Interview mit Robert Schwentke über seinen Film »Der Hauptmann«
Robert Schwentke am Set von »R.E.D.: Älter. Härter. Besser.« (2010). © Concorde Filmverleih
Herr Schwentke, wie und wann sind Sie auf die Person Willi Herold gestoßen?
Ich habe aktiv nach einer Geschichte gesucht, die aus der Täterperspektive erzählt werden kann. Ich habe dann die üblichen Kandidaten abgeklappert, neben dem Buch von Christopher Browning über das Polizeibataillon 101 auch eine Reihe von Biografien gelesen. Dabei hatte ich immer das Gefühl, entweder waren die zu myopisch in ihrer Perspektive, haben also nicht alle Ebenen abgedeckt, oder aber sie waren nicht darstellbar, weil noch schlimmer, also etwa das Polizeibataillon oder Menschen, die nur Kinder erschossen haben. Dann kam mir die Geschichte von Herold unter, die mir ein Freund empfohlen hat. Irgendwie hatte ich auch da nicht sofort das Gefühl, dass sich daraus ein Film machen lässt, weil es von der Gewalt auch sehr extrem war. Die Geschichte hat mich dann aber nicht mehr losgelassen – ich hatte das Gefühl, das war eine Geschichte über den Zweiten Weltkrieg, wie man sie noch nicht erzählt hat: Deutsche, die Deutsche umbringen, die letzten Wochen, wo es wirklich zuging wie im Wilden Westen. Ich habe dann über Jahre hinweg versucht, mir das anzueignen auf eine Art und Weise, wo ich das Gefühl hatte, so kann ich das erzählen – ich wollte eben auch einen Film machen, wo ich die Entscheidungen selber treffen konnte.
Sie haben schon die Frage der Gewalt angesprochen, die sicherlich ganz zentral ist bei diesem Thema: was will man zeigen? Sie zeigen die Gewalt sehr oft in der Totale. Das wurde alles schon vorher entschieden oder auch erst im Schneideraum?
Nein, alles vorher. Bei Filmen, wo es um Gewalt geht, wird dem Zuschauer ja oft ein Hintertürchen gelassen, ich denke da an Tarantino, der es durch Humor auffängt. Und wenn man den Zuschauern dieses Hintertürchen aufmacht, dann gehen sie da immer durch. Wir wollten einen Film ohne Hintertürchen machen. Ich schätze Pasolinis »Salo oder die 120 Tage von Sodom« enorm, halte den immer noch für einen der besten Beiträge zum Thema Faschismus im Kino, aber das war nicht die Art von Film, wie ich sie machen wollte. Welche Balance muss ich finden, wenn ich einen Film ohne Hintertürchen machen will, ihn aber gleichzeitig nicht als unanschaubar kreieren möchte? »Salo« habe ich nur einmal gesehen, ich liebe diesen Film, aber es ist keiner, dem ich mich andauernd aussetzen will.
Zuerst gab es die Idee, viel über den Ton zu machen – dass die Kamera in der Grube ist und dann fällt jemand auf die Kamera drauf und man hört in Realzeit, was passiert. Davon bin ich dann abgekommen, weil ich das Gefühl hatte, das wird den Opfern nicht gerecht. Über die Jahre habe ich mich dann von dem gelöst, ich habe mich leiten lassen von dem, was ich als möglich empfunden habe, als moralisch vertretbar. Einer meiner Lieblingsregisseure ist Jacques Rivette. Der hat als Robespierre der ‚Cahiers de Cinema’ über »Kapo« geschrieben, wo er gesagt hat, »jede Einstellung ist eine moralische Entscheidung – und wenn ein Regisseur eine Ranfahrt macht auf eine Frau in einem Lager, die Selbstmord verübt, indem sie den Stacheldrahtzaun hochklettert, wo die dann sehr hingestellt hängt, dann ist das moralisch verwerflich.« Natürlich war das eine Polemik und er hat dem Regisseur Pontecorvo auch Unrecht getan in vieler Hinsicht, aber er hatte schon Recht. Das war gerade für diesen Film ein enorm wichtiger Text: dass man nicht versucht, diese Gewalt aufzukochen, sie dramatisch in Szene zu setzen. Wir sind dann übereingekommen, dass man das eigentlich als Abläufe darstellen muss.
Kam die Entscheidung, den Film in Schwarzweiß zu machen, auch daher?
Genau. Es gibt ja die Anekdote, wo Michael Powell zu Martin Scorsese gesagt hat, »Du kannst »Raging Bull« nicht in Farbe drehen, das wird das Publikum nicht anschauen«: Das ist bei mir extrem hängen geblieben. Das war eigentlich der Hauptgrund, zudem: in meiner eigenen Disposition als Filmemacher bin ich dem Naturalismus nicht wirklich zugetan. Bei so einem Stoff wusste ich, dass ich da eine gewisse Abstraktion, eine gewisse Theatralik haben möchte. Da war das Schwarzweiß extrem hilfreich.
