Nahaufnahme von Nadia Tereszkiewicz
Nadia Tereszkiewicz in »Rosalie« (2023). © Tresor Films / Gaumont Ldrp II / Artemis Productions / X-Verleih
In »Forever Young« war sie eine naive Jungschauspielerin, in »Mein fabelhaftes Verbrechen« ein platinblondes Starlet. Und sowieso sind da diese Bardot-Vibes. Aber Nadia Tereszkiewicz ist ziemlich gut darin, Klischees durchs MeToo-Raster zu filtern. Erst recht in ihrem neuen Film »Rosalie«
Nadia . . . wer? Tereszkiewicz, in französischer Diktion »Tereschkiewiiisch«. Diesen Namen und seine Aussprache muss man sich merken. Denn die junge Schauspielerin, 1996 als Tochter einer Finnin und eines Polen in Versailles geboren, hat mit nur einer Handvoll Filmen blitzschnell ihren Durchbruch gefeiert. Plötzlich war sie da, diese rosige Blondine mit den leicht schrägen großen blauen Kulleraugen und dem üppigen Mund. Nadia Tereszkiewicz gehört zu den Erscheinungen, die von der Kamera geliebt werden. Ihr Anblick weckt unwillkürlich den Wunsch: Geht doch alle mal raus, damit man sie besser betrachten kann. Ihr Sex-Appeal, mit dem sie im Theaterdrama »Forever Young« erstmals größere Aufmerksamkeit erregte, hat etwas Altmodisches, der Gegenwart Entrücktes. Er erinnert, gelegentlich, an die schmollmündige Erotik von Brigitte Bardot, mehr aber an die Aura verletzlicher Unschuld einer Marilyn Monroe.
Zum Glück vollzieht sich ihre Karriere in einer Epoche, in der François Truffauts Diktum »Kino heißt, schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen« auf weit scharfsinnigere und spannendere Weise interpretiert wird als noch zu Zeiten dieses Regisseurs. Zu verdanken ist das auch dem weiblichen Blick, dem Aufkommen von Regisseurinnen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Tereszkiewicz in den drei Filmen, mit denen sie zuletzt Aufsehen erregte, Charaktere porträtiert, die, als Schauspielerinnen, den Objektstatus von Frauen transzendieren. In »Forever Young« (2022) verkörpert sie, als junges Alter Ego von Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi, deren Lehrjahre im »Théâtre des Amandiers«, einer legendären avantgardistischen Bühne und Theaterschule. Als lebenshungrige Jungschauspielerin liefert sie sich mit Haut und Haaren den kryptischen Anweisungen von Theaterguru Patrice Chéreau und der Liebe zu einem drogensüchtigen Kommilitonen aus, der den Stempel »Gefahr« auf der Stirn trägt. Dass der Stress dieser Beziehung und die von Chéreau geforderte emotionale Entblößung seiner Eleven das anfangs unbedarfte Girlie dazu bringen, sich freizuspielen, ist zwar ein Bohème-Klischee; Tereszkiewicz aber vermittelt diese »Lebe wild und gefährlich«-Romantik so hautnah und anrührend, auf so entwaffnend unfranzösische Weise frei von Ironie und Mätzchen, dass sie mühelos für sich einnimmt.
Im Drama »Rosalie«, das im September startet, bringt Regisseurin Stéphanie Di Giusto es fertig, den Liebreiz von Nadia Tereszkiewicz hinter einem Bart zu verstecken. Der Film ist inspiriert von einer wahren Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, Tereszkiewicz spielt eine junge Frau, die unter Hirsutismus leidet. Die schambesetzte Behaarung wird jedoch, nach ihrer Heirat, zu ihrem Trumpf: Rosalie hört auf, sich heimlich zu rasieren, und wird als bärtige Frau zur Attraktion in der zuvor schlecht gehenden Kneipe ihres Mannes. Sie zieht sogar eine Laufbahn als Schaustellerin auf einer Wanderbühne in Betracht.
