Kritik zu The Bikeriders

© Universal Pictures

2023
Original-Titel: 
The Bikeriders
Filmstart in Deutschland: 
20.06.2024
L: 
116 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Acht Jahre sind vergangen, seit Jeff Nichols mit »Loving« und »Midnight Special« zu einem ­bravourösen Doppelschlag ausholte. Nun kehrt er endlich ins Kino zurück, mit einem eigen­willigen Bikerfilm, der inspiriert ist von Danny Lyons gleichnamigem Fotoband

Bewertung: 4
Leserbewertung
5
5 (Stimmen: 1)

Die Filme von Jeff Nichols verdanken ihren lyrischen Reichtum einem Prinzip kühner Subtraktion. Dieser Filmemacher liebt es, die unausweichlichen Szenen kurzerhand auszusparen. In seinem Debüt »Shotgun Stories«, das immerhin von einer Familienfehde handelt, wird kein einziger Gewehrschuss abgefeuert. In »Loving«, wo er von einem Prozess erzählt, der die Gesetzgebung der USA nachhaltig veränderte, kommen keine Gerichtsszenen vor. Einen Film hingegen, der »The Bikeriders« heißt, kann man schwerlich ohne Motorräder drehen.

Als Verweigerungskünstler kann Nichols mithin nicht an seinen neuen Film herangehen. Schwere Maschinen und harte Burschen zeigt er reichlich. Wenn seine Motorradgang in machtvoller Formation durch den ländlichen Mittelwesten braust, besitzt das hinreichende kinetische Faszination. Auch ihre Folklore als Rebellen der Straße – mal mit, mal ohne Grund – beschwört Nichols ausgiebig. Kein Zweifel, ohne ihre Feuerstühle würden seine Protagonisten nicht existieren. An ihnen hängt ihre Identität; obwohl sie durchaus bürgerliche Existenzen inklusive Familie und Tagesjob führen.

Also eine Kehrtwende? Mitnichten, denn wiederum beweist der Regisseur sein einzigartiges Talent, sich auf vertrautem, streng kodifiziertem Erzählterrain zu bewegen und dieses gleichzeitig gewandt zu untergraben. Das gelingt ihm dank der Perspektive, die er gewählt hat. Kathy (Jodie Comer), die Ehefrau des Heißsporns Benny (Austin Butler), berichtet einem Fotografen (Mike Faist) von dem konfliktreichen Dasein, das sie als Mitglieder der »Chicago Vandals« führen. Der Motorradclub bildet Mitte der 1960er Jahre eine verschworene Gemeinschaft, an deren Spitze Johnny (Tom Hardy) steht. Die Idee, eine Gang zu gründen, kam ihm, als er Marlon Brando im Fernsehen in »Der Wilde« sah, dessen dumpfe Coolness er seitdem imitiert. Die »Vandals« verstehen sich als stolze Außenseiter, prügeln sich zuzeiten gern, trinken und rauchen zu viel. Sie tragen flotte Spitznamen wie Zipco, Cockroach oder Funny Sonny und sind meist nicht übermäßig helle. Die Bandenmitglieder folgen einer selbst gewählten Bestimmung, aus der ein friedliches Entkommen kaum möglich ist.

Im Kern handelt »The Bikeriders« von der Unvereinbarkeit. Seine Protagonisten und die Gesellschaft stehen einander unversöhnlich gegenüber. Für Kathy ist das Eheleben eine ständige Gratwanderung. Zwar ist sie fasziniert von Bennys Draufgängertum (Comers Schmunzeln ist hinreißend) und respektiert dessen Loyalität zu Johnny. Aber sie kämpft erbittert darum, ihn aus dem Strudel der Gewalt zu befreien. Seine Coolness erlebt sie als Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken. Aufgeben wird sie ihn nicht.

Kathy hält den Film nicht nur als Erzählerin zusammen, sondern fungiert zugleich als Korrektiv. Ihr Blick als Außenseiterin, die dazugehört, schafft einen Abstand, den Danny Lyons Fotos eher selten herstellen. Sie verherrlichen eine Gegenkultur, die ihr Selbstgefühl aus dem Wechselspiel von Gefahr und Beherrschung schöpft. Nichols' Film hingegen behauptet nie, das Herumfahren auf dröhnenden Maschinen sei eine besonders heroische oder geistreiche Beschäftigung. (Als Ausdruck von Freiheitsdrang und als Drohgebärde funktioniert es natürlich prächtig.) Der Regisseur entdeckt eine andere Art von Romantik. Was ihn für seine Figuren einnimmt, ist ihre Suche nach Zugehörigkeit. Die schillernden Bandenmitglieder schaffen sich ihre eigenen Wurzeln, eine Heimat. Nichols' Charaktere gewinnen seit jeher ihre Würde daraus, dass sie den Ort lieben, an den sie gehören.

In der Coda des Films findet eine widerspenstige Entzauberung statt. Er vollzieht eine durchaus konservative Wende. Der Fotograf interviewt Kathy 1973 erneut, die vom Schicksal ihrer früheren Weggefährten erzählt. Die »Vandals« existieren noch, aber eine neue Generation hat die Macht übernommen, die nun von Drogenhandel und Prostitution lebt und vor Mord nicht mehr zurückschreckt. Das Goldene Zeitalter der Biker ist vorbei. Auch bei Nichols geht es nicht ganz ohne Verklärung. Nebenbei hat er etwas anderes indes nicht aus dem Blick verloren: eine Liebesgeschichte zu erzählen, die beinahe so bewegend ist wie die der unzertrennlichen Eheleute in »Loving«.

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