Was noch unterstrichen wird durch das Cinemascopeformat…
Mein Lieblingsformat, weil es vom Auge am weitesten entfernt ist.
Konnten Sie überhaupt auf Schwarzweißfilmmaterial drehen?
Ich habe nie ein Bild des Films in Farbe gesehen, weder am Set noch in der Postproduktion. Er wurde für Schwarzweiß ausgeleuchtet. Es gibt zwei digitale Schwarzweißkameras von Arri, die wir eigentlich benutzen wollten. Davon hat uns aber Arri extrem abgeraten, weil die gesamte Postproduktion auf Farbe basiert. Das Digital Intermediate basiert darauf, dass man Farben isolieren kann. Selbst wenn man in Schwarzweiß arbeitet, erlaubt die Farbe, die ja trotzdem da ist, eine größere Kontrolle über das Bild – man würde sich tatsächlich die Möglichkeit der Kontrolle nehmen, wenn man ohne Farbe arbeitet. Das war eine Überraschung, aber wir haben es dann tatsächlich so gemacht. Das Basismaterial ist Farbe, es wurde aber nie in Farbe wahrgenommen, weil die Farbe immer rausgedreht war. Aber man konnte dann zum Beispiel in der Postproduktion sagen: welche Augenfarbe hat der? Blau? Dann isolieren war das mal und machen es ein bisschen heller oder dunkler. Diese Möglichkeit hätten wir beim Drehen auf Schwarzweißmaterial nicht gehabt. Auch der Kameramann hat beim Dreh nur Schwarzweißbilder gesehen, sonst hätte er das gar nicht ausleuchten können.
Bei unseren Gespräch über Ihren vorangegangenen Film »Die Bestimmung« haben Sie Ihr Interesse am ‚Bildungsroman’ zum Ausdruck gebracht – das trifft auch hier zu?
Auf jeden Fall, das sind die meisten meiner Filme – auch wenn es hier wieder einer ist, der nach hinten losgeht.
Was mich beim Sehen des Films irritiert hat, ist die Sanftheit, die der Protagonist, zumal am Anfang, ausstrahlt. Das ergab sich aus Ihren Recherchen über die historische Figur Willi Herold?
Ich habe ja vor allem im Oldenburger Staatsarchiv recherchiert, wo eine Kopie der letzten Akte über ihn vorliegt. Da wurde er von Augenzeugen als Choleriker beschrieben, da war er überhaupt nicht sanft. Er war eigentlich noch viel brutaler, hat viel öfter selber Hand angelegt als es der Film suggeriert. Teilweise waren diese Sachen auch noch im Drehbuch, wir mussten sie verschlanken und ich hatte irgendwann auch den Eindruck, dass es reicht mit der Gewalt.
Anfangs wirkt er noch sehr unsicher…
Ja, er hat geradezu Todesangst. Für mich ist das eine Figur, der es ums Überleben geht. Alles andere ist sekundär, es dient dem primären Ziel, zu überleben. Es war eine bewusste Überlegung, ihn am Anfang so einzuführen, als wäre er das Opfer. Man erfährt ja eigentlich auch nichts über ihn. Im Gegensatz zu allen anderen Figuren sollte Herolds Figur nicht erklärt werden. In Publikumsgesprächen gibt es immer zwei Punkte: hätte Freytag nicht doch gut sein können und sich dagegenstellen können? Das ist im Allgemeinen auch die Norm bei solchen Erzählungen, dass es jemanden gibt, der moralisch dem Zuschauer die Stimme verleiht. Das haben wir bewusst nicht gemacht.
Der zweite Punkt ist: warum macht Herold das denn eigentlich? In der Hoffnung, dass man es erklären kann. Mir selber ist es unmöglich, es zu erklären, weil ich auch den Eindruck habe, sobald man versucht, es zu erklären, wird es extrem reduktiv und simplifizierend. Ich glaube auch, dass die üblichen Terminologien aus der klinischen Psychologie überhaupt nicht greifen: ‚das ist ein Soziopath’ und damit hat man jetzt den Schlüssel für das Schloss gefunden um diesen Charakter zu knacken. Ich glaube, dass das eher Türen verschließt, was das Verständnis für den Charakter betrifft. Ich habe auch versucht, das für mich selber zu beantworten, habe viele psychologische Bücher gelesen, und habe trotzdem nicht das Gefühl, dass ich diesen Charakter erklären könnte – im Gegenteil, je mehr ich gelesen habe, desto weniger wollte ich ihn erklären, auch deshalb, weil die Erklärung natürlich auch ein Hintertürchen ist, das es dem Publikum erlaubt, zu entkommen. Bei ihm gibt es da einen weißen Fleck, der hoffentlich auch dazu führt, dass die Zuschauer sich ihre eigenen Gedanken machen. Der historische Herold war eine Sache, und unser Herold hat damit viel zu tun, aber er ist auch ein unzuverlässiger Erzähler, ein Lügner. Hat er die Uniform tatsächlich in einem Wagen gefunden oder vielleicht nicht doch eher gestohlen? In jedem Fall denke ich, dass das Ganze zumindest für den historischen Herold eine Art von Cowboy- und Indianerspiel war – nur eben mit scharfer Munition.
