Kritik zu Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) 

© 20th Century Fox

Alejandro González Iñárritu hat eine technisch virtuose Satire zum Los der Schauspieler und der Film­branche heute gedreht, die in meisterlicher Weise gleichzeitig feiert, was sie beklagt

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.42857
3.4 (Stimmen: 7)

Ein Bühnendarsteller fällt aus, weil ihm bei den Proben eine Lampe auf den Kopf fiel. Nun muss Ersatz gefunden werden. »Besorg’ mir Woody Harrelson«, fordert Riggan (Michael Keaton), der Hauptdarsteller und Regisseur des Broadway-Stücks, das in zwei Wochen Premiere haben soll. »Harrelson macht die Hunger Games«, antwortet ihm Jake (Zach Galifianakis), Riggans Produzent. »Dann Michael Fassbender«, fordert Riggan. – »Der macht das Sequel zum Prequel der X-Men« – »Was ist mit Robert Downey Jr.?« – »Er dreht Ironman 4« – »Dann Jeremy Renner!« – »Wer ist Jeremy Renner?« – »Der Typ aus Hurt Locker, er hat eine Oscar-Nominierung!« – »Ah, der! Er ist einer der Avengers« – »Meine Güte, gibt es jemand, der gerade kein Spandex trägt?«

Alejandro Iñárritus Birdman hat nicht ohne Grund den Golden Globe fürs beste Drehbuch erhalten. Im Dialog drängen sich Scharfzüngigkeiten, Geistesblitze und trockene »Oneliner« in so dichter Weise, dass man den Film allein, um alles mitzubekommen, ein zweites und drittes Mal anschauen müsste. Von »Popularität ist die nuttige Kusine des Prestiges« über »Woher kennst du Mike Shiner? – Wir teilen uns eine Vagina« bis zu »Lass dir das Gesicht straffen – 60 ist das neue 30!« wimmelt es nur so von zitierfähigem Material. Und dann sind da noch die Stellen wie die eingangs wiedergegebene, in denen der Film einen ganzen Diskurs aufmacht zur aktuellen Lage der Filmbranche. Ernsthaft: welcher namhafte Schauspieler spielt momentan nicht in einer Comic- oder Young-Adult-Verfilmung?

Die Figur des Riggan hat den Superheldenfilm, hier den fiktiven Birdman, schon vor längerem hinter sich gelassen – und damit auch den Erfolg als Schauspieler. Seine Karriere samt Knick scheint der des Darstellers Michael Keaton nachempfunden, der Anfang der 90er Batman spielte und danach nur noch in Nebenrollen glänzte. Aber Birdman ist kein semibiografischer Film über Kea­ton, obwohl es auf schöne Weise ironisch ist, dass er nun mit dieser Rolle noch einmal mit Preisen überhäuft wird. Riggan dagegen will mit einem Broadwaystück zeigen, dass er ein ernsthafter Schauspieler ist. Aber was überreichen ihm die Theatermitarbeiter als Probengeschenk? Ein riesiges Birdman-Plakat. Und wonach fragen ihn die Journalisten, die er zum Junket vor der Premiere einlädt? Natürlich danach, wann er doch endlich Birdman 4 dreht. Birdman sitzt ihm im Nacken, als Nemesis, als Alter Ego, das ihm auch noch Tipps gibt: »Die Leute lieben Blut. Sie lieben Action. Nicht diesen geschwätzigen, deprimierenden, philosophischen Mist« – den er zur Rettung seines Ansehens auf die Bühne bringen will.

Die Handlung von Birdman folgt dem Muster eines klassischen »Hinter den Kulissen«-Stücks, in dem die Tage vor der Premiere von menschlichen und technischen Katastrophen geprägt sind, aber nie ganz die Hoffnung aufgegeben wird, dass am Ende doch noch alles gut werden könnte. Riggans weinerliche Geliebte (Andrea Riseborough) glaubt schwanger zu sein, seine Bühnenpartnerin (Naomi Watts) schleppt ihren Freund (Edward Norton) an, der sich zwar als virtuoser Schauspieler, aber menschliches Schwein entpuppt. Unter anderem flirtet er mit Riggans Tochter (Emma Stone), die nach einem Drogenentzug als Mädchen für alles am Theater Halt finden soll. Dann gibt es noch die Exfrau (Amy Ryan), deren Auftauchen alte Wunden aufreißt, und den Agenten (Zach Galifianakis), der einigermaßen verzweifelt versucht, die Produktion nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

Auf dem Papier klingt das nach einem altmodischen und kulturpessimistischen Film, der die Eitelkeit der Schauspieler, die Lage der Filmbranche und natürlich die Auswüchse der Social Media beklagt. Aber Iñárritu hat dafür eine Form gefunden, die das Ganze aufreißt, neu, unerwartet und ambivalent erscheinen lässt. Birdman ist gefilmt als wäre es eine einzige, atemlose Einstellung. Die Schnitte (es sollen an die 40 sein) sind verborgen, weggemogelt durch dunkle Türen und digitale Zeitraffer. Dabei ist die lange Einstellung, bei der die Kamera als hartnäckiger Geist den Figuren durch die verwinkelten Räume des Theaters folgt, hier kein Mittel, um Realismus, die Einheit von Zeit und Raum, zu erzeugen. Im Gegenteil, wenn Riggan im Gespräch mit Jake aus seiner Garderobe durch die Theaterflure auf die Bühne läuft, da erwartet ihn da schon der Schauspieler, dessen Engagement sie gerade erst erwogen haben. Die Zeitsprünge während der Kamerafahrten verleihen der Erzählung den Charakter eines fiebrigen Bewusstseinsstroms. Riggans inneres und äußeres Erleben verschwimmen. Was am Ende wirklich passiert, bleibt dem Zuschauer zur Interpretation überlassen. So ragen die Pointen schließlich als Fixpunkte des Realismus heraus: »Warum habe ich nicht mehr Selbstrespekt?« – »Du bist Schauspielerin!«

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Film ist mir von Anfang an dermaßen auf den Sack gegangen, dass ich nach 20 Minuten völlig entnervt von "wilden Kamerafahrten" und "fiebrigem Soundtrack" abschalten musste.
Das in dieser Kritik zitierte "zitierfähige Material" finde ich dermaßen dröge und bescheuert, dass ich keinesfalls auf die Idee käme, mir diesen Streifen, wie vom Autor empfohlen, mehrmals anzuschauen, um "alles mitzubekommen". Was ich mitbekommen habe, hat mir, wie bereits erwähnt, nach zwanzig Minuten gereicht um abzuschalten. Ein Film, über den sich wahrscheinlich vornehmlich Menschen amüsieren können, die in der Film- oder Theaterbranche beschäftigt sind, oder solche, die sich für Cineasten halten und Filme von Woody Allen toll finden.

Besser kann man den Film nicht beschreiben! CHAPEAU!!!

Nichts verstanden ? Macht nix ! Dass Dir dieser und pauschal wohl auch mal gleich alle Woody Allen Filme auf den Sack gehen, geht der Welt glücklicherweise am A... vorbei.

War ein toller Film. Verstehe die Kritik nicht. Perlen soll man erkennen und schätzen, nicht in die Ecke schmeißen!

Dieser Film war eine Tortur... Katastrophe, total langweilig, keine Ahnung wie man da einen Oscar gewinnen kann. Für mich war es Zeitverschwendung, ich hätte auch nach 20min abstellen können.

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