Kritik zu Nightmare Alley
Ein »con artist« beim Zirkus: Bradley Cooper spielt die Hauptrolle in Guillermo del Toros Neuverfilmung von William Lindsay Greshams düsterem Nachkriegsroman, der einmal mehr vom amerikanischen Aufstiegstraum erzählt
Diesem Mann ist nicht zu trauen. In der ersten Szene zündet er ein Haus an, vermutlich um Spuren zu verwischen. Unterschlupf findet er beim Carnival, einem Wanderzirkus. Dort stellt man keine Fragen, für einen Aushilfsjob ist jeder gut, aber Stanton Carlisle (Bradley Cooper) hat größere Pläne.
Von Hilfsdiensten beim Auftritt der Hellseherin Zeena (Toni Collette) über das Erlernen der entsprechenden Tricks zur eigenen Performance als Hellseher: Jeder benutzt jeden, doch statt mit Zeena macht er sich schließlich mit der jungen Molly (Rooney Mara) davon.
Zwei Jahre später ist ihr Auftrittsort ein eleganter großstädtischer Nachtclub, Stantons Charme betört das Publikum, Molly assistiert ihm, wenn er das Publikum hinters Licht führt – bis eines Tages die Entlarvung droht. Doch mit dem hellseherischen Wissen, dass die resolute Querulantin in ihrer Handtasche einen vernickelten Damenrevolver hat, ist Stanton einmal mehr Held des Abends.
Da treffen sich zwei auf Augenhöhe, Lilith Ritter (Cate Blanchett) ist Psychoanalytikerin. Wenn sie und Stanton sich gegenseitig analysieren, sie gestützt auf ihre Fachausbildung, er auf seine Kenntnis menschlicher Schwächen, dann ist das wie eine große Balz, Skrupel sind auch ihr eher fremd. So willigt sie ein in seinen Plan privater Audienzen bei Leuten mit viel Geld. Für die wird er Verbindungen mit geliebten Personen im Jenseits herstellen, dafür versorgt ihn Lilith mit Informationen aus ihren Therapiestunden. Aber dann gerät er an jemanden, dessen schmutziges Geheimnis sein eigenes wieder lebendig werden lässt.
Aufstieg und Fall, der amerikanische Glaube an den Selfmademan, der Traum vom großen Geld: Er wird seziert in »Nightmare Alley«, der Neuverfilmung des 1946 hochgeschätzten gleichnamigen Romans, dessen Autor William Lindsay Gresham später ähnlich tragisch endete wie seine Romanfigur. Er hinterließ Visitenkarten, auf denen stand »No address. no phone. no business. no money. retired«. Das passt zu der Ausweglosigkeit des Romans, der lange Zeit ebenso vergessen war wie der darauf basierende Film. 1947 von Edmund Goulding inszeniert und in Deutschland 1954 als »Der Scharlatan« herausgekommen, bot er Tyrone Power, dem Matinee-Idol der späten dreißiger Jahre, die Möglichkeit, einen zutiefst ambivalenten Charakter zu verkörpern. Power selbst hatte den Roman an die Fox herangetragen. Studiochef Darryl F. Zanuck war er zu düster, er gab ihm trotzdem ein A-Budget, ließ aber ein halbherziges Happy End anfügen.
Die Welt des ländlichen Carnival, der oft im Schlamm versinkt, aber seiner Gemeinschaft Zusammenhalt gibt, kontrastiert Guillermo del Toro mit der großstädtischen Welt eleganter Clubs und kalter Industriebauten. Viele Momente des ersten Teils entfalten sich im zweiten, bevor der Protagonist in einer Coda zum Carnival zurückkehrt, auf die unterste Stufe des »geek« gesunken, eines Mannes, der seine Alkohol- bzw. Drogensucht nur zu finanzieren weiß, indem er einem lebenden Huhn den Hals durchbeißt. »I was born for that!« – Stantons Bemerkung, mit der der alte Film dem Romanende noch eins draufsetzte, hat del Toro übernommen, seiner Wertschätzung für die Erstverfilmung Ausdruck gebend. War »The Shape of Water« (ohne dessen Auszeichnung als Bester Film bei der Oscarverleihung 2018 dieser Film vermutlich nicht existieren würde) eine Umkehrung des »Creature from the Black Lagoon«-Mythos (Frau begehrt Monster statt umgekehrt), so sind auch hier die Menschen die wahren Monster. Bei aller gewohnten Liebe zum Detail und der kunstvollen Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit hat del Toro einen Film gemacht, der Düsteres elegant verpackt. Schauspielerisch ist das auf höchstem Niveau, wenn auch ohne Überraschungsmomente – dass Cate Blanchett für die Rolle der eiskalten Therapeutin wie geschaffen ist, versteht sich von selbst.
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