Kritik zu Corpus Christi

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Ein polnischer Film, der um die Welt geht: Kann er von etwas anderem handeln als vom Katholizismus? Jan Komasas beklemmende Hochstaplerkomödie triumphierte schon bei den heimischen Filmpreisen. Hauptdarsteller Bartosz Bielenia brilliert als Betrüger, der Gutes bewirkt

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Es ist noch keine ausgemachte Sache, dass Daniels Glaube aufrichtig ist. Eingangs könnte er nur eine Laune sein, aus Faszination und Opportunismus geboren. Eine Gewaltbereitschaft blitzt in seinen Augen auf, die ihn ohne Zweifel in die Jugendstrafanstalt gebracht hat, in der wir ihn kennenlernen. Aber seine Stimme klingt ganz hell und innig, wenn er während der Messe singt.

Daniel (Bartosz Bielenia) ist empfänglich für die Botschaft, die Pater Tomasz (Lukasz Simlat) ihm und seinen Kameraden vermitteln will. Seine Predigt soll nicht mechanisch sein, versichert er, sie müssten ihm auch nicht zuhören, sondern könnten auf den Hof gehen und Fußball spielen – Gott würde ihnen schon folgen. Dieser gewährende Gott birgt ein Versprechen für Daniel, das er gern nach seiner Haftentlassung eingelöst sähe. Aber kein Priesterseminar nimmt Straftäter auf, eröffnet ihm der freundliche Pfarrer brüsk beim Abschied. Stattdessen soll er in einem Sägewerk arbeiten, um sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Als Daniel ein letztes Mal mit seinen Kameraden säuft, probiert er den Priesterkragen dennoch an.

Er steht ihm so gut, dass man ihn später in dem kleinen Dorf für einen pilgernden Pfarrer hält. Um das Sägewerk macht er einen großen Bogen, geht vielmehr in die Kirche. Die Messe ist vorüber, aber er begegnet Marta (Eliza Rycembel), die in ihm den Sträfling erkennt, sich aber sogleich von dem Kragen täuschen lässt. Er hat eine Botschaft, für die sie empfänglich ist: Es kommt nicht darauf an, woher man kommt, sondern wohin man geht. Auch der Pfarrer lässt sich täuschen, nimmt ihn bei sich auf; als er ins Krankenhaus kommt, soll Daniel ihn vertreten. Dessen Skrupel währen nicht lang: ein Frevler, der seine Berufung findet.

»Corpus Christi« beruht auf einer wahren Begebenheit und fußt zugleich auf einer Konstellation à la Billy Wilder – der Betrüger wächst geistesgegenwärtig in seine Rolle hinein und wird geläutert –, die er mit einer Mischung aus Spannung, Humor und Besorgnis entfaltet. Jan Komasa und sein Drehbuchautor Mateusz Pacewicz hätten sich mit der Entdeckung zufriedengeben können, dass Daniel in der Priesterrobe ein Naturtalent ist. Das wäre komödiantisch ein hinreichender Befund – und erweist sich tatsächlich als ausbaufähige Pointe. Die unorthodoxen Predigten begeistern die Gemeinde so sehr, dass sie ihm Beifall spendet. Die Gottesdienste werden schlagartig voller. »Pater Tomasz« bringt einen zeitgemäßeren Elan in den frommen Alltag: Er entfesselt den Glauben.

Aber die Hellsicht der Filmemacher schürft tiefer, und Daniels Energie drängt weiter. Es gebricht ihm an Demut; er erfüllt das Amt mit Aufruhr. Sein Gebaren ist eine fortgesetzte Provokation; er begibt sich in einen bilderstürmerischen Rausch. Nicht nur der konservativen Gemeinde mutet er ungeheuer viel zu. Auch den mächtigen Bürgermeister, dem besagtes Sägewerk gehört, fordert er frech heraus. Bei der Dorfjugend kommt sein Furor gut an; die Älteren empört, dass er wie ein Rockstar auftritt. Bald nimmt er auch das letzte Tabu in Angriff: den Verkehrsunfall, bei dem vor einem Jahr sechs Jugendliche ums Leben kamen sowie ein Erwachsener, dem seither die Schuld angelastet wird. Er reißt die tiefe Wunde auf, die in der Gemeinschaft klafft, um sie endlich zu versöhnen.

Daniel ist ein unwägbarer, mitreißender Scharlatan: ein Betrüger, der das Leid der anderen erkennt; ein Hasardeur im eigenen und in Gottes Namen. Je unausweichlicher seine Entlarvung wird, desto frenetischer legt er sich ins Zeug. Bartosz Bielenia bewältigt diese Gratwanderung mit einer Waghalsigkeit, die das Drehbuch allenfalls erahnen konnte. Daniels Predigten sind Beichten, in denen eine Lehre steckt. Der Zweifel, die wütende Suche, die er in ihnen formuliert, sprechen die Gläubigen unvermittelt an. Er offenbart, entäußert sich vor ihnen. Die Wahrheit tarnt sich als Lüge in diesem Film.

Meinung zum Thema

Kommentare

So sehr ich Gerhard Midding als Filmkritiker schätze, diesmal liegt er daneben. "Corpus Christi" ist keine Komödie, schon gar keine "Hochstaplerkomödie" à la Billy Wilder. Der falsche Priester in diesem Film ist weder ein "Scharlatan" noch ein "Betrüger". Dazu ist es ist ihm viel zu ernst um das, was er für die Menschen in dieser abgelegenen Gemeinde tut. Er tut es aus innerer Überzeugung und macht es wesentlich besser als der richtige Priester vor Ort. Dass die Vergangenheit ihn eines Tages einholen würde, war unausweichlich. Das Ende ist heftig und niederschmetternd. Nein, eine Komödie ist dieser Film wirklich nicht.

Der Film ist absolut sehenswert ,er ist keineswegs komödiantisch, sondern spiegelt die Größe eines aus dem Jugendknast entlassenen jungen Mannes,der in der Rolle eines Dorfpriesters sowohl die Seelenqualen der Bewohner begreift und ihnen in seinen kurzen Predigten seine Empathie glaubwürdig vermittelt,aber dabei nicht liebedienerisch ist,wenn es darum geht, den Dorfbewohnern das ,was in der Kirche Liebe und Vergebung ist, konsequent vorzuleben, und dann doch wieder in die Gewaltspirale des Jugendgefängnises deportiert zu werden, weil ihm die Gesellschaft keine Chance läßt,der zu sein, der er ist und sein könnte.

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