Die tun was! – Aktivismus im Kino
»How to Blow Up a Pipeline« (2022). © Fugu Filmverleih
Klimakatastrophe, Rassismus, Ausbeutung, Krieg . . . Es muss sich etwas ändern. Finden immer mehr Filmemacher*innen. Und plädieren für zivilen Widerstand. Tim Lindemann über das neue Aktivistenkino
Wird man uns zu Terroristen erklären?«, fragt einer aus dem Kreis der acht jungen Leute, die in einer staubigen Hütte irgendwo in Texas sitzen. Am nächsten Tag wollen sie eine Ölpipeline in die Luft jagen, um ein radikales Zeichen gegen fossile Brennstoffe zu setzen. »Na und? Jesus war auch ein Terrorist!«, ruft ein anderer scherzhaft in die Runde. Ein Dritter blickt seine Gefährten ernst an und sagt: »Wenn uns Amerika als Terroristen bezeichnet, dann machen wir etwas richtig.« Die zentrale Szene aus Daniel Goldhabers aktuellem Film »How to Blow Up a Pipeline« steht emblematisch für eine neue Welle von populären Spielfilmen, die in den letzten Jahren Einblicke in aktuelle und historische, reale und fiktive Graswurzelbewegungen gewährten. Gründe für Engagement gibt es derzeit schließlich genug in der Welt – doch wie spiegelt das Erzählkino die Entwicklungen wider?
Mehrere thematische und erzählerische Strategien verbinden die ansonsten enorm diversen Filme miteinander. Sie wollen mitreißen und inspirieren, nicht belehren, und stellen dennoch komplexe Fragen nach Motivation, Methodik und den ethischen Grenzen von Aktivismus. Zugleich rücken die Filme die Solidarität und den rebellischen Elan, auch die Begeisterung in den Vordergrund, die progressiven Bewegungen zugrunde liegen. Goldhabers Film etwa nutzt Techniken klassischer Thriller, um von Beginn an atemlose Spannung zu erzeugen und uns schnell auf die Seite der Aktivist*innen zu ziehen: Wird ihnen die radikale Aktion gelingen?
Außerdem lösen sich die neuen Filme von den Mechanismen der vor allem in Hollywood kultivierten Porträts berühmter Bürgerrechtler*innen. Anders also als etwa die klassischen Biopics »Erin Brockovich«, »Milk« oder »Harriet« geben Filme wie »120 BPM« oder »Bacurau« kollektive Antworten auf Unrecht und Unterdrückung und stellen Unbekannte in den Vordergrund. Sie stehen so eher in der Tradition von Filmen wie dem ikonischen US-Gewerkschaftsdrama »Norma Rae« (1979), dem antikolonialen Klassiker »Schlacht um Algier« (1966) oder dem Protestkultfilm »Local Hero« (1983), in dem die Bewohner eines schottischen Dorfs den Aufkauf des Landstrichs durch einen amerikanischen Ölkonzern sabotieren. Selbst dann, wenn sie sich historische Protestbewegungen zum Gegenstand nehmen, machen die neuen Filme deutlich, dass ihr Interesse gegenwärtigen Problemen gilt. Dabei nehmen sie antirassistische, feministische, queere, ökologische und andere Bewegungen in den Blick.
Die neuen Umweltbewegungen – Fridays For Future, Extinction Rebellion und Co. – haben es zwar schon in diverse Dokumentarfilme geschafft, sind im Erzählkino selbst in fiktionalisierter Form allerdings noch spärlich vertreten. Nach Kelly Reichardts noch eher depressivem Night Moves, in dem die Sprengung eines Staudamms durch eine Umweltgruppe in eine menschliche Tragödie mündet, stellt »How To Blow Up a Pipeline« eine erste Annäherung auf Augenhöhe an den drängenden Aktivismus einer jungen Generation dar, die angesichts der fatalen Folgen der Klimakrise zunehmend auf zivilen Ungehorsam setzt. Sally Potter griff in »Ginger & Rosa« ein inhaltlich zumindest verwandtes Thema auf: Ihr Film porträtiert zwei Teenager, die im wilden London der sechziger Jahre in der Anti-Atomwaffenbewegung aktiv werden. Bald droht ihre enge Freundschaft unter den Folgen ihres Aktivismus zu zerbrechen. Dass nicht nur Jugendliche versuchen, drohende Katastrophen mit allen Mitteln abzuwenden, zeigt der isländische Film Gegen den Strom. Der Film von Regisseur Benedikt Erlingsson folgt allerdings einer einsamen Kämpferin: Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) ist eine Frau in den Fünfzigern, die mit Hilfe gewiefter Guerilla-Sabotageakte eine erfolgreiche Privatfehde gegen die isländische Aluminiumindustrie führt – doch zahlt sie schließlich einen hohen Preis für ihre Aktionen. Alle drei Filme verhandeln so die zentralen Fragen, die engagierte Menschen in ihrem Handeln immer wieder beschäftigen. Wie weit bin ich bereit zu gehen? Was bin ich bereit zu opfern?
