Kritik zu Wir waren Könige
Endlich einmal ein gelungener deutscher Polizeifilm. Ronald Zehrfeld und Misel Maticevic spielen im Debüt des Regisseurs Philipp Leinemann zwei SEK-Männer, deren Truppe in eine Spirale der Gewalt und Selbstjustiz abdriftet
Ein Mann, großes Tattoo auf dem Rücken, rast durch eine etwas heruntergekommene Wohnung, brüllt in sein Handy. Zwei weitere Typen sitzen in der Küche vor Wasserpfeifen. Das Kind schreit in seinem Ställchen. Seine Freundin brüllt ihm zu, dass er sich verpissen soll, und sucht selbst das Weite. Im Treppenhaus wird sie abgefangen, und wir sehen quasi mit ihren Augen das im Treppenhaus lauernde Sondereinsatzkommando mit seinen schwarzen Uniformen, schwarzen Sturmmützen und den Helmen in Tarnfarbe. Kein beruhigender Anblick, eher unheimlich und angsteinflößend. Beim Versuch, die Wohnung zu stürmen, wird ein SEKler, ein »SEKi«, wie es im Film heißt, verletzt, zwei Drogendealer werden erschossen. Einer kann fliehen. Der Einsatz war ein Fehlschlag.
Einen so fiebrigen Anfang hat man selten gesehen in den letzten Jahren. Zweiter Einsatz: Das SEK stürmt die Wohnung des Cousins des Flüchtigen und macht danach eine Razzia in einem Striplokal. Und wieder: Fehlanzeige. Zwei Kollegen haben einem Typen Geld und Koks abgenommen und zeigen es ihrem Chef Mendes (Misel Maticevic). »Reicht es ein«, sagt er. »Sicher?«, fragen sie. Und zwischen den beiden Einsätzen: Der Polizeichef macht Mendes Vorhaltungen, redet vom Sparen. Und in dem – namenlosen – Stadtviertel, in dem das SEK operiert, gibt es zwei Jugendgangs, zwischen denen der 13-jährige Nasim steht. Nach einer Viertelstunde hat Philipp Leinemann nicht nur alle Mitwirkenden seines Dramas etabliert, er hat auch den Zuschauer den Druck spüren lassen, der auf all diesen Menschen lastet. Und er hat wie im Nebenbei ein Element eingeführt, das den weiteren Verlauf dieses Films bestimmen wird: Korruption. Das ist inszenatorisch so perfekt, wie man es von einem deutschen Film eigentlich gar nicht erwartet hätte.
Der Druck auf das SEK wird größer, als zwei Kollegen hinterrücks erschossen werden und Nassim die abhandengekommene Dienstwaffe einem anderen Jungen unterjubelt. Dem SEK geht es nun weniger um Aufklärung denn um schnelle Lösungen – und um so etwas wie Rache. Von Anfang an steht in Leinemanns Film weniger der Fall (den es allerdings auch gibt) im Mittelpunkt, sondern die Innenansicht einer Gruppe, die in einen Rausch der Gewalt abdriftet – und streng genommen Selbstjustiz übt. Der Titel »Wir waren Könige« steht programmatisch nicht nur für die Selbstermächtigung dieser Truppe, sondern auch für ihre Hermetik. Das Privatleben, wenn es denn eines gibt, blendet der Film so gut wie völlig aus, selbst die Diensträume, die mehr einem gammeligen Wohnzimmer gleichen, kommen erst in der zweiten Hälfte ins Spiel. Und dass die Polizisten gar nicht merken, was sie in dem Viertel auslösen, spricht auch für ihre Abgehobenheit.
Das SEK, dieser testosteronstarke Männerbund, hat zwei Hauptfiguren: Mendes und Kevin (Ronald Zehrfeld). Beides sind bullige Typen in ihren Parkas und schwarzen Einsatzuniformen, und beide Schauspieler sind schon einmal zusammen aufgetreten, in Dominik Grafs Miniserie »Im Angesicht des Verbrechens«. Es gibt zwischen dem autoritären Mendes und dem überlegteren Kevin so etwas wie Freundschaft und Respekt, aber Mendes ist fast besessen von Korpsgeist und SEK-Loyalität. Die offenen und unterschwelligen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Männern prägen das emotionale Gerüst des Films. Manchmal hat man den Eindruck, dass das immer mehr aus den Fugen geratene SEK sich wie die dritte Gang im Viertel aufführt. Die »normale« Polizei geht deshalb auch auf Distanz zu den Sekis. Immer weniger dreht sich dieser Film um Recht oder Unrecht, immer stärker verwischt er die Grenzen zwischen Gut und Böse, immer mehr dreht sich das SEK-Universum um sich selbst. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass der entscheidende Anstoß, die Spirale der Gewalt zu beenden, von außen kommt, durch die Streifenpolizistin Nadine – einer Frau.
Man muss bei »Wir waren Könige« unweigerlich an Dominik Grafs vor zwei Jahrzehnten entstandenen und damals zu Unrecht verrissenen SEK-Film »Die Sieger« denken. Beide funktionieren als Introspektion einer Gruppe und ihrer Mechanismen und zelebrieren eine raue Alltagsauthentizität. Doch gerade weil Leinemann sich auf die Binnenrealität konzentriert, wirkt sein düsterer Film ungemein kompakt und konsequent.
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