Apple TV+: »The Gorge«
Scharfschütz*innen und Profikiller*innen haben dieser Tage Hochkonjunktur, doch die Art und Weise, wie von ihnen erzählt wird, variiert gewaltig. Das Spektrum reicht von bodenständigen Hightech-Thrillern wie »The Day of the Jackal« bis zu satirisch Überhöhtem à la »Black Doves« und wird nun mit dem Film »The Gorge« um ein weiteres Genre-Experiment ergänzt.
Zunächst beginnt die erste Regiearbeit von Scott Derrickson seit dem Horrorthriller »The Black Phone« von 2021 noch einigermaßen realistisch. Levi (Miles Teller) war einst einer der besten Schützen beim US-Militär und ist inzwischen als Ein-Mann-Unternehmen anheuerbar von jedem, der einen Mann mit Präzisionsgewehr braucht. Und sei es auch der ehemalige Arbeitgeber, etwa in Gestalt einer schwer durchschaubaren Agentin namens Bartholomew (Sigourney Weaver), die den jungen Mann gleich für ein ganzes Jahr engagiert und prompt auf eine schwer geheime Mission schickt.
Ohne zu wissen, wo auf der Welt er sich befindet, wird Levi am Fuße einer Schlucht abgesetzt, wo sein Vorgänger (Sope Dirisu) ihn bei der Übergabe in seine Aufgaben einweist. Einen einsamen Beton-Wachturm soll er bemannen, alle 30 Tage per Funk ein Lebenszeichen geben und ansonsten allzeit schussbereit sein. Nicht zu verhindern, dass jemand sich in die Schlucht begibt, ist das Ziel, sondern dass etwas von dort nach oben kommt
Kontakt zur Person, die auf der anderen Seite im Ost-Turm ähnliche Anweisungen hat, ist strikt untersagt. Doch dort ist Drasa (Anya Taylor-Joy) genauso einsam wie Levi, und so knüpfen die beiden über die Monate mit Hilfe von Ferngläsern, Rockmusik und Texttafeln verbotenerweise zarte Bande. Eines Tages allerdings kommt es zu einem tragischen Unglück, und nicht nur die junge Liebe der beiden wird auf die Probe gestellt, sondern auch der Horror des mutmaßlichen Höllenschlundes muss in Bann gehalten werden.
Neue Geschichten, die nicht auf bewährten Vorlagen basieren und obendrein erzählerisch auf eine verblüffende Mischung verschiedenster Elemente setzen, muss man heutzutage mit der Lupe suchen. Was das angeht, gilt es also, Derrickson und seinem Drehbuchautor Zach Dean (»The Tomorrow War«) unbedingt Respekt zu zollen. Und trotzdem lässt einen diese Kombination aus übernatürlichem Gruselhorror, Militär-Action auf der Basis alter Ost-West-Gegensätze und naiv-romantischer Liebesgeschichte, in der Lyrik von T. S. Eliot genauso Platz hat wie »Blitzkrieg Bop« von den Ramones, am Ende doch ein wenig ratlos zurück.
Dass man über die Figuren letztlich zu wenig erfährt, als dass die Paar-Geschichte interessant werden würde, ist ebenso sehr ein Problem wie die Tatsache, dass der Kampf gegen die dunklen Mächte aus der Schlucht selten wirklich spannend ist. Aber fast noch schwerer wiegt es, dass »The Gorge« – wie so viele Fantasyfilme dieser Tage – zwischen den computergenerierten Landschaften und den unnötig dunkel gehaltenen Studioaufnahmen einfach enorm hässlich anzusehen ist.
In all dem schlagen sich immerhin die Stars im Zentrum wacker. Teller und vor allem Taylor-Joy bringen fast immer genug Charisma mit, um auch schwächerem Material ein wenig Glanz zu verleihen. Nicht zuletzt sie hat außerdem jüngst schon als »Furiosa« bewiesen, dass sie nicht viele Worte braucht, um ebendiese Leinwandpräsenz zu entfalten, was hier gerade im ersten Drittel nützlich ist, wo »The Gorge« eine Weile lang mit einer gewissen Freude wie eine Romcom sein meet cute-Szenario auf Distanz entfaltet. Dass die beiden, wie sie in Interviews berichten, auch privat miteinander befreundet sind, kommt ihrer Chemie zugute, wenn der gemeinsame Kampf gegen das Böse ansteht. Retten können sie den Film damit allerdings nicht.
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