Mit diesen Fragen beschäftigen sich auch zwei im Historischen situierte, aber aktuelle Filme, die sich mit den widerständigen Aktionen von Feministinnen der ersten und zweiten Welle auseinandersetzen. Sarah Gavrons »Suffragette« erzählt von den Protesten der frühen Suffragettenbewegung, die unter anderem das Ziel verfolgten, das Wahlrecht für Frauen in Großbritannien zu erzwingen. Dabei griffen die Aktivistinnen teils selbst auf Bombenanschläge zurück. Gavrons Film folgt dem gerade für den britischen Kostümfilm ungewöhnlichen Ansatz der »Geschichte von unten« – im Fokus der Story steht nämlich nicht die berühmte Emmeline Pankhurst, sondern eine fiktionalisierte junge Frau namens Maud (Carey Mulligan), die als einfache Wäscherin der Arbeiterklasse angehört. Suffragette macht überzeugend deutlich, wie sich Maud unter dem Einfluss unzumutbarer Unterdrückung langsam radikalisiert. Gesellschaftliche Fortschritte, das vermittelt Gavrons Film eindeutig, werden selten von den Autoritäten gewährt, sondern müssen erkämpft werden – doch die Mittel dieses Kampfes wollen weise gewählt sein.
Diese These verbildlicht ebenfalls, wenn auch in kleinerem Rahmen, der Film »Misbehaviour«, der die erfolgreiche Störung der Wahl zur Miss World im Jahr 1970 durch Aktivistinnen des neu gegründeten Women’s Liberation Movement (WLM) in den Fokus nimmt. Im Mittelpunkt steht die Akademikerin Sally Alexander (Keira Knightley), der es zunächst schwerfällt, in ihrem Aktivismus den legalen Rahmen zu verlassen und sich und ihre Familie den Repressalien der Polizei auszusetzen. Der Film von Regisseurin Philippa Lowthorpe ist außerdem ein gutes Beispiel dafür, Protest nicht nur als bierernstes Phänomen darzustellen, sondern auch die rebellische Freude in der Planung und Ausführung widerständiger Aktionen zu zelebrieren.
Dazu trägt vor allem auch das prägnante Stilmittel zeitgenössischer Popmusik bei. Die Montage einer Flugblattaktion wird in »Misbehaviour« etwa von Aretha Franklins »Respect« begleitet und profitiert gekonnt vom feministischen Geist des Songs. Diese Strategie nutzen auch zwei Filme, die sich verschiedenen Episoden queerer Protestgeschichte widmen. In Matthew Warchus’ Pride stiften Pophits der Achtziger ganz direkt Solidarität: Der Film erzählt vom Sommer 1984, als queere Londoner Protestbewegungen walisische Bergarbeiter während des langen Streiks der National Union of Mineworkers unterstützten. Pride kulminiert in einer Szene beim »Pits and Perverts«-Benefizfestival, wo sich zu einem Auftritt der schwulen Kultband Bronski Beat Bergarbeiter und queere Aktivist*innen gemeinsam den Maßnahmen der konservativen Thatcher-Regierung widersetzen.
