Javier Bardem: Karriere mit Profil
Javier Bardem in »Der perfekte Chef« (2021). © Alamode Film
Ob als Bond-Bösewicht in »Skyfall«, als psychopathischer Killer in »No Country for Old Men« oder Wüstenkrieger im Science-Fiction-Blockbuster »Dune«: Längst gehört der Spanier Javier Bardem auch international zu den erfolgreichsten Filmstars. Eine Begegnung zum Start der Komödie »Der perfekte Chef«, die bei der Goya-Verleihung abgeräumt hat
Da steht er und kann nicht anders. Als Besitzer der nach ihm benannten Firma für Industriewaagen, Básculas Blanco, ist Julian Blanco nicht nur Chef, sondern in seinem Selbstverständnis auch eine Art Familienoberhaupt. Und als solches trägt er Verantwortung für seine Angestellten, gibt sich zugewandt und wohlwollend, zumal in seinen zahlreichen, gern ausufernden Ansprachen, muss aber auch unbequeme Entscheidungen treffen, »zum Wohl der Familie«.
Die Art, wie Javier Bardem diesen Patriarchen in Fernando León de Aranoas Unternehmenssatire »Der perfekte Chef« spielt, mit kleinsten Gesten zwischen jovial-väterlich und die Bürde des Amtes stemmend, zeigt den 52-jährigen Schauspieler in Reinkultur. Hier vereinen sich gleich mehrere der Talente und Faibles, die Bardem zu einem der global erfolgreichsten Kinostars Spaniens aufsteigen ließen: seine Fähigkeit zur Transformation, seine physische, nie gekünstelte Leinwandpräsenz, der Hang zu ambivalenten Charakteren, seine Entscheidungen für Filmprojekte, die Ambition und Breitenwirkung vereinen, und nicht zuletzt sein soziales Engagement, das sich oft in den Rollen niederschlägt.
Premiere feiert die Komödie vergangenen September beim Filmfest in San Sebastián, wo Bardem am Tag danach im Gespräch seine Herangehensweise an diese Figur erklärt, die leicht zur Karikatur hätte geraten können, und dabei Grundsätzliches über seine Arbeit verrät: »Mich interessieren seine Widersprüche; das ist ein Mann mit Licht und Schatten, den man so oder ähnlich nicht nur in Spanien findet. Ein Mann mit ein bisschen Macht, an der er um jeden Preis festhält.« Bardem nennt die Zusammenarbeit mit dem Regisseur eine »Komplizenschaft«, die auch schon bei ihrem ersten gemeinsamen Film vor zwanzig Jahren, der Arbeitslosenkomödie »Montags in der Sonne« bestand. »Beim Dreh gibt es ein Sicherheitsnetz mit Fernando, ein Grundvertrauen, ich kann sehr frei verschiedene Dinge ausprobieren, kann beim Spielen auch übers Ziel hinausschießen«, sagt Bardem, »weil ich weiß, dass er das Beste rausholen wird, nicht nur aus meiner Performance, sondern aus dem ganzen Ensemble. Ich kann mich von der Leine lassen, irgendetwas auf diesem breiten Spektrum wird gut sein und Fernando die richtige Dosis erkennen.«
Königsdisziplin Komödie
Dabei ist das Komödienfach gar nicht so das Seine, auch wenn er unvergessen amüsante Auftritte hatte, als malender Frauenheld in Woody Allens »Vicky Cristina Barcelona« mit seiner späteren Ehefrau Penélope Cruz etwa. »Es ist schwer, eine smarte, intelligente Komödie zu finden, die Relevanz und Gewicht hat und mehr beinhaltet als witzige Charaktere und Situationen«, sagt Bardem und spricht von der »Königsdisziplin«. »Jemanden zum Weinen zu bringen ist viel leichter. Das Drama eint uns, uns bereiten ähnliche Dinge Schmerzen. Aber was als witzig empfunden wird, ist in jeder Kultur anders.« Das A und O sei ein gutes Drehbuch. »Wenn das nicht stimmt, muss man ein großartiger Komödiant sein, um aus einer Situation etwas wirklich Komisches zu machen. Es gibt Leute, die können das. Ich gehöre nicht dazu.«
