Serien-Tipp: »Black Mirror« Staffel 4
Jesse Plemons in »USS Callister« (2017)
Die erste Folge der Anthologie-Serie »Black Mirror«, die 2011 auf dem britischen Channel 4 die Ausstrahlung begann, war streng genommen gar keine Science-Fiction-Geschichte: Ein Premierminister wird von Kidnappern erpresst, etwas vor laufenden Kameras zu tun, das ihn zutiefst beschämt und sein Image auf immer beschädigen wird. Andernfalls ginge es dem Entführungsopfer, einer Tochter des Königshauses, an den Kragen. Von den technischen Voraussetzungen her hätte diese Geschichte, angesiedelt in einer Art Parallelversion von Großbritannien, auch in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts spielen können, mit einem Publikum, das die Liveübertragung noch vor den Schaufenstern der Elektrogerätegeschäfte schaut. Und doch hat in Zeiten der Social Media die Veröffentlichung »kompromittierender« Aufnahmen eine spürbar andere Qualität erlangt, die allein durch größere Verbreitungszahlen dank weltweitem Internet nicht erklärt werden kann. In der Öffentlichkeit zu stehen, fühlt sich heute völlig anders an als vor der Einführung des Internets und vor allem der Geräte, die jedem einzeln den sofortigen, dauernden Zugriff darauf erlauben: der Smartphones.
»What if phones, but too much« – auf diese nerdhaft-stammelnde Zusammenfassung hat die amerikanische Kolumnistin Mallory Ortberg die Ausrichtung von »Black Mirror« mal gebracht. Einerseits ist das ein sehr ungerechtes Über-den-Kamm-Scheren der bislang erschienenen 19 Episoden, die nun alle auf Netflix verfügbar sind und eine weite Spanne von Zukunftstechniken und deren mögliche Wirkungen abdecken. Andererseits erweist sich das Smartphone mit seinen Techniken des Aufzeichnens und Vernetzens letztlich in der Tat als das dominante Motiv der Serie.
Smartphones haben dafür gesorgt, dass sich alte Feindbilder verschoben haben: statt des achtlosen Passanten, dessen Gleichgültigkeit noch vor wenigen Jahrzehnten ein vielbeklagtes Symptom der Moderne war, gibt es nun den stur mit seinem Handy filmenden Beobachter, der alles immer nur noch schlimmer macht. Wie etwa in der kontrovers diskutierten Folge »White Bear«, in der eine junge Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat, um Hilfe rufend herumirrt, aber immer nur auf stumm bleibende Beobachter trifft, die ihr Smartphone zücken und sie filmen. Wie in den meisten Folgen der Serie gibt es jedoch auch am Ende von »White Bear« einen Twist, der alles in einem anderem, und so viel sei verraten: noch unangenehmeren Licht erscheinen lässt.
In einer anderen Folge (»The Entire History of You«) wird die durch Smartphones angestachelte Aufzeichnungslust auf die Spitze getrieben: Was wäre, wenn wir uns einen Chip einbauen lassen könnten, der unser ganzes Erleben aufnimmt, so dass wir es uns und anderen als eine Art MP4-Datei vorspielen könnten? Man könnte etwa die Reaktionen der Menschen um einen herum obsessiv auf Hinweise durchgehen, wie ehrlich sie uns gegenüber sind und ob sie uns mögen. Vor allem aber könnte man den Streit darüber, wer wann was genau gesagt hat, klären. Mit ungeahnten zerstörerischen Folgen: Es zeigt sich nämlich, dass Beweise zu haben sehr viel schlimmer sein kann als jede Vermutung. Toby Kebell (»Ben Hur«) und Jodie Whittaker (die zukünftige »Doktorin« in »Doctor Who«) spielen die Hauptrollen in diesem Minidrama, in dem die »fantastische« Technik nicht als neues Verderben hereinbricht, sondern lediglich längst vorhandene Tendenzen in menschlichen Beziehungen verstärkt.