In François Ozons in den dreißiger Jahren angesiedelter Retrokomödie »Mein fabelhaftes Verbrechen« (2023) ist sie dagegen ein süßes platinblondes Starlet, dem dank einer falschen Mordanklage die Sympathien des frauenbewegten Publikums zufliegen. Als verfolgte und verfolgende Unschuld, gleichermaßen Begierde wie Beschützerinstinkte erweckend, wird diese »fausse ingénue« zum Star und laviert sich draufgängerisch durch komplizierte Intrigen. Ozon inszeniert Tereszkiewicz, durchaus mit einem Quantum Bosheit, als weibliche Entsprechung zu einem Erdbeersahneeis. Als Kontrast fungiert Isabelle Huppert in der Rolle einer biestigen alternden Diva. Beide Frauen jedoch kommen in dieser parodistischen Theaterkomödie, in der das MeToo-Thema aufgegriffen wird, zu ihrem Ziel.
Auch die israelisch-französische Mystery-Serie »Possessions« (2020) gewinnt ihre Spannung vor allem durch Tereszkiewicz' ambivalente Ausstrahlung. Wieder steht sie, als junge Französin in Israel, unter Mordverdacht: Hat sie ihrem Bräutigam auf der Hochzeitsfeier den Hals durchgeschnitten? Zwischen kindlicher Verlorenheit und manipulativer Femme fatale schillernd, macht sie Männer, Mütter und auch die toughen israelischen Ermittler kirre. Merkwürdig enigmatisch ist sie auch in ihrem neuen Film »L'île rouge« (ohne deutschen Starttermin) als Mutter eines kleinen Jungen, der sich als Erwachsener an seine Kindheit auf einem der letzten Militärstützpunkte des französischen Kolonialreichs auf einer madegassischen Insel erinnert: ein Film über ein untergegangenes Paradies voll sinnlicher, latent beunruhigender Momente.
Nadia Tereszkiewicz erzielt ihre Wirkung oft weniger durch Worte als durch ihren körperlichen Ausdruck. Neben Nahaufnahmen ihres blaugrünen Medusenblicks unter einem waffenscheinpflichtigen Augenaufschlag, wie er etwa in »Possessions« auf geradezu, nun ja, besessene Weise demonstriert wird, ist es der Elan ihrer Bewegungen, federnd und anmutig, der den Blick anzieht. Diese Körperspannung erinnert tatsächlich an Brigitte Bardot oder auch an das Charisma von Penélope Cruz. Wie diese beiden Stars hat Tereszkiewicz lange Jahre – seit dem Alter von vier Jahren – Ballettunterricht genommen, mit dem Ziel, Tänzerin zu werden. Auf den Geschmack an der Schauspielerei kam sie durch das Drama »Die Tänzerin« (2016) von Stéphanie Di Gusto, das vom Leben der Ausdruckstänzerin Loïe Fuller handelt. Tereszkiewicz, die mit 18 ihre Tänzerinnenkarriere aufgab, ergatterte darin eine Statistenrolle. In den folgenden Jahren nahm sie Theaterunterricht. Unter anderem trat sie in Videoclips des Sängers Benjamin Biolay auf, als Mädchentraum, und machte sich allmählich auch im Kino einen Namen. Das Image des blonden Dummchens hat sie durch angeschrägte Auftritte bislang erfolgreich vermieden: etwa als lesbische Kellnerin in Dominik Molls Thriller »Die Verschwundene« (2019). Oder in der frankokanadischen Burleske »Babysitter« (2022), in der sie als titelgebende Hausangestellte einem durch einen MeToo-Vorfall gebeutelten Ehepaar ein paar Lebensweisheiten beibringt. Als blonder Wonneproppen und »Doppelgängerin von Brigitte Bardot« wischt sie Staub im sexy Zofenkostüm und ist ein mehr magischer als realer Charakter: eine moderne Mary Poppins und, wie in vielen ihrer Filme, eine nahezu übersinnliche, archetypische Figur. Möglicherweise verflucht, wie in »Possessions«, vielleicht auch eine Fee; jedenfalls eine Schauspielerin, die ihr eigener Spezialeffekt ist.
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