Frauenfiguren im Film – Ist das jetzt Emanzipation?
»Sicario« (2015) mit Emily Blunt
Das aktuelle amerikanische Kino drängt sie uns geradezu auf: starke Frauen. Wie Emily Blunt, die in dem Thriller »Sicario« an der mexikanischen Drogenfront kämpft
Sie unterschreibt nicht freiwillig, aber sie unterschreibt. Alejandro richtet seine Pistole auf ihren Kopf und hält ihr den Kugelschreiber hin. Und Kate Macer bestätigt mit ihrer Unterschrift, dass der Einsatz unter Beachtung der Vorschriften und Gesetze durchgeführt worden ist. Doch was sich in Wirklichkeit zugetragen hat, spricht jeglichem Rechtssystem Hohn und spottet jeder Beschreibung: Sowohl auf dem eigenen Territorium, in den USA, als auch auf dem des Nachbarstaates Mexiko hat eine geheime amerikanische Task Force Straftaten bis hin zum Mord begangen – im Rahmen eines Plans, der nicht die Beendigung des Verbrechens selbst zum Ziel hat, sondern lediglich die Herstellung einer handhabbareren Struktur; die Wiederetablierung des Marktmonopols des kolumbianischen Drogenkartells soll dem in die USA überschwappenden Kleinkrieg der mexikanischen Drogenkartelle Einhalt gebieten. Souveränität und Verfassung der beteiligten Staaten sind dabei vernachlässigbare Größen.
Mittel zum Zweck ist eben jener Alejandro, ein von Rachsucht getriebener Söldner, der seine brutalen Fähigkeiten in die Dienste jener stellt, die ihn in die »richtige« Richtung von der Leine lassen. Auch er ein Korrumpierter, ein ehemaliger Justizbeamter, der seine Familie an den Drogenkrieg verlor und seine moralischen Maßstäbe und Wertvorstellungen gleich mit. Jetzt bohrt er potenziellen Informanten die Finger in die Ohren und unterbreitet Angebote, die man nicht ablehnen kann.
»I can’t sign this«, flüstert also Kate, und in Emily Blunts klarem, nüchternem Gesicht zeigt sich keine Todesangst. Was sich vielmehr darin spiegelt, ist die Bankrotterklärung der Demokratie in Form von Ratlosigkeit und Verzweiflung. Verzweiflung über die Zumutung, die ein offenbar schwer beschädigtes politisches System an sie richtet, ebenso wie Verzweiflung über das eigene Versagen, weil sie dieser Zumutung nachgibt. Schließlich ist einem das Hemd näher als der Rock, und soll man wirklich für eine Politik sterben, die einen verraten hat? Zumal, wenn »man« eine Frau ist?
Kühle Frau, hysterische Kerle
Anders gefragt: Welche Funktion kommt Kate Macer im Kontext von Denis Villeneuves »Sicario« eigentlich zu? Als FBI-Agentin und Leiterin eines auf Entführungsfälle spezialisierten Einsatzteams wird sie ihrer Kompetenz wegen einem Unterfangen beigezogen, das dessen Leiter wiederum etwas schwammig beschreibt: Um eines mexikanischen Drogenbarons habhaft zu werden, gelte es, dessen US-amerikanischen Gewährsmann unter Druck zu setzen, und dazu sei es notwendig, »to dramatically overreact«, dramatisch überzureagieren, man könnte auch sagen, »hysterisch« zu werden – also sich eines weiblichen Reaktionsmusters zu bedienen. Nichts liegt Kate ferner als Hysterie, auch die »Waffen einer Frau« weiß sie, wie ihr Freund und Kollege halb tadelnd bemerkt, nicht richtig zu führen – und doch wird gerade sie, die einzige Frau unter all den hysterisch überreagierenden Männern, bitter bestraft. Wofür?
Sagen wir’s mal so: Der Moment, in dem die Frau an den Sandkasten der Männer herantritt und gleiches Recht an den Spielsachen einfordert, signalisiert den Männern, dass es an der Zeit ist, andernorts einen anderen Sandkasten zu eröffnen, für den die patriarchal etablierten Zugangsrestriktionen weiterhin gelten können. Während Kate also innerhalb eines demokratisch legitimierten staatlichen Systems Karriere macht, brechen ihre männlichen Vorgesetzten in einen rechtsfreien Raum auf wie die Pioniere seinerzeit in den Wilden Westen. Und wie im Wilden Westen geht es dort dann auch zu; der Frau bleibt nichts anderes übrig, als sich erneut dreinzufinden in die aus dem Western sattsam bekannte Rolle der händeringenden Zeugin eines barbarischen Blutvergießens im Namen der Zivilisation – an dessen Ende sie dann ins Schulhaus einziehen und an nachfolgenden Generationen Kultivierungsarbeit leisten darf.