Mit ihrem Zugriff auf Science-Fiction-Themen als nur sanft in die Zukunft verschobene Utopie, passt »The Entire History of You«, die aus der Feder von Jesse Armstrong stammt, bestens ins Konzept des 46-jährigen Serienerfinders Charlie Brooker, obwohl sie die einzige ist, an der der britische Satiriker, Journalisten und Drehbuchautor nicht mitgeschrieben hat. Zu Brookers Konzept gehört, dass man der Mehrheit der Episoden nicht sofort ansieht, wann sie spielen sollen. Er entwirft keine schicken neuen Zukunftswelten mit fliegenden Autos und höllengleichen Stadtlandschaften. Stattdessen bleibt die englische Landschaft, die Kleidung der Menschen, die sozialen Zusammenhänge, in denen sie leben, meist nah an der Gegenwart. Dieser Ansatz der nur graduellen Verschiebungen aus dem vertrauten Heute heraus hat die bislang stärksten Episoden hervorgebracht: In der Folge »Be Right Back« stirbt ein junger Mann (Domhnall Gleeson) bei einem Autounfall. Die Eingangsszenen haben ihn als aktiven Nutzer von Facebook und Twitter vorgestellt. Nach seinem Tod bekommt nun seine trauernde Frau (Hayley Atwell) einen Service aufgenötigt, den sie nach anfänglichem Zögern auch nutzt: eine Firma generiert aus der Online-Präsenz ihres Mannes einen Sender, der ihr im Tonfall des Verstorbenen E-Mails und Textnachrichten schickt. Bald schon führt die Witwe sogar per Telefon innige Gespräche mit der Stimme des Verstorbenen. Schließlich kommt die nächste Stufe, noch als Betaversion: Ihr wird ein Körper ins Haus geliefert. Doch dann setzen Zweifel ein. Es stellt sich heraus, dass die schwierigste Klippe der künstlichen Intelligenz nicht darin besteht, so intelligent und aufmerksam wie der Mensch zu sein, sondern darin, ebenso sporadisch unintelligent und unaufmerksam zu sein. Anders gesagt: wie programmiert man Maschinen dazu, widersprüchliche Gefühle zu empfinden und Schreibfehler zu produzieren?
Einige seiner faszinierendsten Plots spinnt Brooker aus der Idee, dass ein einzelnes Bewusstsein geklont werden könnte und mit der vollen Identität des »Originalmenschen« eine parallele Existenz zu führen beginnt. In der ersten Folge der neuen Staffel, »USS Callister«, erlebt ein nerdiger Spieleerfinder (Jesse Plemons) Mobbing am Arbeitsplatz: Seine Angestellten lachen und flüstern hinter seinem Rücken, sein Firmenmitbegründer und Teilhaber (Jimmi Simpson) ist dabei, ihn aus dem Geschäft herauszudrängen. Als Racheaktion klont der Spieleerfinder aus der DNA seiner Kollegen Duplikate, die er in ein von ihm kreiertes und eng an die »Star Trek«-Serie angelehntes Spiel einsetzt. Dort müssen sie sich willenlos ihm, dem »Captain«, unterordnen; er seinerseits nutzt seine Macht oft in sadistischer Form aus. Schließlich planen die Spielfiguren den Aufstand. Wobei sie bei erfolgreicher Rebellion ihren Captain vielleicht ins virtuelle All schicken können, aber dazu verurteilt sind, selbst für immer in der Spielwelt zurückzubleiben...
Warum müssen technische Innovationen immer übel enden? In einer einzigen Folge immerhin zeigt Brooker auf, dass die Flucht ins Virtuelle auch ein Segen sein könnte: in »San Junipero«, einer Episode der dritten Staffel, finden zwei Frauen in virtuellen Körpern zu einem fast schon kitschigen Happy End. In der neuen Staffel aber regiert einmal mehr die Devise des Dystopischen: Sei es der Spieleerfinder, der seine Kollegen quält (»USS Callister«), die Mutter, die ihr Kind unter permanente Beobachtung stellt (»Arkangel«), Roboterhunde, die die Weltherrschaft übernommen haben (»Metalhead«) oder wieder ein Implantat, das die Erinnerungen von Menschen und sogar von Hamstern auslesen kann (»Crocodile«) – es endet stets schlimm. Oder, wie im Fall von »Hang the DJ«, in dem der Algorithmus einer Dating-App versinnbildlicht wird, in einer Art Datennirvana
Dennoch: »Black Mirror« ist eine der interessantesten Science-Fiction-Serien heute, weil sich die Geschichten weniger um die Gefahren der Technologie selbst als vielmehr um unsere Beziehung zu ihr drehen. So scheinen die Geschichten zunächst »klein«, weil sie von einzelnen Individuen und nur selten von dystopischer Herrschaft handeln, aber sie werfen ein erhellendes Licht auf die Wechselwirkungen von Technik und Psyche, von Innovation und sozialem Zusammenhang.
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