Kritik zu I Am Mother
Wissen Roboter, was ein Baby ist? Im Spielfilmdebüt des australischen Regisseurs Grant Sputore geht es um die Grenzen der künstlichen Intelligenz
Bereits zu Beginn des Films ist die Weltbevölkerung fast vollkommen ausgelöscht. Die Kamera fährt durch einen menschenleeren Bunker. Wie in Ridley Scotts »Alien« führen Apparate ein gespenstisches Eigenleben. Maschinen setzen eine andere Maschine zusammen, einen humanoiden Roboter. Die Maschine wählt aus einer unendlich anmutenden Batterie eingefrorener Embryonen einen aus, taut ihn auf und lässt ihn in einer künstlichen Gebärmutter heranreifen, im Schnelldurchgang.
Können Roboter ein Baby nähren und aufziehen? In Grant Sputores Regiedebüt funktioniert das. Der Terminator ist zum Babysitter geworden. Glaubwürdig ist diese Mischung aus Kaspar-Hauser-Drama und autonomer Kindeserziehung nicht wirklich. Der visuell überzeugend ausgestattete Sci-fi-Thriller ist dennoch packend. Er spielt eine diabolische Technikfantasie durch, ähnlich wie in der Netflix-Serie »Black Mirror«.
So erweist Robo-Mama sich als gestrenge Lehrerin. In ihrem Schauspieldebüt verkörpert Clara Rugaard ein Mädchen, das mehr büffeln muss als die heutige Generation PISA. Besonders die ethischen Fragestellungen wie das Trolley-Problem haben es in sich: In einer unabwendbaren Katastrophe wird die Rettung eines Lebens gegen die Rettung mehrerer Menschen ausgespielt: Wie soll man sich entscheiden? Diese Erziehung erscheint in einem anderen Licht, als eines Tages eine angeschossene Frau (Hilary Swank) vor der Luftschleuse erscheint: Die Außenwelt ist also nicht, wie Mutter immer behauptete, kontaminiert. Können Roboter lügen? Aus diesem Problem erwächst ein weiteres, das noch beunruhigender ist: Haben Roboter, wie man bedenkenlos annahm, Gefühle?
Diese Frage spitzt der Film originell zu. Auf eine abgründige Weise wird deutlich, dass »Mutter« eine künstliche Intelligenz ist, eine digitale Version des kategorischen Imperativs, die ihre »Tochter« in einer Laborsituation zum perfekten Menschen drillt. Das Experiment ist jedoch von Anfang an außer Kontrolle, weil die Tochter in der defizitären Familiensituation einer Mutter-Kind-Dyade feststeckt. Nicht zufällig gibt es in diesem Film keinen Mann – sogar eine Maus, die sich in den Bunker verirrt, wird umgehend pulverisiert. Ohne väterliches Korrektiv, so wird deutlich, bleibt die Tochter auf ewig ein Anhängsel dieser Mutter.
Warum nur hat »Tochter« keinen Namen? Als sie bemerkt, dass sie kein Individuum ist, sondern Exemplar einer Gattung, das als Objekt in einer Versuchsreihe fungiert, zeichnet sich die Kehrseite des Erziehungsexperiments ab. »I am Mother« spiegelt das Motiv künstlicher Intelligenz überraschend mit ethischen und psychologischen Aspekten ineinander. Das ist sehenswert, weil der Film komplexe Fragen aufwirft, ohne verkopft zu sein. Getrübt wird das Vergnügen nur durch die unscharf gezeichnete Figur Hillary Swanks. Zudem fragt man sich, wem in dieser postapokalyptischen Welt eine vollautomatisierte Landwirtschaft dient? In dieser kammerspielartigen Dystopie stimmt nicht alles. Sie wirkt aber dank ihrer eleganten Machart lange nach.
Kommentare
diestorypasst
habt ihr den Film zuende gesehen:-)
die vollautomatisierte Landwirtschacht dient dazu, die neuen, perfekten Menschen zu versorgen...
Antwort auf Frage
Zudem fragt man sich, wem in dieser postapokalyptischen Welt eine vollautomatisierte Landwirtschaft dient?
Den Robortern.
