Cate Blanchett – Die Lady hat Temperament
Cate Blanchett in »Carol« (2015)
Zwei Oscars hat sie schon, für »Aviator« und »Blue Jasmine«. In »Carol«, dem Drama einer verbotenen Liebe, ist die Australierin Cate Blanchett auch wieder gefährlich gut. Marion Löhndorf über eine Schauspielerin, die in jeder Rolle weiß, was sie tut – als Königin, mit spitzen Ohren und sogar als Mann
Wangenknochen hoch wie Steilklippen. Katzenaugen mit leichten Schlupflidern, ein großzügiger Mund, über dem sich eine Nase erhebt, die man nicht gerade klein nennen kann. Volle, genau definierte Lippen, die Mundwinkel gelegentlich nach unten gezogen: ein Gesicht wie ein Ausrufezeichen. Man kann dahinter Strenge oder Hochmut oder einen Hauch von Bitterkeit vermuten – erfahren wird man es nicht. Cate Blanchett, 1969 in Melbourne geboren, ist eine der großen, erfolgreichen Schauspielerinnen unserer Zeit. Doch auch wenn sie vieles ausdrückt, verrät sie niemals alles.
Sie bewegt sich mit Eleganz und spricht mit einer so tiefen Stimme, dass man sie für einen Mann halten kann, wenn man sie nicht sieht. Cate Blanchett ist keine Schauspielerin für Anfänger. Es geht immer ums Ganze. In der Regel hinterlässt sie mindestens eine Spur von einer Femme fatale. Und ganz gleich, ob sie die Schwachen, Verlorenen, die Sperrigen oder die Großen, Autoritären darstellt, immer ist ihre Präsenz gebieterisch. Wie sehr sie Königin sein kann, zeigte sie zwei Mal als Elizabeth I., in Shekhar Kapurs Filmen »Elizabeth« (1998) und »Elizabeth: The Golden Age« (Elizabeth – Das goldene Königreich, 2007). Der erste Teil verschaffte ihr den Durchbruch im internationalen Mainstreamfilm und wirkte imageprägend. Mit Gusto sprach sie im zweiten Film die – leicht verkürzten – Worte der historischen Figur: »I know I have the body of a weak and feeble woman, but I have the heart and stomach of a king.« Der Körper einer Frau, doch das Herz eines Königs – und nicht etwa einer Königin.In den »Elizabeth«-Filmen regieren der hohe Ton, das Pathos, die heroische weibliche Selbstbehauptung gegen die Männer und den Rest der Welt. Cate Blanchett beherrscht die leisen Töne, aber sie hat auch ein Mordstemperament. Elizabeth trumpft auf: »I, too, can command the wind!« Doch selbst in den autoritärsten Momenten lässt sie neben dem Willen zur Macht und zur Verteidigung ihres Landes immer noch etwas anderes aufscheinen: Angst zum Beispiel. Die Fähigkeit, Vielschichtiges in einem einzigen Moment auszudrücken, gibt ihrem Spiel Tiefe. Doch spannt sie ihren Bogen auch weit: Schon in den »Elizabeth«-Filmen unternimmt sie die innere Reise vom frechen Gör, das Fehler begeht, bis hin zur Machthaberin, die am Ende cleverer ist als alle anderen.
In einer Rolle aus jüngster Zeit, in »Cinderella« (2015), schraubt sie den Herrscherinnen-Typ – sie spielt die tyrannische Stiefmutter – um eine Drehung weiter ins Karikaturenhafte. »Es interessiert mich, was jemanden böse macht, die Entscheidungen, die wir im Leben treffen: Wir können durch Erfahrung wachsen oder schrumpfen«, erklärte Blanchett dazu im Interview. Dass sie Märchen, das Sagenhafte und das Mythologische ernst nimmt, hatte sie lange vor »Cinderella« schon in »The Lord of the Rings« bewiesen.
