Kritik zu Call Jane
Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt das Drama von einer Gruppe Abtreibungsaktivistinnen vor 50 Jahren in den USA – aus der Sicht einer adretten Hausfrau und Anwaltsgattin
Im März dieses Jahres kam mit »Das Ereignis« ein beklemmendes, erschütterndes Abtreibungsdrama in die Kinos. Nach dem gleichnamigen autofiktionalen Roman der Literaturnobelpreisträgerin 2022 Annie Ernaux erzählt es von einer jungen Studentin, die zu Beginn der 60er Jahre ungewollt schwanger wird und sich für eine damals in Frankreich illegale Abtreibung entscheidet. Auch »Call Jane« lehnt sich an eine wahre Geschichte in den frühen 70er Jahren in den USA an und dreht sich um eine Gruppe von Aktivistinnen, die illegale Schwangerschaftsabbrüche organisiert. Allerdings erzählt Regisseurin Phyllis Nagy ihr Drama konsequent aus der Sicht von Joy (Elizabeth Banks), einer Vorstadt-Anwaltsgattin, deren Abtreibung und ihr anschließendes Engagement zu ihrem persönlichen Empowerment führen. So gerät »Call Jane« zu einem amerikanischen Heldenepos mit Bildern adretter Menschen.
Jene Joe lebt mit ihrem Mann Will (Chris Messina) in liebevoller Beziehung als Hausfrau und Mutter einer inzwischen 15-jährigen Tochter. Als sie noch mal schwanger wird, gefährdet diese Schwangerschaft aufgrund ihrer Herzinsuffizienz ihr Leben. Doch ein rein männlich besetztes Gremium verweigert ihr die Erlaubnis zu einer Abtreibung. Weil sie ihre Teenager-Tochter nicht alleinlassen will, entschließt sie sich zu einer illegalen Abtreibung und gerät an die von Victoria (Sigourney Weaver) angeführte Frauenorganisation. Ein völlig empathieloser Arzt (der sich später als Betrüger entpuppt) führt den Eingriff durch und irgendwie ist Joy plötzlich selbst in die Arbeit der Aktivistinnen involviert, übernimmt Fahrdienste, betreut die Frauen und assistiert jenem Arzt, dem sie auf die Schliche kommt und dann selbst von ihm angeleitet wird.
Mit dem Verlust ihres eigenen ungeborenen Kindes geht sie unsentimental um. Mann und Tochter erzählt sie, dass sie einen »Abgang« hatte, ihre Abwesenheit erklärt sie mit einem Malkurs. Ihr Mann stellt keine Fragen, nur Tochter Charlotte fühlt sich vernachlässigt und wird zugleich misstrauisch. Da ist Joy schon so tief in die Arbeit der Aktivistinnen involviert, dass sie nicht mehr aufhören kann und will. Zwischendurch echauffiert sie sich am Abendbrottisch mal, dass Frauen Hauswirtschaft anstatt Handwerken und Sport lernen. Besonders überzeugend ist sie dabei nicht.
Dass ausgerechnet die wohlsituierte, konservative Hausfrau zu rebellieren beginnt, am Ende gar politische Umbrüche mitgestaltet und dann selbstermächtigt in ihr Vororthäuschen zurückkehrt, birgt als Film wenig Überraschungen. Den realen Gefahren, denen sich die Frauengruppe aussetzt, ihren Ängsten und ihrer Verzweiflung wird kaum Raum gegeben. Dass der Film, der bei der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb lief, zu einer Zeit kommt, in der in einigen US-Staaten wieder Abtreibungsverbote gelten, ist umso bitterer. Das Thema hätte einen kritischeren, ernsteren Ansatz verdient, anstatt es in eine zuckrige Selbstfindungsgeschichte zu gießen.
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