Interview mit Scott Derrickson über seine Marvel-Verfilmung »Doctor Strange«
»Doctor Strange« (2016). © Marvel/Disney
Mr. Derrickson, wie kam der Kontakt zu Marvel Films zustande? Hat man Sie gefragt, ob Sie genau diesen einen Film inszenieren wollen?
Marvel gab bekannt, dass sie »Doctor Strange« machen wollten, und mein Agent fragte mich, ob ich interessiert sei. Bei Marvel erfuhr ich dann, dass es bei diesem Film mehr Interessenten für die Regie gab als bei jedem anderen, den sie bisher gemacht hatten. Ich war also ein Außenseiter. Aber bei unseren ersten Treffen lief es gut, auch wenn es insgesamt acht Meetings waren, bis ich den Job hatte.
Und wie haben Sie sie im Lauf dieser Meetings überzeugt, dass Sie der Richtige sind?
Am Anfang lief es schon ein wenig zähflüssig. Ich hörte mir ihre Vorstellungen an. Aber die gefielen mir, und so beschloss ich, mich vollkommen darauf einzulassen. Als Jugendlicher habe ich Marvel-Comics gelesen, bei »Doctor Strange« hatte ich den Eindruck, dass sei der einzige Comic, für den ich als Regisseur geeignet wäre. Ich kniete mich voll hinein, schrieb unaufgefordert eine zwölfseitige Szene (die jetzt im Film eine wichtige Rolle spielt), ich investierte eigenes Geld und engagierte Storyboard-Künstler, mit denen ich Concept-Art erstellte, und machte schließlich eine neunzigminütige Präsentation, in der ich umriss, wie ein »Doctor Strange«-Film aussehen sollte. Diese Leidenschaft und Bestimmtheit hat sich am Ende ausgezahlt. Ich spürte auch, dass Kevin Feige, der Chef der Marvel Film-Abteilung, respektierte, was ich zuvor gemacht hatte. Er sah die Verbindung zwischen meinen Horrorfilmen und »Doctor Strange«. Das waren ja Horrorfilme, die Darsteller ansprachen, die sonst nicht unbedingt in dem Genre arbeiten…
…wie Ethan Hawke in »Sinister«…
…oder auch Laura Linney und Tom Wilkinson. Ich arbeite gerne mit guten Darstellern, die ihre Charaktere glaubwürdig verkörpern und so das Drama real machen.
Wie weit waren Drehbuch und Besetzung schon gediehen, als Sie hinzukamen?
Da war noch nichts entschieden. Das einzige, was feststand, war die Entscheidung, dass man sich an den frühen »Doctor Strange«-Comics orientieren wollte. Alle späteren beinhalten zwar interessante Sachen, aber sie nehmen dabei Bezug auf die frühen. Die waren gewissermaßen unsere Bibel, darin stimmten wir überein. Über die Besetzung haben wir erst gesprochen, als wir eine erste Drehbuchfassung hatten.
Worin genau bestand für Sie die Faszination von »Doctor Strange«, als Sie ihn als Jugendlicher zum ersten Mal lasen?
Ich war ein seltsames Kind, nicht aufgewachsen in einem religiösen Zuhause, aber ich habe das Leben eher metaphysisch als physisch erfahren. Meine frühesten Erinnerungen sind angefüllt von der Überzeugung, dass die materielle Welt nicht alles ist, was es gibt – dass die wahre Natur der Realität vielmehr in dem liegt, das man nicht sieht. Ein Comic wie »Dr. Strange« war einzigartig – die anderen spielten in der alltäglichen Welt, wo ein Kind durch einen Spinnenbiss zu einem Superhelden wird, wo ein antiker Gott aus Asgard auf die Erde kommt, oder wo ein wissenschaftliches Experiment schief läuft. Dies war etwa anderes: ein normaler Mensch, der plötzlich entdeckt, dass die unsichtbare Welt größer ist als sie sichtbare. Ich war das Kind, das zu Halloween Spukhäuser baute, ich war besessen von dieser anderen Welt, die immer etwas Übernatürliches hatte – ich war nie derjenige, der sich für Serialkiller interessierte. »Doctor Strange« war gewissermaßen das erste übernatürliche Comicbook, für das ich mich begeisterte.