Kate Macer ist nicht die Einzige, die als handlungstragende Figur und Stellvertreterin des Publikums die lang schon erhobene emanzipatorische Forderung nach anspruchsvolleren, komplexeren, die weibliche Lebensrealität spiegelnden Frauenrollen im Mainstreamkino zunächst zu erfüllen scheint – um sich am Ende in einer unbequemen Position zwischen den Stühlen wiederzufinden, in der für die endlich erlangte Macht ein hoher Preis fällig wird. Ob man in diesem Zusammenhang von subtil angewandten Entmachtungsstrategien sprechen will oder von einem System in der Krise, in dem die Frau die Funktion des Katalysators erfüllt, hängt wohl von der eigenen Begeisterungsfähigkeit für Verschwörungstheorien ab. So oder so lohnt sich der Blick auf einige der aktuelleren Repräsentationsformen von Weiblichkeit und deren Relation zur Macht.
Abenteuerliche Umtriebe
Zwar ist die Kriegerin in der Figurentypologie des Weiblichen, wie sie der Mainstream entwirft, kein Neuzugang. Verändert aber haben sich die Motive, aus denen heraus die weibliche Heldin sich auf den Feldzug begibt. Nicht mehr »nur« Selbstverteidigung oder Rache lassen inzwischen die Frau zu den Waffen greifen. Immer öfter geht es um the greater good, das höhere Ziel, um revolutionäre Motive, den Widerstand gegen die im Argen liegenden Verhältnisse.
Voll realisierte Lichtgestalt dieser Entwicklung, die dazu führt, dass Heldinnen sich auch auf dem ehrenvollen Schlachtfeld zwischen Gut und Böse oder dem Bubenspielplatz der Selbstzweck-Action tummeln dürfen, ist Katniss Everdeen (dargestellt von Jennifer Lawrence) im »Die Tribute von Panem«-Franchise. Als deren Vorkämpferin wiederum kann eine gewisse Elizabeth Swann (Keira Knightley) gelten, die Gouverneurstochter, die sich im Verlaufe dreier »Pirates of the Carribean«-Filme von der romantisch begeisterten Abenteurerin zur wild entschlossenen Piratenkönigin entwickelt und schließlich den Widerstand gegen die von der East India Trading Company vertretenen kapitalistischen Verwertungsinteressen anführt, die die Welt der Freibeuter mit Vernichtung bedrohen. Doch sowohl Everdeen als auch Swann müssen zur Erlangung ihrer Ziele zu unlauteren Mitteln greifen, müssen lügen, betrügen, täuschen, manipulieren. Die gute alte Zeit des ehrenwerten Helden mit der weißen Weste und dem weißen Hut ist endgültig vorbei, an seine Stelle tritt eine modernere, durchaus auch realistischere Vorstellung vom Helden als menschlichem Wesen mit moralischen Ambivalenzen, Schwächen und Fehlern – und bevorzugt konkretisiert wird es in Gestalt einer Frau.
Das schlüssige Bild liefert in diesem Zusammenhang erneut Emily Blunt: Auch in dem wüst zusammenfabulierten Zeitschleifen-Alienkrieg-Science-Fiction »Edge of Tomorrow« (Doug Liman, 2014) spielt sie eine Kriegerin, den »Engel von Verdun«, deren Funktion es ist, die Funktionsfähigkeit ihres männlichen Kameraden sicherzustellen, indem sie immer wieder die Reset-Taste drückt: Hunderte Male erschießt sie daher Actionheld-Ikone Tom Cruise – eine Wachablösung, die selbst dann noch ihre ikonographische Gültigkeit behält, wenn Blunts No-nonsense-Figur allmählich Cruises Strahlemann-Charme erliegt.
Most Violent Femmes
Keinerlei Zweifel an der Entschlusskraft, Durchsetzungsfähigkeit und Skrupellosigkeit ihrer Figur, der CIA-Agentin Maya, lässt auch Jessica Chastain in »Zero Dark Thirty« (Kathryn Bigelow, 2012) aufkommen. Zwar wendet die Jägerin Osama bin Ladens zu Beginn noch den Blick ab, als ihr Kollege im Zuge eines Verhörs seinen Gefangenen mit Waterboarding foltert. Die Annahme, ihre Distanziertheit signalisiere auch eine Verurteilung der angewendeten Methode, stellt sich jedoch spätestens dann als Illusion heraus, als sie für Wassernachschub sorgt.
