Kritik zu Offenes Geheimnis
Asghar Farhadi wählt die spanische Wirtschaftskrise zum Hintergrund für ein mit kriminalistischem Spürsinn drapiertes Familiendrama
Keiner seiner bisherigen Filme hat sich so eingehend an Außenschauplätzen zugetragen. Diesmal lässt Asghar Farhadi das urbane Ambiente, das sein Kino prägt, entschieden hinter sich zurück. Die Kamera darf sich in die Beschaulichkeit eines Weinanbaugebiets in Kastilien versenken. Aber schwelgen soll sie nicht in der bukolischen Idylle. Das bestellte, fruchtbare Land wird alsbald eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen, zum Zankapfel zweier Familien werden. In Farhadis Kino geschieht nichts, das unbedacht wäre.
So kann auch »Offenes Geheimnis« nicht der luftige Film werden, der eingangs noch in Aussicht steht. Die entscheidenden, lebensverändernden Ereignisse spielen sich in Innenräumen ab. Laura (Penelope Cruz), die seit 16 Jahren in Argentinien lebt, kehrt zur Hochzeit ihrer jüngeren Schwester mit ihren zwei Kindern in die Heimat zurück. Ihren Mann Alejandro (Ricardo Darín) hindern wichtige Geschäfte daran, an der Feier teilzunehmen. Gleich nach der Ankunft trifft sie ihre Jugendliebe Paco (Javier Bardem) wieder, der mit der Lehrerin Bea (Bárbara Lennie) verheiratet ist und das Land, das sie ihm nach der Trennung zum Freundschaftspreis überließ, in ein florierendes Weingut verwandelt hat.
Die Hochzeit ist ein Freudenfest, das auch ein Stromausfall nicht trübt. Dann jedoch ist Lauras Tochter plötzlich verschwunden. Auf ihrem Bett liegen Zeitungsausschnitte, die von einer früheren Entführung berichten. Auf Lauras Handy geht, ebenso wie auf dem von Bea, eine Lösegeldforderung ein. Die Vorgehensweise der Entführer lässt auf professionelles Raffinement schließen. Rasch geraten die katalanischen Saisonarbeiter in Verdacht, die Paco zur Weinlese beschäftigt. Auch Beas Schulklasse, die die Feier gefilmt hat, könnte dahinter stecken. Aber der pensionierte Polizist, den Lauras Schwager zu Rate zieht, lenkt den Argwohn auf das unmittelbare Umfeld der Familie; zumal die Entführer um deren wirtschaftliche Situation wissen und um Geheimnisse, die beschwiegen, aber nie begraben wurden.
Wie in »Alles über Elly« führt das Verschwinden einer Figur zur Zerrüttung vermeintlich inniger Verwandtschaftsverhältnisse. Farhadis Drehbuch inspiriert sich an einem tatsächlichen Fall, von dem er während einer Spanienreise erfuhr. Es entspinnt sich ein für den iranischen Regisseur typischer Konflikt, den er umsichtig im iberischen Ambiente beheimatet. Die Wirtschaftskrise ist atmosphärisch und dramaturgisch eng eingebunden: Das Problem soll im Familienkreis gelöst werden, ohne Hilfe staatlicher Institutionen. Innerhalb weniger Tage brechen Konflikte hervor, die über Jahrzehnte gewachsen sind; unter strenger Beobachtung einer geschlossenen, dörflichen Gemeinschaft.
Das Ineinanandergreifen der Zahnräder der örtlichen Kirchturmuhr bildet den Auftakt dieser Verschmelzung von psychologischem Drama und Kriminalintrige: Farhadi ist ein Erzähler, der Wert legt auf die Lesbarkeit seines Stils. Die Mechanismen menschlichen Verhaltens und das Werk, das die Zeit an ihm verrichtet, sind seine thematischen Impulse. Die Dringlichkeit folgt freilich nicht den Geboten des Suspense. Das Intime, das in den Beichten der Charaktere zu Tage tritt, hat für ihn größeres Gewicht, als es die Konventionen des Thrillers gestatten.
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