Kritik zu Melancholia
Nicht mit einem Knall, sondern einem Seufzer: Lars von Trier erzählt in seinem bislang schönsten Film von der Psychodynamik zwischen zwei ungleichen Schwestern angesichts des Weltuntergangs
Niemand kann den Erfolg eines Films besser unterminieren – als der Regisseur selbst. Dafür hat Lars von Trier mit seinem unglücklichen Auftritt in Cannes einmal mehr den Beweis geliefert. Im Vorfeld noch war Melancholia als heißer Favorit gehandelt worden. Die Reaktionen bei der ersten Vorführung waren enthusiastisch. Und dann kam die Pressekonferenz, die »Ok, I’m a Nazi«- Schlagzeile – und für den Rest des Festivals redete zwar alles über Lars von Trier, aber niemand mehr über seinen Film. Nun, fast – Kirsten Dunst bekam immerhin den Darstellerinnenpreis. Doch was ein großer Triumph hätte sein können, wirkte wie ein Trostpflaster. Dabei hat Lars von Trier mit Melancholia seinen bislang schönsten Film gedreht.
Schön ist der Film zunächst in ganz direktem Sinn: Auf visuell berückende Weise geht hier die Welt unter. Daran, dass ein Komet der Erde zu nahe kommt. Ein helles, riesiges Gestirn am Horizont wirft ein surreales Licht auf das aristokratisch wirkende Herrenhaus und sein umgebendes Anwesen, wo die letzten Szenen des Films spielen. Doch es sind nicht Bilder der Verheerung, das beliebte Allmachtspiel mit der lustvollen Zerstörung der Architekturdenkmäler dieser Welt, die Lars von Trier interessieren, nicht die äußerliche Katastrophe, sondern die Gefühlslagen, in der sie die Menschen trifft.
Der Film beginnt mit einer regelrechten Ouvertüre: Zu Wagners »Tristan und Isolde« zeigt er an die acht Minuten lang surreale Szenen, die Kunstgeschichte mit digitalen Hochglanzeffekten kombinieren: Kirsten Dunst, die im Brautkleid in einem Teich treibt, von Seerosen umgeben; Charlotte Gainsbourg, die mit einem kleinen Jungen auf dem Arm in Zeitlupe über einen Golfplatz rennt und dabei knietief im Rasen versinkt; vom Himmel fallende weiße Vögel; schwarze stürzende Pferde. Verstörend und faszinierend zugleich.
In zwei Kapitel unterteilt, erzählt der Film im Folgenden von zwei sehr verschiedenen Schwestern. Zuerst geht es um Justine (Kirsten Dunst), die wir zunächst als strahlende Braut kennenlernen, die kichernd mit ihrem frisch gebackenen Mann Michael (Alexander Skarsgård) zu spät auf der eigenen Hochzeitsfeier erscheint. Nichts klappt so wie vorgesehen – Udo Kier spielt den beleidigten Hochzeitsplaner – und nach und nach offenbart sich das Bild einer zutiefst unglücklichen Familie. Da ist die stets sehr ernste Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die ihr Leben bestens im Griff zu haben scheint, an der Seite ihres reichen Gatten John (wunderbar nuanciert zwischen maulendem Spießer und empfindsamem Verantwortungsträger von Kiefer Sutherland gespielt). Und da sind die längst geschiedenen Brauteltern (John Hurt und Charlotte Rampling), die sich an Rücksichtslosigkeit und Hässlichkeit gegenüber ihren Töchtern gegenseitig überbieten. Am Ende der Nacht findet sich Justine von allen – außer ihrer Schwester und deren Mann – verlassen. Sie versinkt in eine tiefe Depression.
Die starke Stunde der Depressiven aber kommt, wenn ihre schlimmsten Befürchtungen eintreffen. Das zweite Filmkapitel zeigt die innere Erosion von Charlotte Gainsbourgs eben noch so gefasster Claire. Der sich der Erde nähernde Planet versetzt sie in Panik. Ihr Mann versucht, sie mit Wissenschaft zu beruhigen, kauft aber selbst heimlich Vorräte für den Tag X. Während Claire immer ängstlicher wird, findet Justine dagegen zu einer trancehaften Ruhe und Souveränität.
Gefilmt in meisterhafter Integration von spektakulären Spezialeffekten und Handkameraintimität, gleicht Melancholia einerseits den Dogmafilmen von einst, Thomas Vinterbergs Fest oder Anders Thomas Jensens Mifune. Die Stimmung ist ähnlich flirrend, voller unguter Spannungen und ungelöster Probleme von Einsamkeit, Verbitterung und Hassgefühlen. Spürbar sind auch noch Relikte jener Bourgeoisiekritik der Dogmaströmung, die so gern anführte, wie Reichtum und Überfluss doch immer wieder Depression und Wahnsinn hervorbringen. Andererseits aber zeigt von Trier hier eine seltene Sympathie, ja sogar Nachsicht mit seinen fehlerbehafteten Figuren, allen voran Dunsts Justine. Frei von Besserwisserattitüde liefert Melancholia eine Reflektion über die relativierende und zugleich revolutionierende Kraft des Weltuntergangs.
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