Noch bevor Blanchett Superstar-Status erlangt und Oscar-Lorbeeren geerntet hatte, sah man sie als Elbenkönigin Galadriel in der »Herr der Ringe«-Trilogie (2001–3). Obwohl sie nur in Einzelszenen in den drei Filmen erschien, blieben ihre Auftritte selbst denen im Gedächtnis, die weder zu Kennern noch zu Fans der Tolkien-Filme gehörten. Mysteriös und entrückt lässt Galadriel ihre Magie spielen, als sie Frodo im Wald von Lothlorien beherbergt und ihre geistige Kraft gegen die korrumpierende Macht des Rings erprobt. In weißem Gewand, mit langem Haar, fließendem Gewand – und mit spitzen Ohren – ist sie eine übersinnliche Feen-Queen: sanft, melancholisch und weltfern. Der Film akzentuiert die Außergewöhnlichkeit ihrer Erscheinung, die im Mythischen zu Hause ist. Aber auch hier ist sie eine Frau mit Macht, Zauberkräften gar, die Frodo zum Zittern bringt.
Selten spielt Cate Blanchett Charaktere, die ohne weiteres zur Identifikation einladen. Das Mädchen von nebenan ist sie nie. Ihre Figuren haben oft etwas Extremes, Gefährliches oder Gefährdetes. Ihr Spiel akzentuiert diese Seiten. Cate Blanchett ist eine Schauspielerin der Distanz. Sie biedert sich nicht an, weder im Film noch auf der Bühne noch bei ihren Publicity-Auftritten. Auch ihre öffentliche Persona nimmt diesen Faden auf. Sie präsentiert sich kühl und intelligent, manchmal fast arrogant schlagfertig und bereit, schnell in die Defensive zu gehen. Dazu passt ihr dress sense, die Art, wie sie sich auf dem roten Teppich und bei Interviews kleidet und für die Modeliebhaber sie bewundern. Auch in ihren allgegenwärtigen Armani-Parfümreklamen setzt Cate Blanchett kühles Charisma ein anstelle von offensivem Sex-Appeal.
Als sie ihren Academy Award für »Blue Jasmine« (2013) in Empfang nahm, waren ihre ersten Worte an das zum Beifall aufgestandene Publikum charmant respektlos, mit einem Seitenhieb auf Hollywoods Jugendkult: »Sit down, you're too old to be standing.« An gleicher Stelle nahm sie die Gelegenheit war, einen Appell an die Filmstudios zu richten: Große Frauenrollen seien keine »Nischen-Erfahrungen«, im Gegenteil, sie brächten Geld. Hier trat keine tränenüberströmte Oscar-Empfängerin vor die Kameras, die eine Liste von Danksagungen abspulte.
Blanchett erinnert an große Glamour-Stars des klassischen Hollywood wie Barbara Stanwyck oder Maureen O'Hara, die ausgeprägte, selbstbewusste Charaktere verkörperten. Eine Paradefigur in dieser Riege war Katharine Hepburn, die Cate Blanchett sicher nicht zufällig in Martin Scorseses »The Aviator« (2004) spielte, in ihrem harten Glamour, ihrer Affektiertheit, mit ihrem High-Society-Akzent und ihrer Burschikosität. Das schrammte hart an der Karikatur vorbei. Doch auch als Hepburn zeigte sie Vielschichtiges; sie sah das Neurotische, Verwundete und Verwundbare unter dem Amazonenpanzer ihrer berühmten Vorgängerin. Ein erster Academy Award krönte diese Darstellung. Mag sein, dass eine biografische Gemeinsamkeit Blanchetts Einfühlung beflügelte. Beide Schauspielerinnen erlitten in ihrer Kindheit große Verluste: Blanchett verlor ihren Vater, als sie zehn Jahre alt war, Hepburn erlebte den Selbstmord ihres Bruders mit dreizehn. Cate Blanchett brachte als Katharine Hepburn noch ein anderes Merkmal jener fast verschwundenen Spezies der Respekt gebietetenden Diven zum Glänzen: ihre Unnahbarkeit. Ein Wesenszug, den Blanchett selbst immer wieder, in ihren Rollen und in ihrer Persona, an den Tag legt, in zeitgemäßer, etwas gelösterer Form.
So etwa in Steven Soderberghs zum Film noir stilisierten Werk »The Good German« (2006). Der Film erzählt eine Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs und adaptiert die Atmosphäre der Zeit in Schwarz-Weiß-Bildern und mit den technischen Mitteln der Ära. Blanchett schmiegt sich dem cineastischen Stil der vierziger Jahre an. Sie gibt die gebrochene Schönheit mit rauchiger Stimme, in Satinkleidern, mit Schimmerbroschen und Lippenstift, der so dunkelrot ist, dass er auf der Leinwand schwarz aussieht. Die Rolle der Diva liegt ihr.
Auch hier deutet sie ein Spiel im Spiel an, mit einer Spur theatralischer Übertreibung: Sie ist aus der Zeit, aber auch einen verfremdenden Millimeter weit aus der Wirklichkeit gefallen. Mit dieser schauspielerischen Eigenart, und auch mit der Auswahl ihrer Filme, die zum Großteil das Arthouse-Publikum ansprechen, macht sich die Australierin nicht nur Freunde. »Die Hälfte dieser Cate-Blanchett-Filme – das sind so kunstige Sachen. Ich sage nicht, dass es schlechte Filme sind, aber ich glaube nicht, dass die meisten überdauern werden«, vertraute etwa Quentin Tarantino im August diesen Jahres dem »New York Magazine« an.
In ihrem jüngsten Film »Carol« (2015) führt Todd Haynes Regie, der sie schon 2007 in »I'm Not There« eingesetzt hatte. Wieder ist Blanchett in einem historischen Stück zu sehen, das in die fünfziger Jahre zurückführt. Wieder entsteht durch ihre Schönheit, Selbstsicherheit und gesellschaftliche Stellung eine dramatische Fallhöhe – sie taumelt auf einen Abgrund zu, und erneut hat sie die Zügel dabei in der Hand. Die verbotene Liebe zwischen zwei Frauen in den fünfziger Jahren: Das ist der romantische Stachel der Story, die auf einem Roman von Patricia Highsmith basiert. Es ist die ganz große, unmögliche Liebe, die Blanchett in einem Interview so beschrieb: »Es ist gefährlich, Du bist außer Kontrolle, es ist wie eine Art von Panik und Furcht. Dein Herz schlägt buchstäblich schneller.«
Gezügelt werden die maßlosen Gefühle durch Haynes' stilisierte Inszenierung, in der Atmosphäre und Struktur eine Hauptrolle spielen. Cate Blanchetts Ausdrucksweise – die sich wiederum an filmischen Vorbildern des klassischen Hollywood orientiert – kommt Haynes' Hang zum Formalismus entgegen. Gut möglich, dass Blanchett ihren Stil auch ihrer Herkunft vom Theater mit seiner im Vergleich zum Film traditionell weniger dem Naturalismus verpflichteten Formensprache verdankt. Wie wichtig ihr die von ihr von 2008 bis 2013 mit ihrem Mann Andrew Upton geleitete Sydney Theatre Company war, unterstrich sie noch in ihrer Oscaransprache.
Gezügelt werden die maßlosen Gefühle durch Haynes' stilisierte Inszenierung, in der Atmosphäre und Struktur eine Hauptrolle spielen. Cate Blanchetts Ausdrucksweise – die sich wiederum an filmischen Vorbildern des klassischen Hollywood orientiert – kommt Haynes' Hang zum Formalismus entgegen. Gut möglich, dass Blanchett ihren Stil auch ihrer Herkunft vom Theater mit seiner im Vergleich zum Film traditionell weniger dem Naturalismus verpflichteten Formensprache verdankt. Wie wichtig ihr die von ihr von 2008 bis 2013 mit ihrem Mann Andrew Upton geleitete Sydney Theatre Company war, unterstrich sie noch in ihrer Oscaransprache.