Auch Maya steht nicht über ihten folternden männlichen Kollegen, auch ihr ist zur Erreichung des Ziels jedes unlautere Mittel recht, auch sie setzt sich über Recht und Gesetz hinweg. Und auch sie macht den Eindruck einer von innerer Leere Getriebenen, privat Einsamen, die implodiert, als die Aufgabe endlich vollbracht ist und bin Ladens Leiche vor ihr liegt. Ma hört förmlich, wie das Vakuum in ihr sich zischend mit Nichts füllt - womöglich dann erst trifft einen überraschend die Erkenntnis, dass das Privileg des männlichen Helden, nicht über einen familiären oder romantischen Beziehungshintergrund charakterisiert zu werden, hier auf eine Frauenfigur angwendet wird.
Eine Frau, die keine Angst hat, sich die Finger schmutzig zu machen, spielt Chastain erneut in »A Most Violent Year« (J.C. Chandor, 2014). Als Tochter eines Gangsters aus Brooklyn steht sie nicht an, ihrem Mann die Hilfe ihrer Familie anzubieten, als das gemeinsam geführte Heizölunternehmen von der mafiös organisierten Konkurrenz massiv unter Druck gesetzt wird. Der Mann lehnt ab, muss sich dafür von ihr eine »fucking pussy!« schimpfen lassen und am Ende feststellen, dass sie hinter seinem Rücken die Bücher frisiert hat. Man fragt sich, um einen altmodischen Ausdruck zu gebrauchen, wer in dieser Ehe die Hosen anhat.
Aber ist nicht viel faszinierender noch der Umstand, dass hier eine Frau mit beträchtlicher krimineller Energie im Hintergrund die Fäden zieht, während zur Schaufront hin der Mann im Kamelhaarmantel die ehrenwerte Fassade aufrechterhält? Eine Verlagerung der Rollentypologie, die das traditionsreiche Lady-Macbeth-Motiv variiert, jenes misogyne »Cherchez la femme!«, das hinter jedem üblen männlichen Treiben eine weibliche Anstifterin vermutet.
In welch festem Griff beispielsweise haben die Frauenfiguren von Amy Adams ihre jeweiligen Männer in »The Master« (Paul Thomas Anderson, 2012) und »The Fighter« (David O. Russell, 2010). Buchstäblich am Schwanz packt Peggy Dodd ihren Lancaster, als der mit Freddie Quell eine für ihren Geschmack zu männerbündlerische Freundschaft eingeht, die sie auszuschließen droht – sie holt ihm mit geübten Handgriffen am Waschbecken im Bad einen runter und den Mann damit auf den Boden der Tatsachen zurück. Charlene Fleming dagegen liefert sich mit der prolligen Weibersippe ihres geliebten Boxers Micky einen dirty Catfight auf der Veranda, um ihren Einflußbereich ein für alle Mal abzustecken – auch nicht eben ladylike.
Doch während die ursprüngliche Lady Macbeth ihren Machthunger mit Wahnsinn und Tod büßt, und das ziemlich rasch – zuletzt von Marion Cotillard in Justin Kurzels recht konservativer Adaption des Shakespeare-Dramas einleuchtend demonstriert –, folgt inzwischen die Strafe nicht mehr unmittelbar auf dem Fuße. Was allerdings auch bedeutet, dass Frau und Mann im gleichen korrupten System agieren und den gleichen korrumpierenden Mechanismen unterworfen sind, ja sich gegenseitig bei deren Errichtung und Aufrechterhaltung befeuern.
Dass die Frau in der Machtposition nicht automatisch eine bessere Figur macht als der Mann, ist zwar keine neue Erkenntnis, aber doch eine profund unerfreuliche. Die zudem die Frage aufwirft, wem nun eigentlich noch welche Möglichkeiten bleiben, da sich doch herausstellt, dass die kriminellen Tendenzen des Systems im Allgemeinen stärker sind als die hehren Maßstäbe, die bei seiner Konstruktion angelegt worden sind. Dass Macht korrumpiert, ist ein alter Hut, doch wer behält in dieser Versuchsanordnung nun noch seine Integrität? An der Kategorie Geschlecht lässt sich der Gutmensch jedenfalls nicht mehr festmachen. Wie also steht es um die Kategorie »Mensch«?
Die Freiheit der Maschinen
Nehmen wir Scarlett Johansson, die Üppige, Kurvenreiche, der Sinnlichkeit und Leidenschaft aus jeder Pore dringen und deren Erscheinungsbild in angenehmster Weise an die Leinwand-Sexgöttinnen der 1950er Jahre erinnert, allen voran Marilyn Monroe. Kann es Zufall sein, dass Johansson in »Don Jon« (Joseph Gordon-Levitt, 2013) ein US-Zickenklischeekonzentrat spielt, das in der Realität nicht überlebensfähig wäre? Dass sie in »Under the Skin« (Jonathan Glazer, 2013) ein männerfressendes Alien, in »Lucy« (Luc Besson, 2014) eine vom Analogen ins Digitale mutierende Welterlösungswaffe und in »Her« (Spike Jonze, 2013) den eigenen Körper schließlich ganz aufgibt und nur mehr als (zugegeben extrem sexy) Stimme präsent ist? Und ist es Zufall, dass Alicia Vikander in der Rolle von Roboter Ava in »Ex Machina« (Alex Garland, 2015) als einzige Figur den Eindruck eines wahrhaft freien Wesens erweckt? »Posthuman heroines« nennt Manohla Dargis diese Figuren in ihrer Rezension des Films in der »New York Times« und zieht eine naheliegende Verbindung zum Pygmalion-Stoff; als distinguierendes Merkmal hält sie allerdings auch den radikalen Sinn für Autonomie fest, der diese Heldinnen beseelt.
Während also die Menschenfrauen über ihre Teilhabe an der Macht deren Missbrauch legitimieren, überlebt das ursprünglich freie Wesen mit dem sicheren Gespür für Richtig und Falsch als Mutation, als Artefakt, als Fremdes – wobei wiederum interessant ist, dass auch diese Entitäten gerne in Gestalt einer Frau imaginiert werden.
Kommentare
Mad Max - Fury Road
Ja, und dann wäre da noch Imperator Furiosa aus "Mad Max - Fury Road". Charlize Theron spielt die Figur mit Plan, charakterlicher Entwicklung, Heldenreise, kurz: die Protagonistin des Films.
Die Besatzung des "War Rig" besteht außer der starken Frontfrau aus vor dem Schicksal als Sexualobjekt und Gebärmaschine geflohenen jungen Frauen und zwei Typen, die sich von ihren "typisch maskulinen" Zielen ("Überleben/eigenen Weg gehen" und "Valhalla!!!") ab- und ihrer femininen Seite zuwenden, um schließlich alle gemeinsam als kluges Kollektiv gegen die stoisch auf Aufrüstung bauenden Machokrieger zu siegen und am Ende die diktatorische Zitadelle in eine gerechtere, hoffnungsvollere Keimzelle einer Zukunft zu verwandeln versprechen (zumindest den Zuschauern, das Ende bleibt ja offen wie nix). Das alles aber verpackt im furiosesten Actionfilm des Jahres - das ist subversiv "feministischer" als das meiste, was sich offensichtlicher diesem Thema widmet. Und zwar gerade dadurch, dass es so unausgesprochen bleibt.
Schönster Moment: Wenn Max nur noch einen letzten Schuss hat, Furiosa sich hinter ihn stellt, er ihr wortlos das Gewehr reicht, sie seine Schulter als Stativ benutzt, knapp anmerkt "Don't breathe", schießt - und trifft.
Natürlich kann man über den "Wet T-Shirt contest" in der Wüste oder die allzu hübschen Geliebten Joes sinnieren - aber das bleibt alles in der Logik des natürlich männlich dominierten Kosmos. Der aber eben infrage gestellt wird wie selten. Ähnlich, wie "Avatar" ein eindeutiger Kommentar zu militärischem US-Imperialismus in Vietnam oder anderswo war - wobei die Schlachten und Kampfmaschinen natürlich das Herz jedes Waffennarren höher schlagen ließen, aber der Protagonist sich eben abwendet und die Kriegsmaschine am Ende einfach nach hause geschickt wird.
Hier werden Dramaturgien erprobt, die mit Herkömmlichen brechen, auch was die Geschlechterrollen angeht. Wie Brecht schon sagte, kommt es nicht darauf an, die gesellschaftlichen Zustände "widerzuspiegeln", sondern ihnen "den Spiegel vorzuhalten". Schön, wenn das auch immer öfter im Mainstreamkino geschieht.
Ich finde Vera Farmiga in
Ich finde Vera Farmiga in Source Code ist noch erwähnenswert. Ich bin mir nicht sicher ob sie für den Film als Weibliche Hauptrolle oder Nebendarstellerin bezeichnet wird, aber sie hat in dem Film auf jeden Fall die nötige Verantwortung und gleichzeitig die geistige Reife um Entscheidungen zu hinterfragen, und nicht einfach das tut was man von ihr erwartet.
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