Biodiesel, wie die stillstehenden Olförderanlagen implizieren.
Viel lernen müssen wir doch
Viel lernen müssen wir doch genauso. Mit dem trolley Problem möchte Mutter nur den moralischen Kompass überprüfen, weshalb sie auch fragt, ob Töchterlein denn die Bücher gelesen hat. Das mit dem mutter-kind ding macht gar keinen Sinn. Woher soll denn ein Mann kommen.. Mutter ist eine KI, eine. Die Maus muss sterben um die Geschichte mit dem Virus aufrecht zu erhalten. Hat dich der Author durch den Film nur durchgeklickt? In diesem Artikel stimmt nicht alles :P
Ein überraschend vielschichtiger und sehr faszinierender Film
Der Film hat mich so sehr mitgerissen, dass ich gerne Werbung dafür mache.
Wenn man die Rahmenbedingungen des Filmes hinnimmt: Menschheit ist ausgelöscht, Embryonen lassen sich technisch bis zur Geburt versorgen, dann kann man sich vielen interessanten Fragen zuwenden: Was und wie sollten Menschen sein, wenn die Menschheit schon einen Neuanfang versucht (der "ideale oder perfekte" Mensch?!)? Was zeichnet Künstliche Intelligenz (KI) aus? Kann ein lernender Roboter eigentlich die Aufgabe, Kinder in dem Sinne aufzuziehen und „auszubilden“, meistern?
Das alles entwickelt sich im Film auf eine sehr unaufdringliche und – wie ich finde – mitreißende Art in jeder Szene weiter. Daran hat die junge Hauptdarstellerin Clara Rugaard einen gewaltigen Anteil: Eine großartige schauspielerische Leistung, wie ich finde, denn die „Tochter“ geht in einen wilden Trip durch alle möglichen, teilweise extremen Gefühlslagen, und das wirkte auf mich sehr überzeugend.
Das Tempo nimmt besonders im Schlussteil sehr zu und am Ende war ich überrascht, erstaunt, fasziniert und wegen der emotionalen Intensität durchgekaut. Gleichzeitig haben die Erkenntnisse aus den Schluss-Szenen weiter in mir gearbeitet und ich habe den Film dann ein paar Tage später nochmal angeschaut.
Danach und jetzt denke ich, das Film-Team hat wie an einem Kunstwerk an den Szenen gearbeitet: Jede trägt etwas zum großen Ganzen bei, nichts ist überflüssig, sondern Information. Das Ergebnis ist so was von schalkhaft und durchtrieben... Oder was soll das sein, wenn der Film einem ganz offen etwas mitteilt, aber der Zuschauer ahnungslos bleibt?
Dabei hat der Film nur wenig Effekt-Hascherei, die vermutlich den Genres „Thriller“ und „Horror“ geschuldet sind, in denen der Film auch geführt wird. Die Effekte braucht der Film nicht, um zu wirken: Wer sich darauf einlassen kann, den nimmt der Film intensiv mit in diese Welt und die ethischen Herausforderungen – für mich ist genau das gutes Kino!
So scheinbar ganz nebenbei gibt der Film Antworten auf alle obigen erwähnten Fragen! Das finde ich mutig, weil es so komplexe Fragestellungen sind, und gleichzeitig überzeugen mich diese Antworten und stimmen mich sehr zuversichtlich für die zukünftige Welt im Film.
Ich kann die Kritik nicht teilen, dass der Film nicht genügend auf die soziologischen Bedingungen eingeht, weshalb manche meinen, die KI-Mutter im Film „funktioniere“ nicht: Klar, ob der gezeigte Roboter nicht auch menschlicher aussehen könnte, fragt man sich. Aber ist das das Entscheidende? Ich denke, dass es so, wie es im Film dargestellt wird, gehen würde – wenn es denn sein muss (s. Rahmenbedingungen) – und der Film macht im Gegenteil sogar klar, was KI „besser“ kann als jeder Mensch. Und wo die Grenze ist.
Im Übrigen kann jede und jeder mindestens an einer Stelle an sich selber bemerken, ob Mutter und Tochter etwas zusammen hab, was soziologisch entscheidend ist.
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