Netflix: »Zola«
Im Sommer 2015 ließ die damals 19-jährige Fast-Food-Kellnerin und Stripperin A'Ziah »Zola« King sich von einer Kundin zu einem spontanen Kurztrip nach Florida überreden, um dort als Pole-Tänzerinnen schnelles Geld zu verdienen. Das Wochenende verlief anders als gedacht, wie King nach ihrer Heimkehr in sagenhaften 148 Tweets schilderte. Ihre Kette aus Kurznachrichten – ein einzigartiges Stück mitreißender Social-Media-Poesie – ging prompt viral. Beim Sundance Film Festival 2020 feierte schließlich Janicza Bravos Leinwandadaption Premiere, die wohl erste Verfilmung eines Twitter-Threads. Doch trotz positiver Kritiken und zahlreicher Filmpreisnominierungen kam »Zola« nicht in die deutschen Kinos, mutmaßlich pandemiebedingt. Stattdessen erschien er ohne größere Fanfaren auf Netflix.
Die hätte er verdient, denn der Film ist eine Perle. Vor allem weil es Bravo und ihrem glänzenden Ensemble gelingt, die zwischen den Tweets durchscheinende Essenz der Geschichte herauszuarbeiten: »Zola« ist das Porträt einer streetsmarten Frau und zugleich ein kleiner Einblick in die Untiefen moderner Sexarbeit; der Film erzählt von Abhängigkeiten, Abgebrühtheit und ultratoxischer Männlichkeit. Denn Zola (Taylour Paige) weiß bei Reiseantritt nicht, dass sie von ihrer Zufallsbekanntschaft Stefani (Riley Keough) auch zur Prostitution animiert werden soll. Mit im Wagen sitzt neben Stefanis heillos naivem Freund Derek (Nicholas Braun) nämlich auch »X«, der sich als ihr eiskalter Zuhälter erweist und von Colman Domingo (»Euphoria«) mit furchteinflößender Präsenz verkörpert wird. Bald ahnt Zola, deren Perspektive der Film konsequent einnimmt, dass sie nur noch versuchen muss, das Wochenende unbeschadet zu überstehen.
Auch für Kings gleichermaßen lakonische und temperamentvolle Tweets findet Bravo eine überzeugende filmische Form. Die Szenen sind knapp und pointiert, teils hysterisch, teils von schleichender Bedrohlichkeit. Kings selbstbewusst-vulgärer Straßenjargon findet sich wortgetreu in den Dialogen wieder. Im wahrsten Wortsinne beiläufig, als eine Art visuelle Tweets, sieht man nächtliche Polizeigewalt und Vorgärten mit Südstaatenflaggen.
Bravo gelingt das Kunststück, der Geschichte die Leichtfüßigkeit eines skurrilen filmischen Roadtrips zu geben, ohne den alptraumhaften Ernst der Situationen zu verharmlosen. Bemerkenswert vorurteilsfrei inszeniert sie die skulpturale Schönheit des Pole Dancing und erzählt von weiblicher Ermächtigung auch in der Prostitution, um im nächsten Moment Ausbeutung und Gewalt zu zeigen. In der Mischung aus lyrischer Stilisierung, Aberwitz und hartem Realismus erinnert »Zola« auch an Harmony Korines Florida-Kultfilm »Spring Breakers« (ursprünglich sollte James Franco Regie führen). Wie dieser ist »Zola« am Ende weniger eine dramaturgisch ausgefeilte Erzählung als vielmehr ein poetisches Stimmungsbild, ein faszinierender kleiner Ausschnitt aus einem Lebensstil und einem Milieu, das man in gewisser Weise wohl »All American« nennen kann.
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