Wenn auch in »Ant-Man« schon einiges an philosophischem Gedankengut eine Rolle spielt, so markiert »Doctor Strange« doch eine ganz neue Ebene. Gab es bei der Vorbereitung je die Befürchtung, das Ganze könne über die Köpfe der Zuschauer hinweggehen, die Popcornkino erwarten?
Das ist der Punkt, wo ich Kevin Feige und den Marvel-Leuten höchstes Lob zollen muss, denn das ist genau das, was ich in den Film eingebracht habe - das reflektiert, wie ich die Welt sehe. Dagegen gab es nie Widerstand, sie begriffen, wo das herkam und sie haben mich genau dafür engagiert. Deswegen halte ich Kevin Feige für ein Genie, wenn es darum geht, Regisseure zu
engagieren. Niemand sonst in Hollywood hätte mir einen Film dieser Größenordnung anvertraut, hätte James Gunn verpflichtet für »Guardians of the Galaxy« oder die Brüder Russo für die »Captain America«-Filme. Er versteht, warum unsere Persönlichkeiten so gut zu diesen Filmen passen. Dabei habe ich nie versucht, das explizit auszudrücken, sonst wäre Propaganda dabei herausgekommen. Man muss sich vielmehr an dem Material abarbeiten. Ich bin an »Doctor Strange« eher als Student herangegangen – es war ein Prozess der Entdeckung mehr als ein Prozess des Ausdrucks.
Sie haben zuvor mehrfach für Blumhouse Productions gearbeitet, eine Produktionsgesellschaft, die bekannt ist für ihre ökonomisch limitierten Budgets. Ist der Unterschied so groß, wie es auf den ersten Blick scheint, oder gibt es für Sie Parallelen zwischen Jason Blum und Kevin Feige?
Jason ist kein kreativer Produzent – und das weiß er auch. Jason und Kevin haben aber beide die Fähigkeit, Talente zu entdecken. Jason jedoch formt die nicht, während Kevin das brillant handhabt: er ist bei der Entwicklung des Drehbuches dabei, sieht sich die Muster an und gibt dir ein Feedback dazu. Und vor allem im Schneideraum zeigt sich sein Talent: er schaut sich Schnittvarianten und sieht Fehler. Ich hatte es mir jedenfalls viel schwieriger vorgestellt in Anbetracht des Budgets.
Würden Sie sagen, dass das spirituelle Element es leichter macht, weil man nicht an Regeln gebunden ist – »alles ist möglich«?
Nein, man muss schon die Balance wahren, sonst endet es im Chaos. Von zentraler Bedeutung ist die Magie, denn je mehr ich die erkläre, desto weniger fühlt sie sich wie Magie an. Wir haben in Testvorführungen festgestellt, dass das Publikum nur gewisse Sachen wissen muss.
Gab es infolge dieser Testscreenings noch größere Änderungen?
Der Testscrening-Prozess bei Marvel ist etwas Besonderes, er läuft komplett inhouse ab, mit Freunden und Familien der Mitarbeiter. Man rekrutiert also nicht Fremde in Einkaufszentren, sondern hat kleine Gruppen von 50, 60 Personen. Es geht dabei ausschließlich darum Informationen zu bekommen, nicht um Bewertungen.
Könnten Sie Sich vorstellen, wieder einmal für Jason Blum zu arbeiten oder müsste der jetzt sagen, er kann Sie sich nicht mehr leisten?
Ich würde sofort wieder einen Low-Budget-Film mit ihm machen, das Budget ist nicht das Ausschlaggebende, sondern die Qualität.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns