Kritik zu Alle hassen Johan
Das Drama eines Außenseiters auf dem hindernisreichen Weg zu sich selbst, erzählt mit viel schwarzem Humor und der Schönheit der mal schroffen, mal erhabenen Natur Norwegens
Johan Grande wächst in einem explosiven Umfeld auf. In der ersten Szene des Films »Alle hassen Johan« des norwegischen Regisseurs Hallvar Witzø ist Johan 1943 inmitten einer meerlandschaftlichen Postkartenidylle als pausbackiges Baby zu sehen. Sein erstes Wort – »Mama« – wird von den Eltern (Ine F. Jansen und Paul-Ottar Hagen) mit Freude aufgenommen. Dann knallt es. Ella und Stor-Johan Grande aus dem norwegischen Fischerdorf Titran auf der Insel Froya sprengen als Widerstandskämpfer serienmäßig Brücken, um dem Expansionsdrang der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs zu begegnen. 2022, knapp 80 Jahre später, beschließt eine gewaltige Explosion Johans Existenz auf Erden; er hat es so gewollt.
Auch dazwischen – 1951, 1959, 1974 und 1993 – gehören Dynamit und Zünder zu zentralen Elementen des Films. Er macht sich den Spreng-Enthusiasmus der in Titran unbeliebten Grandes und von Johans Freundin Solvor (Ingrid Bolso Berdal) allerdings nicht zu eigen. Aufmunternde Formeln wie »Das wird ein Riesenspaß« und »Alles bestens« sowie die rhetorische Frage »Sollen wir was sprengen?« enden in der Katastrophe. Johan wächst nach dem Tod der Eltern bei Onkel und Tante (Trond-Ove Skrodal und Ingunn Beate Oyen) auf, Solvor sitzt im Rollstuhl.
Witzø und Drehbuchautor Erlend Lo erzählen in sechs Kapiteln das Leben des Johan Grande, der als Icherzähler und mit der Feststellung »Keiner mochte uns« eingeführt und von vier Schauspielern (inklusive Baby) verkörpert wird. Im Jahr 1974 übernimmt Pal Sverre Hagen als prägende Hauptfigur den Part. Ein Hüne mit Bart kehrt nach Titran zurück, nachdem er in Amerika als Sprengmeister Karriere gemacht und ein kleines Vermögen verdient hat. Im Dorf behandeln sie ihn feindselig als Außenseiter, das Projekt Wiederannäherung an Solvor gestaltet sich als schwierig, und erst die Beziehung zur Vietnamesin Pey schenkt ihm ein Gefühl von Glück. Und dann ist da immer noch Ella, Johans Pferd. »Ohne Ella wäre ich gestorben«, sagt er.
»Alle hassen Johan« vereint auf vollkommene Weise schwarzen Humor und das Drama eines Mannes auf dem langen und hindernisreichen Weg zu sich selbst. Auf der Insel Froya leben Menschen, die nicht viele Worte machen, auch nicht um gewichtige Dinge wie den Kreislauf des Lebens und die Fortpflanzung. Der Film verzieht keine Miene, wenn er kühne, unerwartete und manchmal anzügliche Pointen setzt. Selbst das spektakuläre, mutmaßlich von Monty Python beeinflusste Ende von Postmann Frode (John Brungot) inszeniert Witzø mit Sinn für Understatement.
Umrahmt wird das von der von Karl Erik Brondbos Kamera aufgenommenen Natur. Sie spiegelt Weite und Begrenztheit, erscheint abwechselnd schroff und kalt, erhaben und poetisch. Pål Sverre Hagen erschafft als Johan einen Charakter, der in seinen zwei Metern Körpergröße eine unerwartete Zärtlichkeit verbirgt. Und einen naiven Optimismus, den er in einer der schönsten Szenen des Films – Speeddating auf Froya – zum Ausdruck bringt. Bei seinem Gegenüber zündet das leider nicht, beim Zuschauer schon.
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