Als er zu Beginn die Uniform anprobiert, wirkt er noch sehr unsicher, eine andere Art der Unsicherheit herrscht später im Lager vor: man will sich permanent absichern, bevor man einen Befehl erteilt oder selber zur Aktion schreitet. Ist das nur zu erklären mit der Situation wenige Wochen vor Kriegsende, wo man schon ahnt, bald zur Rechenschaft gezogen zu werden?
Das hat ganz viel damit zu tun, das war aber auch systemimmanent – das System war so aufgezogen, dass sich Verantwortungsbereiche überlappt haben, dass andere Menschen verantwortlich waren für die selbe Sache, obwohl sie aus ganz anderen Sphären kamen Also die Tatsache, dass die Lagerorganisation sowohl der SA als auch der Justiz unterlag, war eine Anomalie, die daher kam, dass der Leiter der Lager ein ehemaliger SA-Mann war und wollte, dass die SA da mehr Entscheidungsgewalt bekommt. Das Regelwerk, die Gesetze haben zwar die Ziele definiert, nicht aber den Weg dorthin. Das war bewusst schwammig formuliert, um den Ausführenden eine gewisse Interpretationsfreiheit zu ermöglichen – alles im Sinne der eigenen Karriere und des Wettbewerbs untereinander.
Zur Produktion des Films: war es für Sie ein Schock – nach Ihren amerikanischen Filmen, wo Ihnen diese Last abgenommen war – sich jetzt wieder auf Fördergremien einzulassen? Ihr Debüt »Tattoo« konnte man damals ja immerhin kategorisieren als Genrefilm, als Krimi im weitesten Sinn. Wie schwer war es hier, Interesse zu wecken?
Der Film wurde in den Gremien schon kontrovers diskutiert, wir haben auch einige enorme Rückschläge erlitten, die fast dazu geführt hätten, dass der Film nicht stattfand – aber wir hatten auch enorme Unterstützer. Das polnische Filminstitut hat den Film enorm angeschoben, hat uns eine Vorbereitungsfinanzierung gegeben, die wir nutzten, um Locations zu finden, auch die Mitteldeutsche Medienförderung hat uns enorm unterstützt, ebenso die FFA. Wer uns nicht unterstützt hat, war das Fernsehen: die sind da auf sehr unschöne Art abgesprungen – nachdem es schon einen letter of intent gab. Das hätte uns fast Kopf und Kragen gekostet.
Wie war deren Begründung?
Wir haben nie eine Begründung bekommen. Wir haben das dann ausgeglichen mit chinesischem Geld. Aber das ist Equity, also rückzahlbar, entsprechend teures Geld.
Wie sind Sie auf den Hauptdarsteller gekommen?
Wir haben hier in Berlin ein richtiges Casting gemacht, haben den Schauspielern die Uniformen angezogen, um zu sehen, wie sie darin auftreten. Dabei hat mir Max Hubacher schon am besten gefallen. Ein Jahr später haben wir ein erneutes Casting gemacht, weil sich in dem Alter in so einem Zeitraum natürlich auch viel verändern kann. Da war er wieder ganz klar der Richtige. Die Weichheit war immer da, es ging aber vor allem um eine glaubwürdige Härte: würde ich dem auch abnehmen, dass er ein Massaker veranstalten kann?
Bei der Musik haben Sie erneut mit Martin Todsharov zusammengearbeitet, sie ist ebenfalls antinaturalistisch…
Ich wollte nicht, dass der Film so tut, als sei er historisch-authentisch. Die Musik war ein Mittel, ihn als modernen Film zu verorten, d.h. wir wussten von Anfang an, dass wir keinen üblichen klassischen Soundtrack wollten. Ich bin schon seit einigen Jahren dazu übergegangen, die Musik schon vor bzw. während des Drehs zu haben. Ich finde es interessanter, wenn der Komponist große Freiheiten hat, das Drehbuch liest, sich die Moodboards anguckt und mit mir redet. So hat Martin das gemacht und mir eine Box konstruiert, wo ich sagen konnte, das brauche ich ein bisschen länger oder das hätte ich gerne ohne die Percussion. Ich sammle selber elektronische Avantgardemusik, die liebe ich über alles – Musik sollte immer ein bisschen wehtun.
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