Kritik zu Der Gott des Gemetzels
Hauen und Stechen im bürgerlichen Kammerspiel: Polanskis Verfilmung des gleichnamigen Bühnenstücks von Yasmina Reza bereitet mit prächtiger Besetzung das Unbehagen in der Kultur auf
Wenn er selbst schon weggesperrt sei, soll es seinen Akteuren auch nicht besser gehen, hat Roman Polanski aus dem Schweizer Arrest immer wieder verlauten lassen. In seinem »Ghostwriter« (2010) zogen sich die Protagonisten auf ein Anwesen zurück, das nichts weiter umgab als das monströse Schweigen perfekter Abgeschiedenheit. In Polanskis jüngstem Film nun werden zwei Ehepaare in einem Mittelstandsapartment in Brooklyn isoliert. Eine von Konventionen und kulturellen Irrtümern gefangene Minigesellschaft, umgeben vom monströsen Rauschen der Großstadt.
Es gibt nur zwei Außentotalen in diesem Film. Eine am Anfang – man sieht eine Gruppe Kinder im Brooklyn Bridge Park, gut in Markenklamotten für den Winter verpackt. Zwei von diesen wattierten Wesen schälen sich aus der Masse, ein Junge mit einem Stock, und der, dem er damit eins überzieht. Man sieht kein Warum, man sieht nur den Schlag, das Umfallen. Die zweite ist die Schlusstotale. Sie zeigt wieder diese Ansammlung dicker Anoraks und warm vermummter Köpfe, einer wie der andere, kaum zu unterscheiden, im halbwegs friedlichen Spiel.
Der Krieg von »Der Gott des Gemetzels« findet woanders statt. Ein Bürgerkrieg am Couchtisch, ausgetragen von saturierten Erwachsenen, die schweigen, brüllen, weinen und auch einmal kotzen. Zuerst hoffen alle auf einen geordneten Tauschhandel – Schuldeingeständnis gegen Straferlass – und darauf, dass die eigene Existenz mit ihren moralischen Konstrukten durch die anderen gesellschaftliche Bestätigung erfährt. Doch bereits als das Elternpaar des geschlagenen Elfjährigen, Michael (John C. Reilly) und Penelope (Jodie Foster), mit den Eltern des stockschwingenden Jungen, Nancy (Kate Winslet) und Alan (Christoph Waltz), den Tathergang für die Versicherung rekonstruieren, blitzen die Messer auf, die man bei aller Zivilisiertheit und allen humanistischen Idealen noch versteckt hält. Da wird vorsichtig diskutiert, ob der Täter mit einem Stock »bewaffnet« war oder ihn bloß »hielt«. Im Ringen um das korrekte Wort offenbart sich das ganze Minenfeld, in dem sich die Paare dann in den unterschiedlichsten Formationen begegnen. Als Opfer und Aggressoren, als arrogante Spitzenverdiener wie Alan und ins Bildungsbürgertum hineingeheiratete Vertreter für WC-Spülungen wie Michael. Als bis zur Selbstverleugnung höfliche Gastgeber und besoffene Gäste, die sich über seltenen Kunstbänden auf dem Wohnzimmertisch erleichtern. Und schließlich als sich im Suff verbrüdernde Männer, die sich ohne Scham über ihre Frauen lustig machen.
Den dankbarsten Part hat eindeutig Christoph Waltz, kann er doch als maliziöser, dauertelefonierender Winkeladvokat die Dynamik des Plots entscheidend bestimmen. Es macht einen Heidenspaß, ihm bei seinen Unverschämtheiten zuzusehen. Vom leichten Schnarchschnapplaut, wenn er lacht, bis zum geradegezogenen Sparkassenmund, an dem alle Hoffnungen auf Harmonie zerschellen müssen. Im Auftrag eines Pharmakonzerns pulverisiert er die Schadensersatzansprüche klagender Patienten, und wenn er sich am Handy über ihre Wehleidigkeit auslässt, ist das durchaus der Metakommentar zum privaten Kriegsschausplatz. Waltz' Alan zögert keine Sekunde, seine Frau für einen guten Gag zu verraten.
Sein moralischer Gegenpart ist Jodie Foster als Mutter des verletzten Jungen. Sie trägt die gedämpften Mischfarben dauerbetroffener Intellektueller und ihre streng nach hinten gekämmten Haare legen ein kaum geschminktes Gesicht frei, das sich seinen Ausdruck von Reinheit und Redlichkeit gegen alle hedonistischen Verführungen hart erkämpfen musste. Penelope engagiert sich für die Opfer des Völkermordes im afrikanischen Darfur und signalisiert damit ihre unhinterfragbare moralische Kompetenz für himmelschreiendes Unrecht. Doch wenn dieser Gutmensch später auf den Ehemann einprügelt, rückt das Barbarei und Schlägertum schnell wieder ins Zentrum der westlichen Welt. Zwischen bürgerlicher Echauffiertheit und Gewaltakt liegt hier nur eine Kränkung. »Der Gott des Gemetzels« ist ein böser, vergnüglicher, kaum subtiler und durch und durch bürgerlicher Spaß. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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