An dem Patriarchen in »Der perfekte Chef« habe ihn das Widersprüchliche gereizt: »Ich hatte so ziemlich jede Reaktion. Manches an ihm fand ich abstoßend, anderes bemitleidenswert, dann wieder hatte er etwas Witziges oder war sogar kurz sympathisch.« Er müsse einer Figur glauben, müsse verstehen, warum sie etwas tut, und schränkt gleich ein: »Was ich nicht muss, ist, wie diese Figur zu fühlen. Ich glaube nicht an Method-Acting. Für mich hat es mehr mit Vorstellungskraft zu tun. Was heißt es, dieser Mann zu sein, diese Fabrik zu besitzen und diese Macht über die Angestellten zu haben? Ich versuche, in der Situation etwas Körperliches zu triggern, statt wie die Figur zu empfinden. Ich kann in dem Moment das glatte Gegenteil fühlen, es ist Fantasiearbeit. Ich muss nicht mit meiner ganzen Persönlichkeit mit dieser Figur verschmelzen.«
Stattdessen gründet er seine Körpersprache bisweilen auf Tiere. Als Drogenkönig Escobar in »Loving Pablo« etwa waren es die Bewegungen eines Nilpferds, als psychotischer Killer in »No Country for Old Men« imitierte er einen Hai. Diesmal sei ihm nichts Passendes eingefallen, grinst Bardem. »Hier hat es eher darüber funktioniert, sich den Raum anzueignen, den Abstand zu den Mitmenschen zu verringern, in die Intimsphäre anderer einzudringen. Julian ist sehr extrovertiert und sozial, zieht Menschen in seinen Bann, man will in seiner Nähe sein. Und wenn ich mir das verdeutliche, erinnert sich mein Körper, wie er in dieser Situation reagieren würde. Im Idealfall, manchmal klappt es auch nicht. Es ist ein ständiges Ausprobieren, ein physisches Spiel.«
Ein ganzer Kerl
Jemand, der derart mit seinem Körper arbeitet, das war Anfang der 90er Jahre neu, als der 21-jährige Bardem im spanischen Kino auftauchte. Ein Kerl wie ein Stier, kraftstrotzend, brodelnd, mit seinem markanten Gesicht nicht klassisch schön (die gebrochene Nase ist das Resultat eines Barbesuchs, bei dem ihm ein Unbekannter mit der Faust ins Gesicht schlug). Dabei ist er von Anfang an sehr geradeaus und präsent, sein Spiel wirkt nie wie Verstellen oder Behauptung. Sein Debüt gab er 1990 in Bigas Lunas krudem Erotikdrama »Lulu – Die Geschichte einer Frau« über die sexuelle Erweckung einer jungen Frau, einem Film, der damals schon schwierig war und nicht gut gealtert ist. Bardems bullig-schwitzige Präsenz machte Luna sich in zwei weiteren überhitzten Sexfarcen, »Jamón Jamón« und »Macho« (im Original bildlicher als »Huevos de oro« betitelt, Goldene Eier), bis zur Karikatur zunutze. Jugendsünden.
Zum Glück erkannte bald Pedro Almodóvar sein Potenzial und gab ihm eine erste kleine Rolle in »High Heels«, weitere sollten folgen, 1997 in »Live Flesh« etwa. Hier spielt Bardem einen Polizisten, der durch einen Schuss schwer verletzt wurde und querschnittsgelähmt an den Rollstuhl gefesselt ist. Selbst mit diesem eingeschränkten Radius und der brodelnden Wut fordert er in seinen wenigen Szenen volle Aufmerksamkeit. Früh zeigte er ein Faible für herausfordernde Rollen; im ETA-Drama »Deine Zeit läuft ab, Killer« spielte er 1994 einen Junkie – sein Auftritt blieb vielen nicht zuletzt wegen einer Szene in Erinnerung, in der er sich die Heroinspritze an den Hals setzt. 2000 besetzte ihn Julian Schnabel in seinem Drama »Before Night Falls« als kubanischen Dichter Reinaldo Arenas, der in seiner Heimat als Dissident und Homosexueller verfolgt wurde. Hier ist erstmals Bardems Talent zu beobachten, sich sehr exakt in reale Vorbilder zu transformieren, oft monatelang erarbeitet er sich durch intensive Recherche eine Figur, analysiert Archivaufnahmen bis ins Detail, trifft Zeitzeugen. Und spielt dann doch scheinbar so impulsiv, als wäre das Animalische, die Wut, nicht ganz zu bändigen. Dabei ist es Bardems Kunst, dem Publikum diesen Eindruck zu vermitteln und es davon zu überzeugen.
Brando ohne Manierismen
Die Aneignung realer Vorbilder ist eine Methode, die er 2004 mit Besessenheit perfektionierte, als ihn Alejandro Amenábar in »Das Meer« in mir, einem Film nach einer wahren Geschichte, als Ramón Sampredo besetzt. Den nach einem Badeunfall vom Hals abwärts gelähmten Seemann spielt er nicht bloß imitierend, er macht sich die Figur ganz zu eigen, lässt sie sehr ergreifend fassbar werden, auch wenn er reglos im Bett liegt und sich alles in der Mimik, den Augen abspielt.
