Kritik zu Carol
Nach einer Vorlage von Patricia Highsmith verfilmt Todd Haynes die Liebesgeschichte zwischen einer Dame der Gesellschaft und einem Ladenmädchen im New York der 50er Jahre, exquisite Pelzmäntel, feine Seidenschals und elegante Limousinen mit eingeschlossen
Hinter der Scheibe eines beschlagenen Autofensters schaut Therese (Rooney Mara), die gekränkte Liebende in Todd Haynes' romantischem Retro-Drama »Carol«, gedankenversunken ins Leere. Rot leuchtet die Stadt im Spiegel der Scheibe. Die junge Frau sitzt im Auto ihrer New Yorker Reporterclique und ist unterwegs zu einer Party, aber wie in Trance bleibt sie mit ihren inneren Bildern für sich. Diesen Moment glühender Selbstverzauberung nutzt der Regisseur als Tor in eine Rückblende, die das verbotene, schmerzlich abgebrochene Glück zwischen Therese und ihrer Geliebten Carol (Cate Blanchett) erzählt, und mit demselben Bild kehrt der Film in seine Gegenwart zurück, die USA der 50er Jahre, wo sich die Geschichte des ungleichen Paares unter anderen Vorzeichen fortsetzen könnte.
Wie Therese aus dem engen Fenster heraus in die Vergangenheit schaut und da den Anstoß für ihre Zukunft findet, nutzt Todd Haynes die Kunst melodramatischer Gefühlstumulte, die er seinem Vorbild Douglas Sirk abschaut, um sie mit aktuellen Botschaften zu spicken. »Carol« ist die faszinierende Wiederbelebung eines historischen Kinos der großen Limousinen, eleganten Pelzmäntel und Zigaretten rauchenden Ladys, das das Glücksversprechen einer lesbischen Liebe selbstverständlicher feiert als das Gegenwartskino.
Die »verbotene Liebe« ist gewissermaßen Todd Haynes' Lebensthema. In seinem, ebenfalls in den 50er Jahren angesiedelten Gesellschaftsdrama »Dem Himmel so fern« (2002) kämpfte ein verheirateter Karrieremann um sein schwules Coming-Out, während seine Frau ihre Liebe zu einem Schwarzen entdeckte. Mit »Carol« verfilmt er die Liebesgeschichte zwischen Therese und Carol, die auf dem Roman »The Price of Salt«, einem frühen, unter Pseudonym veröffentlichten Buch von Patricia Highsmith beruht.
Therese würde gern Fotografin werden, verdient jedoch ihr Geld in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses. Als Carol – in Cate Blanchetts Spiel eine zerstreute »Frau mit Geheimnis«, ein wenig abwesend, aber einem flüchtigen freundlichen Kompliment für ihr Gegenüber nicht abgeneigt – ein Weihnachtsgeschenk für ihre kleine Tochter sucht und auf Thereses Empfehlung für eine Spielzeugeisenbahn eingeht, lässt sie ihre Handschuhe auf dem Ladentisch zurück.
Die junge Verkäuferin und die Dame der Gesellschafts kommen sich näher. Therese erkundet die Adresse und schickt die Handschuhe zurück. Carol bedankt sich mit einem Lunch. Sie lebt getrennt von ihrem Mann in einer Vorstadtvilla mit ihrem Kind und kämpft bei der bevorstehenden Scheidung um das Sorgerecht. Weihnachten verbringt sie in dieser Situation allein, doch als sie Therese an diesem Abend zu sich einlädt, erscheint Harge (Kyle Chandler), ihr eifersüchtiger Mann, und beginnt einen Streit.
Rooney Maras Therese ist ein City-Girl, unerfahren und neugierig, alleinlebend und umgeben von kumpelhaften Freunden, begabt mit einem Blick für den richtigen fotografischen Moment. Immer mehr Bilder entstehen, Momentaufnahmen der Angebeteten, als Therese eine Kamera von Carol geschenkt bekommt und die Freundinnen zu einem Neujahrstrip aufbrechen. Da, erst in der zweiten Hälfte des Films legt Therese ihr Nachthemd ab und lernt die körperliche Liebe kennen. Wer von beiden Subjekt und Objekt des Begehrens ist, bleibt in Todd Haynes' Film über sein Finale hinaus offen.
Carol verlässt die Geliebte jedoch Hals über Kopf, weil ein Detektiv, den ihr Mann auf ihre Spuren ansetzte, Beweismaterial für ihre lose Moral sammelte. Therese wird im Kampf mit ihren verletzten Gefühlen erwachsen. Die Bilder von Carol werden ihr Einstieg in den Beruf einer Fotojournalistin. Carol findet eine Lösung im Rosenkrieg, frei von der bleiernen Angst, die das Mutterbild der 50er prägte. Sie wäre frei für Therese, wenn die Geliebte ihren Panzer aufbrechen würde.
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