Kritik zu Seneca

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Robert Schwentke macht mit John Malkovich in der Hauptrolle aus dem Leben des Philosophen und Nero-Tutors Seneca eine Parabel über Intellektuelle und die verführerische Nähe zur Macht

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»Du hast genug geredet! Und wir haben genug gehört!« Der Zorn in der Stimme des bisher so stillen Lucius ist unüberhörbar, der junge Mann ist der letzte Vertraute, der dem römischen Philosophen noch geblieben ist und der jetzt seine Worte durch einen Schlag in Senecas Gesicht unterstreicht. Die Zeit der nicht enden wollenden Monologe ist endgültig vorüber, Senecas Zeit ist abgelaufen, durch die Tür seines großzügigen Anwesens tritt bereits der von Kaiser Nero gesandte Soldat, beauftragt, die Leiche des in Ungnade gefallenen Mannes dem Herrscher zu überbringen. 

Seneca, der Philosoph, wurde von der Mutter Neros ausgewählt, ihren zwölfjährigen Sohn zu bilden. Mit 16 Jahren Herrscher geworden, räumt dieser dann Ehefrau, weitere Verwandte und schließlich die eigene Mutter aus dem Weg. Nero ist bald auch der salbungsvollen Worte Senecas überdrüssig. Er beschuldigt ihn, Teil einer Verschwörung gegen ihn zu sein, und will auch ihn tot sehen.

Der skrupellose Machtmensch und der humanistische Philosoph – ganz so einfach ist das nicht. Als Neros »life coach« (wie der Erzähler einmal sagt) hat es Seneca zu Reichtum gebracht, in seinem Bühnenstück »Thyestes«, das er für eine Gruppe handverlesener Gäste außerhalb von Rom aufführen lässt, macht er sich über den brutalen Diktator lustig, in einer unglaublich gewalttätigen Szenenfolge, die wie eine Vorwegnahme von Shakespeares Königsdramen wirkt. Aber er wendet sich nicht von Nero ab und rechtfertigt das damit, dass er es »für Rom getan habe, für unsere Traditionen – ohne mich wäre Nero ein noch schlimmerer Präsident geworden« – der Intellektuelle und die Macht, eine Frage des Opportunismus.

Schon in seinem letzten deutschen Film »Der Hauptmann« hat Regisseur und Autor Robert Schwentke eine Figur in den Mittelpunkt gestellt, die in einem autoritären Regime durch eine Art Überanpassung überleben wollte. Für den Wehrmachtsdeserteur Willi Herold war eine gefundene Offiziersuniform das Ticket zu einer Existenz mit Autorität. Für Seneca ist es die Macht des Wortes, an ihr hängt er bis zuletzt. Aber was sind das für Worte? Zu Beginn sehen wir ihn mit Nero die richtige Rhetorik einstudieren, da geht es um das »Wie« – das »Was« dagegen ist eher dürftig, summiert sich in Glückskeksweisheiten wie »Strebe nach Tugend, das Glück wird folgen«. Was im Gedächtnis bleibt, sind weniger die Sätze, die Seneca spricht, als der rhetorische Wortschwall, mit dem er sie ausstößt – John Malkovich lässt keine Zweifel an der Überheblichkeit dieses Mannes. Die Einzige, die ihm hier Kontra geben kann, ist Lucia, eine Dame der römischen Oberschicht, die ihn als »Emporkömmling« tituliert und ihm vorhält, als Neros »Ghostwriter« sei er »filthy rich« geworden.

Schwentke inszeniert dieses Drama eines lächerlichen Mannes in grotesker Überhöhung, am Ende, als Seneca sich die Unterarme aufschneiden lässt, will nicht einmal das Blut aus seinem Körper fließen. Der Film zielt auf die Gegenwart, dazu hätte es weder den Anblick von Strommasten in der Wüste noch die Anrede Neros – nicht als »Kaiser«, sondern als »Präsident« – gebraucht.

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