Als sie 2012 mit der englischen Version von Botho Strauß' Stück »Groß und Klein« auf Theatertournee ging, war ihr Auftritt ein Ereignis. Auch und gerade auf der Bühne erwies sie sich als schauspielerische Naturgewalt. Sie spielte die Außenseiterin Lotte, die an den Fenstern der Gesellschaft kratzt und dazugehören, lieben und geliebt werden will. Lotte erlebt bei Blanchett einen langsamen, tiefen Fall, die allmähliche Fragmentierung ihrer Person. Zu Beginn funktionieren ihre Mechanismen des Schönredens gerade noch. Sie psalmodiert sich selbst ins Delirium eines Daueroptimismus – in einen an messianischen Wahn grenzenden Lebensenthusiasmus. Etwas später im Stück fragt Lotte dann, mit wachsender Verzweiflung: »Where can I go?«, und am Ende, mit tränenüberströmtem Gesicht: »What will I do when the music stops?« Wunsch und Wirklichkeit, bürgerliche Konventionen und Gefühl können nicht mehr versöhnt werden: Blanchett macht die Bruchstellen sichtbar. Das ist ein typisches Szenario für ihre Charaktere.
Oft stürzen sie sich, wie Sheba Hart, die Schullehrerin in »Notes of a Scandal« (Tagebuch eines Skandals, 2006), in Erfahrungen, die außerhalb des Gewöhnlichen oder Erlaubten liegen und in ein Geflecht von Verstrickungen, Verfehlungen und Verleumdungen führen. Härte und Weichheit sind Gegenpole, die diese Kopf- und Nervenschauspielerin wiederholt auslotet. So auch in »Oscar und Lucinda« (1998), in dem zwei Exzentriker – an ihrer Seite Ralph Fiennes – ihre Spielsucht mit teilweise katastrophalen Folgen ausleben. Wenn ihre Figuren ihre Masken fallen lassen, zeigen sich darunter oft Spuren von Verrücktheit, Obsessionen oder Verzweiflung.
In einem ihrer größten schauspielerischen Erfolge, in Woody Allens »Blue Jasmine« (2013), poliert sie diesen Rollentypus zur Perfektion. Jasmine ist eine gefallene Diva, eine gestürzte Königin, eine Frau, die wie Gloria Swanson als Norma Desmond in »Sunset Boulevard« ihre Glanzzeit hinter sich hat. Komisches Potenzial liegt im melodramatischen Auftritt ihrer Figur, deren Grundzüge kräftig aus dem Film herüberwehen, der für »Blue Jasmine« Pate gestanden hat: Elia Kazans »A Streetcar Named Desire« (Endstation Sehnsucht, 1951). Wie Blanche DuBois – damals von Vivien Leigh gespielt – lebt Blanchetts Jasmine in ihrer eigenen Welt, mit einer Vorstellung von sich selbst und Ansprüchen ans Leben, die mit den desolaten Tatsachen nichts mehr zu tun haben. (Blanchett spielte Blanche DuBois 2009 übrigens selbst auf dem Theater). Anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen, leistet sie sich einen Taumel von Hochmut, Scham, Verzweiflung und monumentaler Verblendung.
Es geht um Lebenslügen, aber es ist bei Woody Allen, wie bei Kazan auch, eine Geschichte vom Altwerden einer Frau, die hier miterzählt wird. Man könnte meinen, dass Cate Blanchett, damit schon früh im Leben – mit 44 – im Altersfach angelangt wäre. Doch eigentlich ist sie alterslos. Das gehört zu dem Ephemeren, Ungreifbaren, das sie umgibt, trotz der immer wieder behaupteten, skandalfreien Bodenständigkeit und eines offenbar stabilen Familienlebens, das sich in Australien, fernab von Hollywood, abspielt. Sie ist so alterslos, wie sie auch die Grenzen der Geschlechter scheinbar spielend überschreitet: etwa in Todd Haynes' »I'm Not There« (2007), in dem sie den jungen Bob Dylan verkörperte. Darin spitzt sie das Spiel mit den durchlässigen Identitäten, das dieser Film treibt, zu wie kein anderer der Kollegen – darunter Christian Bale und Heath Ledger –, die ebenfalls in die Rolle des Musikers schlüpfen. Blanchett gibt Bob Dylan viele Gesichter, die alle authentisch wirken. Und am Ende vergisst man, dass sie Cate Blanchett ist.
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