DVD-Tipp: »Michael Haneke – Trilogie der emotionalen Vergletscherung«
»Benny's Video« (1992)
Die »Trilogie der emotionalen Vergletscherung« umfasst Michael Hanekes erste drei Kinofilme. Sie werden erstmals im Mediabook des Alive-Vertriebs in einer restaurierten Fassung auf drei Blu-rays in hochauflösender HD-Qualität bereitgestellt. Dabei gelingt es überraschend gut, die Farbgebung und Körnung des Filmbildes im digitalen Format wiederzugeben. Das umfangreiche Bonusmaterial besteht aus drei Interviews mit dem österreichischen Regisseur, einer 92-minütigen Dokumentation über sein Schaffen und einer Filmpsychoanalyse von Andreas Hamburger im Gespräch mit Marcus Stiglegger, dessen Essay »Die Wunden der Gesellschaft« als aufwendig gestaltetes Booklet in die Hülle des Mediabooks fest eingebunden ist. Das Bonusmaterial gibt damit tiefe Einblicke in Hanekes filmästhetisches Verfahren und seine inhaltlichen Zugänge: Nie gefällig Erwartungen des Publikums bedienen, sondern sich stets unbequem Wahrheiten nähern.
Dazu inszeniert Haneke formstreng das alltägliche Grauen, wenn beispielsweise in »Der siebente Kontinent« (1989) eine Kleinfamilie aus der Monotonie des Alltags heraus einen verstörenden Gruppensuizid begeht oder in »Benny's Video« (1992) ein medienbesessener Teenager, statt seine Sexualität zu entdecken, mordet. In seinem dritten Kinofilm »71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls« (1994) wird der Blick von der Familie konsequent auf die Gesellschaft erweitert. Nachrichtensendungen zeigen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Jugoslawienkrieg, und die Gewalt setzt sich nahtlos im Alltag in der nur scheinbar befriedeten Gesellschaft fort, in der unvermittelt gemordet wird. Die Gewaltakte sind ungeschönt, abrupt und manchmal unbeholfen wie beispielsweise eine Verletzung mit dem Bolzenschussapparat. Die Folgen, das Realisieren und das Trauma, bekommen in statischen Einstellungen Raum, sich unangenehm langsam zu entfalten. Trotz aller Brutalität blitzen kurze Momente von Schönheit und Empathie auf, und selbst die übelste Figur durchleuchtet Haneke in ihrer Vielschichtigkeit und Ambivalenz.
In der 92-minütigen Dokumentation »Michael H. Profession: Director« aus dem Jahr 2013 beleuchtet Yves Montmayeur umfassend Hanekes Filmografie bis einschließlich des vorletzten großen Kinofilms »Liebe« (2012). Dazu montiert Montmayeur Ausschnitte aus Making-ofs mit Filmausschnitten und Interviews mit dem Altmeister selbst sowie mit seinen berühmtesten Darsteller:innen wie Juliette Binoche und Isabelle Huppert. Zudem begleitet er Haneke als Schauspiellehrer an der Filmakademie Wien. Im Zusammenspiel dieser Elemente gelingt es, die Besonderheiten von Hanekes Schaffensprozess und Selbstverständnis anschaulich und kurzweilig herauszuarbeiten.
Genauigkeit ist Haneke besonders wichtig. Er filmt deshalb alle Einstellungen zwischen 20 und 25 Mal und beschreibt sich selbst als Kontrollfreak. Er »lehnt jede Form von Verzuckerung ab«, wie es die mittlerweile verstorbene Schauspielerin Susanne Lothar auf dem Set von »Das weiße Band – eine deutsche Kindergeschichte« (2009) pointiert sagt. Die »Trilogie der emotionalen Vergletscherung« erzählt von scheiternder Kommunikation in Familie und Gesellschaft und – um Hannah Arendt heranzuziehen – von der Banalität des Bösen. Haneke kommuniziert unmittelbar mit Ton und Bild und gibt beiden Größen gleichen Raum, sich zu entfalten. Wir hören beispielsweise den Schuss des Bolzenschussapparats, sehen ihn aber nicht. Die Schrecken seiner Filme und der Situationen, in die er das Publikum versetzt, entfalten sich erst durch die Vorstellungskraft. Die Reduktion ist für Michael Haneke das radikalste Mittel, sich der einfachen Konsumierbarkeit zu entziehen und Kunst zu schaffen, wobei er sich selbst stets im Understatement als Handwerker bezeichnet.
Trilogie der emotionalen Vergletscherung. Enthält die Filme: »DER SIEBENTE KONTINENT« (1989), »BENNY'S VIDEO« (1992) und »71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS«. Anbieter: Alive.
VÖ: 26. März 2021
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