Im weiteren Verlauf internationalisierte sich seine Karriere. Nach dem etwas staubigen Historienkünstlerdrama »Goyas Geister« von Miloš Forman wurden die Coen-Brüder auf ihn aufmerksam und besetzten ihn in »No Country for Old Men« als Serienkiller Anton Chigurh, ein unergründlicher Charakter, der allein durch seine physische Präsenz furchteinflößend wirkt. Der Auftritt brachte ihm 2008 den Oscar als bester Nebendarsteller ein.
Bardem etablierte ein Männerbild im Kino, das an den jungen Marlon Brando erinnert, nur ohne die Manierismen. Und ohne das Method-Acting. Eine Form rauer Maskulinität, die animalisch, unberechenbar und gefährlich wirkt und zugleich einen sensiblen, verletzlichen und intelligenten Kern erkennen lässt, selbst wenn er einen Brutalo oder Bösewicht spielt. Er verleiht seinen Antagonisten eine Komplexität jenseits viriler Klischees und schlechter Perücken.
Seitdem wechselt er scheinbar mühelos zwischen Hollywood und spanischem Kino, Blockbuster und Autorenfilm, vergleichbar allenfalls mit seinem Kollegen Antonio Banderas. Bardem drehte »Eat Pray Love« mit Julia Roberts, stand für Terrence Malicks »To the Wonder« vor der Kamera, erneut für Fernando León de Aranoa in »Loving Pablo« und im spanischsprachigen Debüt von Asghar Farhadi, »Offenes Geheimnis«. Seine Fangemeinde findet sich längst auch abseits des Arthouse-Kinos, dank Rollen wie die des fiesen Antagonisten und Ex-MI6-Agenten Raoul Silva im James-Bond-Film »Skyfall« von 2012, die ihm ein völlig neues Publikum erschloss. Schließlich konnte er den rachsüchtigen Piratenzombie im fünften Teil der Fluch der Karibik-Blockbusterreihe ebenso geben wie einen an Demenz erkrankten Schriftsteller im Schwarz-weiß-Kunstdrama »Wege des Lebens – The Roads Not Taken« von Sally Potter; sein Auftritt ist nicht selten das Beste am ganzen Film.
Geboren wurde Javier Ángel Encinas Bardem am 1. März 1969 auf der spanischen Insel Gran Canaria. Den spanischen Doppelnachnamen, der sich aus den jeweils ersten Nachnamen der Eltern zusammensetzt, kürzte er als Schauspieler schnell auf Bardem, nach seiner Mutter Pilar, und gab sich damit deutlich als Sproß einer Familiendynastie zu erkennen, die seit Generationen eng mit dem spanischen Kino verbunden ist. Seine im Juli vergangenen Jahres verstorbene Mutter war Schauspielerin, für das Drama »Nadie hablará de nosotras cuando haymamos muertos« (etwa: Niemand wird von uns sprechen, wenn wir tot sind) hatte sie 1996 den Goya als beste Nebendarstellerin erhalten. Auch ihre Eltern standen bereits vor der Kamera. Und ihr Bruder Juan Antonio Bardem zählt mit sozialkritischen Filmen wie »Der Tod eines Radfahrers« (1955) und »Die Hauptstraße« (1956) zu den wichtigsten spanischen Regisseuren der Nachkriegszeit; er war ein Vorreiter der »Neuen Welle«. Wegen seiner klaren Opposition wurde er während des Franco-Regimes mehrfach verhaftet, die Aufführung seiner Filme verboten.
Eine runde Persönlichkeit
Auch die beiden älteren Geschwister von Bardem standen immer wieder vor der Kamera, Carlos Bardem wurde für seine Rolle als kolumbianischer Bandenführer im Gefängnisdrama »Zelle 211 – Der Knastaufstand« (2009) mit dem Goya ausgezeichnet. Seine Schwester Mónica war in den 90er Jahren in einigen Filmen wie Almodóvars »Kika« (1993) zu sehen, bevor sie sich auf die Kochkunst verlegte. Ihr Barrestaurant mit dem klingenden Namen »Bardemcilla« im Madrider Szeneviertel Chueca war viele Jahre angesagter Treffpunkt, die Tapasgerichte sind nach Filmtiteln der illustren Verwandtschaft benannt. Die engen Familienbande sind auch auf der Leinwand immer wieder zu beobachten, wenn Bardems in diversen Konstellationen vor und hinter der Kamera zusammenarbeiten.