Bronski Beat und vor allem ihr Klassiker »Smalltown Boy« spielen auch im französischen Protestdrama »120 BPM« eine zentrale Rolle. Robin Campillos Film zeigt, wie Mitglieder der Interessengruppe Act Up Paris mit kreativen Methoden von der Regierung und den Pharmaunternehmen erschwingliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Aids-Epidemie in den frühen 1990er Jahren fordern. In einer berührenden Clubszene tanzen die Protagonist*innen entrückt zu einem Remix von »Smalltown Boy«. Mehr als bloße musikalische Untermalung, ist die Szene essenzieller Bestandteil der politischen Relevanz des Films: Die Filmwissenschaftlerin Alice Pember schreibt in einem Artikel zum Film, dass »120 BPM« den Dancefloor »als Ort verkörperter Politik inszeniert, die über die Besonderheiten des kulturellen und historischen Kontexts des Films hinausgeht« und so auch heutige queere Aktivist*innen zu inspirieren vermag.
Andere Filme nutzen dagegen die plakativen Mechanismen des Genrekinos, um ihre Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt in mitreißende Erzählformate einzufügen. Der brasilianische Film »Bacurau« von Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles verlegt seine Handlung etwa in eine dystopische Zukunft und lässt in Anlehnung an Western-B-Movies reichlich Kunstblut spritzen. Auch hier steht aber kollektives Handeln an erster Stelle: Ein ganzes Dorf lehnt sich geschlossen und kämpferisch gegen brutale westliche Herrschaft auf, die in Gestalt skrupelloser Menschenjäger auftritt. Die Regisseurin Melina Matsoukas verhandelt in ihrem Roadmovie »Queen & Slim« den bedrückenden Alltagsrassismus in den USA in einer Art entrückter Parallelwelt. Ihre Protagonisten avancieren nach einem unglücklichen Zusammenstoß mit der Polizei ungewollt zu Ikonen des schwarzen Widerstands. Auf der Flucht durch ein videoclipartig überhöhtes Amerika inspirieren Queen und Slim allerorts Proteste der schwarzen Bevölkerung. Beide Filme inszenieren ihre jeweiligen Protestbewegungen jedoch eher als spontane Akte der Selbstverteidigung, nicht als geplante Aktionen mit klar kalkuliertem Ziel.
Die neue Welle der »Protestfilme« ist also noch kaum kongruent und vor allem verhältnismäßig klein – das ist besonders auffällig im Vergleich zur enormen, stetig wachsenden Zahl von Dokumentarfilmen, die sich weltweit mit den Aktionen von Aktivist*innen beschäftigen, von »Guardians of the Earth« über die Pariser Klimakonferenz 2015 bis zum Kampf der Künstlerin Nan Goldin gegen den Pharmariesen Sackler in »All the Beauty and the Bloodshed«. Dieses Ungleichgewicht liegt zum einen im privilegierten Status von Dokus als Vermittler der Realität begründet. Zuschauer*innen erwarten von Dokumentarfilmen, über die Welt aufgeklärt zu werden, während Spielfilme zwangsläufig den Regeln der Dramaturgie unterliegen und darum automatisch vor allem als Unterhaltung gelten oder in der ästhetischen Wertung durchfallen, nach dem in verschiedenen Versionen überlieferten »Hollywood-Axiom«: »Wenn Sie eine Botschaft haben, schicken Sie ein Telegramm.«
Vor allem das Mainstreamkino als Produkt einer globalen Industrie, die darauf aus ist, so viele Konsument*innen wie möglich anzusprechen, ist nicht daran interessiert, sich eindeutig mit Widerstandsbewegungen zu solidarisieren. Abstand vom oder Nähe zum industriellen Mainstream bedingt also zwangsläufig die Darstellung von Protest und Aktivismus. Das lässt sich schließlich an der langen Tradition von Filmen ablesen, die Aktivist*innen entweder als naive Gutmenschen oder eben als Terroristen darstellen. Darum befürchten die Protagonisten von »How to Blow Up a Pipeline« vor ihrer dramatischen Aktion zu Recht, dass die mediale Rezeption ihrer Tat unweigerlich negativ ausfallen wird. Dass populäre Spielfilme beginnen, sich zaghaft mit diesen komplexen Fragen auseinanderzusetzen, kann nur ein Gewinn sein.
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