Schmids »Der Kuss der Tosca« und wirft die Frage auf: Warum eigentlich lassen sich Spielfilmregisseure nicht häufiger von Dokumentarfilmen inspirieren?
Die Ehe von Jean und Reginald dauerte gerade mal neun Stunden. Aber es kostete sie Jahrzehnte, diese Episode zu verwinden. Der leicht kränkbare Pedant Reginald ertappte damals seine Braut Jean bei einem beiläufigen Seitensprung, den er ihr nie verzieh. Fortan widmete sich der Opernsänger ganz der Kunst und sah aus der Ferne zu, wie Jean zu einer gefeierten Diva wurde. War das vergeudete Lebenszeit? Cissy und Wilf haben andere Wege gefunden, mit dieser hauszuhalten. Cissy ist mit den Jahren senil geworden. Die unmittelbare Gegenwart entgleitet ihr, während das uneinholbar Vergangene für sie beharrlich präsent ist. Dem Schwerenöter Wilf wiederum genügt es nicht, in Erinnerungen an einstige Sinnenfreuden zu schwelgen. Er wird auch im Alter nicht müde, die Witterung der Frauen aufzunehmen.
Wie das Kino das Altern darstellt, ist letzthin zu einer Frage der Arithmetik geworden: Steht eine Figur im Zentrum, ist der Tonfall meist dramatisch, sind hingegen mehr als zwei Protagonisten im Seniorenalter, geht es munter und komödiantisch zu. Mit vereinten Kräften lassen sich Gebrechlichkeit und Verzagtheit leichter meistern. Man ist einander eine heitere Stütze. Vergesslich zu sein, ist keine Schande, sondern ein Running Gag.
So hält es auch das Figurenquartett aus Ronald Harwoods gleichnamigem Bühnenstück. Als Bewohner von Beecham House, einer Seniorenresidenz für Musiker, bringen sie ihren Lebensabend in Würde und staunenswertem Komfort zu. Wehmut und Turbulenz halten sich hier schön die Waage. Harwood scheut nicht vor Stereotypen zurück. Natürlich pflegen die alten Künstler noch immer Eitelkeiten und Rivalitäten. Allerdings spielt Billy Connolly den unverdrossenen Satyr Wilf mit sichtbarem Vergnügen und darf Pauline Collins zeigen, dass Cissy trotzt ihrer Verwirrung das Talent zum Glücklichsein besitzt. Zu dramatischen Komplikationen kommt es erst, als Jean (Maggie Smith, die zu boshafter Schlagfertigkeit wohl selbst im Tiefschlaf fähig wäre) einzieht und Reginald (Tom Courtenay) wiederbegegnet. Wird sie einwilligen, zusammen mit ihren alten Kameraden noch einmal das berühmte Quartett aus dem dritten Akt von Verdis »Rigoletto« zu singen?
Als Drehbuchautor von »Oliver Twist«, »Der Pianist« und »Schmetterling und Taucherglocke« hat sich Harwood als ein trotziger Optimist der Biografien erwiesen, die über ein grausames Geschick triumphieren. Meist spenden dabei die Künste die Kraft zum spirituellen Überleben. Wie zärtlich und respektvoll Dustin Hoffman sich in seinem Regiedebüt dem »dritten Alter« nähert, führt bereits die Exposition vor. In das kleine Universum von Beecham House führt er uns ein mit Impressionen eines Konzertes. Elegant montiert er Großaufnahmen der Hände der Musizierenden, an denen gleichermaßen Altersflecken wie Agilität ins Auge fallen. In behändem Tempo erzählt er von der Kontinuität in Künstlerleben. Wir machen hier, was wir immer taten, erklärt Reginald Jean den Tagesablauf in Beecham House. Das ist einerseits ermutigend. Zugleich verwehrt Harwood seinen Figuren jedoch eine Entwicklung. Läge dies an ihrem Alter, wäre es herablassend.
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