Kritik zu This is Love
Nach »Der freie Wille« will es Matthias Glasner wieder einmal wissen. Wie weit darf der Trieb gehen, wann gehört er an die Kette des Anstands? Doch dieses Mal greift er zum Äußersten, zum Kind
Eine Frau in einem Auto in einer verregneten Landschaft aus Fabrikmauern und rostigen Kränen. Die Frau heißt Maggie und ist auf dem Heimweg. Noch geht es ihr gut, ihr Gesicht liegt glatt über liebevollen Gedanken ans gemeinsame Abendessen mit der Familie. Doch die Vorboten ihrer privaten Einstürze ranken mit den industriellen Ruinen an den Bildrändern hinein, wie gotische Fassadenfratzen das in Vampirfilmen tun. Heiser und flach klingt jetzt die Stimme aus dem Off dazu, mit der sich die Erzählerin Maggie an die Frau erinnert, die sie einmal war. Und man beginnt zu ahnen, dass zwischen der entspannten Frau hinter dem Lenkrad und diesem angegriffenen Tonfall gleich mehrere Katastrophen Platz finden. Ausnahmezustände, in die die Mittel des Zivilisatorischen nicht mehr maßregelnd hineinreichen und in denen der Mensch nur noch seinem eigenen rohen, instinkthaften Kern begegnet.
Darum ging es Matthias Glasner schon in »Der freie Wille«. Um die widerstreitenden Urstände von Trieb und Vernunft, um die Tabuverordnungen einer Gesellschaft, die ihr Bestehen gegen individualistische Auswüchse abzusichern sucht. In dem damals heiß diskuttierten »Der freie Wille« brach Glasner diesen Konflikt mit großer erzählerischer Wucht auf ein pathologisches Muster herunter, auf den Zwang eines Mannes, vergewaltigen zu müssen. In »This Is Love« will er – was kaum noch möglich scheint – die gesellschaftliche Moral noch stärker herausfordern und bringt eine zusätzliche Ungeheuerlichkeit ins Spiel: ein Kind. Genauer gesagt: Pädophilie.
Irreführenderweise hat Maggie, eine Polizeikommissarin, selbst mit diesem Sündenfall zunächst nichts zu tun. Sie säuft und verliert sich, weil ihr Mann ohne ein Wort verschwunden ist. Und wie Corinna Harfouch das macht, wie sie vor ihrer Tochter durch den Flur torkelt und mit schwankender Stimme nach Halt sucht, das hat eine eigene Größe, die später im Zusammenspiel mit dem Lars-von-Trier-Schauspieler Jens Albinus gut aufgeht. Denn Glasner stellt Maggie einem Delinquenten, dem pädophil veranlagtem Chris (Albinus), gegenüber und setzt beide solidarisierend immer wieder in einer dysfunktionalen Welt ohne Himmel und Mitleid aus. Die Frau des Gesetzes und der Mann der unglaublichen Tat werden einander im optischen Arrangement gleich. Keiner urteilt über den anderen. Alle Menschen sind schließlich irgendwo kaputt. So steht es in den semantischen Zwischenräumen geschrieben.
Chris beginnt zu erzählen, das heißt, der Film nimmt es ihm ab. Von der Leiche in seiner Wohnung, dem Selbstmordversuch, den Geschäften in Asien, bei denen er minderjährige Huren freikauft, um sie an die meistbietenden Adoptiveltern zu verhökern. Von der kleinen Jenjira (Lisa Nguyen), die er nicht mehr abgeben wollte. Und irgendwann sagt dieser in seiner Verzweifelung überaus sympathisch wirkende Chris einen Satz, auf den »This Is Love« von Anfang an hinaus will. Und der geht in etwa so: »Das Unaussprechliche zu denken, zu lieben, ohne etwas dafür zu erwarten. . . Das wäre mal ein Akt der Schönheit und der menschlichen Würde.« Das klingt nach de Sades gesellschaftskritischen Schriften. Nach Gefangenschaft in unerfüllt bleiben müssender Sehnsucht und in einer Gemeinschaft, die für diese Form der Liebe noch nicht bereit ist. Aber weiter reicht dieser so groß formulierte Gedanke nicht. Er bleibt Behauptung.
In den vergleichsweise weichgezeichneten Momenten, in denen das Mädchen Chris die Hände auf den Arm legt oder tief in die Augen schaut, wechselt der Film sogar ins Romanzenhafte und damit in eine zweifelhafte Utopie: »This is love«. Die praktizierte körperliche Liebe zwischen einem 40-jährigen Mann und einer Neunjährigen soll genau das sein. Liebe. Spätestens hier macht sich der Film selbst etwas vor, obwohl er doch vorher all die Warenwege und Lieferbedingungen der Mädchenkörper aufgezeigt hat. Wie kann Jenjira, die nichts anderes kennt als ihren physischen Tauschwert, sich da auf eine andere Art »bedanken«, als das zu geben, was sie immer gibt. Für ein bisschen Schutz, für ein vorläufiges Zuhause. Und wie kann Glasner diese Abhängigkeit auch nur für eine illusionistische Kinosekunde lang mit Liebe verwechseln? Es ist dieser Irrtum, der den Film am Ende so unerträglich tragisch macht.
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