Die Tradition setzte Bardem selbst fort, seit 2010 ist er mit Penélope Cruz verheiratet, und das Label power couple, das ihnen in Schlagzeilen gern angeheftet wird, ist im Fall der beiden Oscarpreisträger und globalen Kinostars keineswegs übertrieben. Seit ihrer ersten Begegnung bei »Jamón Jamón« standen sie immer wieder gemeinsam vor der Kamera, für Woody Allen in »Vicky Cristina Barcelona« etwa, in »Loving Pablo« und »Offenes Geheimnis« oder in Ridley Scotts Thriller »The Counselor«. Bardem weiß seine Popularität auch für soziale und ökologische Belange zu nutzen. »Jeder von uns hat auf eine Art Einfluss, mehr oder weniger, und es kommt darauf, ihn richtig zu nutzen«, erklärt er. So setzt er sich für den Klimaschutz ein; mit seinem Bruder Carlos entstand 2019 der Dokumentarfilm »Sanctuary«, der sie bei ihrer Kampagne für ein Meeresschutzgebiet im Antarktischen Ozean begleitet.
Seine Anziehungskraft hat sich im Laufe der Jahre so noch verstärkt, nicht nur durch seine Schauspielpräsenz und kluge Auswahl ambivalenter Rollen, sondern mit dem Aufstieg zur globalen Filmikone auch durch seine Star-Persona. Nicht nur seine Filmauftritte, auch das gesellschaftliche Engagement, sein reflektiertes Auftreten und ein bemerkenswert skandalfreies Privatleben als Familienvater spiegeln sich in der Wahrnehmung des Kinopublikums unweigerlich wider.
So unterschiedlich und komplex seine Rollen sind, so zahlreich waren im Laufe der Jahre die Auszeichnungen als Schauspieler. Neben dem Oscar für »No Country for Old Men« hat Bardem siebenmal den spanischen Filmpreis Goya erhalten, zuletzt im Februar für »Der perfekte Chef«. Dazu kommen internationale Auszeichnungen für »Before Night Falls«, »Das Meer in mir« und »Biutiful«, zuletzt für das Showbiz-Biopic »Being the Ricardos«, in dem er zwar nicht optisch ähnlich, doch mit kraftstrotzendem Machismo überzeugend den kubanischen Ehemann der US-Komikerin Lucille Ball verkörperte. Weitere Filmpreise werden sicher folgen, auch wenn Bardems nächste Projekte eher aufs große Familienpublikum zielen, die Kinderbuchverfilmung »Lyle, Lyle, Crocodile« (geplant für Oktober) und Rob Marshalls Remake von Disneys »Kleine Meerjungfrau« im kommenden Jahr. Womit er sich vielleicht auch ganz junge Fans heranzieht.
Wer Javier Bardem dagegen gar nicht gern sieht, das ist er selbst. »Wenn ich im Kino sitze, bin ich immer enttäuscht. Weil ich besser sein will, immer. Und weil es dann zu spät ist«, sagt er. Die Schauspielerei sei ein Bedürfnis für ihn, »Berufung und Beruf gleichermaßen, ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt. Aber zu diesem Bedürfnis gehört nicht zwangsläufig, dass ich mir das danach anschauen muss«. Selbst bei einem Film wie »Der perfekte Chef«, von dem er an diesem Tag noch nicht wissen kann, dass er einmal bei der Goya-Verleihung abräumen wird, sei das schwer auszuhalten. »Auch wenn es im Dienst der Rolle ist, zeige ich Facetten von mir, auf die ich vielleicht nicht immer stolz bin. Es ist mir unangenehm, mich so zu sehen.«
Seine Karriere verfolgt er weiter auf beiden Seiten des Atlantiks, sein Lebensmittelpunkt aber ist Spanien, er hat sich mit seiner Familie in Madrid niedergelassen. Im Moment sei er recht zufrieden mit den Angeboten, sagt er. Und schränkt gleich wieder ein: »Es hängt immer ein großes Fragezeichen über mir, was passieren wird.« Er könne verstehen, warum Schauspielkolleg*innen hinter die Kamera wechseln, selbst schreiben und inszenieren wollen – weil man damit sein Schicksal ein bisschen mehr kontrollieren könne. »Ich bin noch nicht so weit. Und ich weiß gar nicht, ob ich jemals an diesen Punkt kommen werde. Ich bin sehr froh über die Möglichkeiten, die sich mir bieten. Dass ich hintereinander zwei so grundverschiedene Filme wie »Der perfekte Chef« und »Dune« machen kann.« Dann ein letztes Grübeln, bevor er aufsteht und im Hinausgehen sagt: »Keine Ahnung, was in zwei Jahren sein wird. Ein Tag nach dem anderen.«
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