DVD-Tipp: »Wolfzeit« (2003)

Wolfzeit (2003)

© Camera Obscura

Der Mensch im Angesicht des Endes

Der Anfang erinnert an »Funny Games«, als die Existenz einer bürgerlichen Familie durch einen Akt plötzlicher Gewalt aufs Schlimmste erschüttert wird. Danach ist ihr Zusammenhalt fragil, die Mutter Anne ist nicht die starke Person, die man wegen der Besetzung mit Isabelle Huppert erwarten könnte. Diese Rolle fällt eher ihrer Teenagertochter Eva zu (verkörpert von der damals erst 15-jährigen Anaïs Demoustier), die sich nicht nur um ihren jüngeren Bruder Benny kümmert, sondern auch um den Halbwüchsigen, dem sie unterwegs begegnen.

Aus ihrem eigenen Heim, einem Ferienhaus in den Wäldern, verstoßen, ohne Lebensmittel und mit nur einem einzigen Fahrrad als Fortbewegungsmittel, irren sie durch die Landschaft und treffen auf andere Menschen.

Die Ordnung ist zusammengebrochen, es gilt das Recht des Stärkeren in dieser »Wolfzeit«, wo der Mensch des Menschen Wolf geworden ist, nachdem die Hemmnisse und Barrieren der Zivilisation gefallen sind.

Von »vorübergehenden Versorgungsschwierigkeiten« ist im Radio die Rede, wodurch diese entstanden sind und wo überall sich das hier gezeigte Katastrophenszenario entfaltet, bleibt unklar. Michael Haneke interessiert sich vielmehr für die Reaktionen der Menschen auf diese Situation. Eine, in der sich neue Hierarchien entwickeln, Kontrolle mit Waffengewalt durchgesetzt wird. Die Verfügungsgewalt über Tauschobjekte verleiht Macht, die Verzweiflung lässt Frauen auch den eigenen Körper als Ware anbieten.

Der Film beschreibt eher eine Situation, als eine Geschichte zu erzählen. Spektakuläre Bilder, sonst ein Merkmal vieler Endzeitfilme, verweigert er uns. Ihm genügt das Dunkel der Bilder, in denen das Geschehen wiederholt von der Nacht verschlungen wird und nur auf der Tonebene wahrnehmbar ist.

Zwanzig Jahre nach seiner Premiere gewinnt Hanekes Film durch die Ereignisse der vergangenen Jahre eine neue Aktualität. Zu den Extras zählen ein Making-of, eine Behind-the-Scenes-Galerie und ein Booklet mit einem Text von Marcus Stiglegger, der sich mit den mythologischen Bezügen des Films auseinandersetzt.


Le temp du loup F/Ö/D 2003. R: Michael Haneke. Da: Isabelle Huppert, Anaïs Demoustier, Béatrice Dalle, Patrice Chéreau. Anbieter: Camera Obscura.
VÖ: 10. Dezember 2022

Bestellmöglichkeit (Blu-ray)

 

 

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