Kritik zu Morgen ist auch noch ein Tag
Ein Film über häusliche Gewalt in der Nachkriegszeit, der in Italien Kassenrekorde bricht – kann das mit rechten Dingen zugehen? Unbedingt! Paola Cortellesis Regiedebüt, inspiriert von den Erzählungen ihrer Großmutter, ist ein flammendes Plädoyer für Selbstbestimmung
Auf der Schwelle hält Delia einen Moment inne. Sie muss sich sammeln, bevor sie ihre Wohnung betreten kann. Sacht klingt der Straßenlärm im Hintergrund aus; niemand drängt sich nun in ihre Gedanken. Sie ist aufgewühlt, seit die Hauswartsfrau ihr einen Brief übergab. Sonst ist die Post immer an ihren Ehemann Ivano adressiert. Aber dieses Schreiben ist nur für Delia bestimmt.
Sie zögert, den Umschlag zu öffnen, versteckt ihn zunächst sorgsam in der Schublade. Später holt sie ihn hervor. Als sie den Brief gelesen hat, schleudert sie ihn zu Boden, um ihn dann doch wieder an sich zu nehmen. Weshalb erschüttert dessen Inhalt sie so sehr? Paola Cortellesis Film, der 1946 in einem Rom angesiedelt ist, das aus den Trümmern erwacht, enthüllt es erst in den letzten Minuten. Nur so viel sei verraten: Mit einem Finale, das so überraschend, mitreißend und lebensbejahend ist, wird man in diesem Kinojahr wohl kein zweites Mal beschenkt werden.
Bis dahin steht einzig fest, dass Ivano nichts von dem Brief erfahren darf. Delia (von der Regisseurin unzerbrechlich, aber nicht heutig gespielt) fürchtet seinen namenlosen Jähzorn. Beim Aufstehen bereits verpasst er ihr eine Ohrfeige und lässt keinen Zweifel aufkommen an den Machtverhältnissen, die in der Familie herrschen. Seine Frau hat sich um den Haushalt zu kümmern, um die Söhne, die ganz nach dem Vater kommen, deren ältere Schwester sowie den bettlägerigen Schwiegervater.
Der Herr des Hauses ist ein jämmerliches Scheusal, das sich der eigenen Männlichkeit nur mit Rohheit versichern kann. Und dementsprechend dauert es eine Weile, bis man in seinen finsteren Zügen den sonst so einnehmenden und auf sympathische Rollen festgelegten Valerio Mastandrea erkennt. Dass man Frauen nicht respektieren muss, haben ihn die noch unangefochtene patriarchale Gesellschaft und das Vorbild des Vaters gelehrt. Noch immer erteilt der greise Tyrann ihm Nachhilfe: Er solle seine Frau nicht so häufig verprügeln, sonst gewöhne sie sich noch daran. Tochter Marcella hingegen wirft ihrer Mutter vor, sich seine Demütigungen und Schläge widerstandslos gefallen zu lassen.
»Ich singe mit geschlossenem Mund«, heißt es in einer der zahlreichen Canzonen, die den Verlauf der Handlung sarkastisch kommentieren. Sie eröffnen einen Freiraum der Fantasie; zuweilen lösen sich Ivanos Gewaltausbrüche in beschwingte Choreographien auf, in denen kurz eine Ausflucht aus der Wirklichkeit zu gelingen scheint.
Aber das Regiedebüt der populären Komikerin und Moderatorin Cortellesi ist keine Komödie, die beschwichtigt. Sie steht in der Tradition des »rosa Neorealismus«, der »Commedia all'italiana«, die grimmige Zwiesprache hielt mit archaischen Geschlechterrollen und menschlicher Schäbigkeit. Ästhetisch vollzieht die Regisseurin diese Herkunft nach, in dem sie ihren Film zu Beginn im klassischen Normalformat kadriert und in ein Schwarz-Weiß taucht, das nicht nostalgisch ist, sondern konfliktreich: ein Monochrom der unvereinbaren Gegensätze. Wenn die Bilder sich mit dem Vorspann zum Breitwandformat öffnen, bleiben die Verhältnisse gleichwohl erstickend eng.
Die Unterdrückung der Frauen zieht sich durch sämtliche Gesellschaftsschichten. Delias Hoffnung ruht auf Marcellas Verlobung mit einem Sohn aus reichem Hause, der sich indes ebenfalls zum besitzergreifenden Macho wandelt. Jedoch zeigt der Film auf, dass die Ehehölle kein unentrinnbares Schicksal ist. Delias beste Freundin ist eine Marktfrau, die ihren Gatten patent in die Schranken weist; die Besitzerin des Modegeschäfts, für die Delia Schneiderarbeiten erledigt, ist stolz auf ihre Unabhängigkeit.
Neben diesen gelebten Alternativen umgibt der Film seine Heldin mit zwei Verehrern, die als Gegenbilder zu Ivano fungieren: einer verpassten Jugendliebe sowie einem schwarzen Militärpolizisten, der ihr überschwänglich für ihre Freundlichkeit dankt. Cortellesi legt diese Begegnungen betont naiv an; belastbar sind sie letztlich nicht. Die Zukunft, auf die ihr Film dringt, wird sich in weiblicher Solidarität und Selbstbestimmung manifestieren.
Kommentare
Film: Morgen ist auch noch ein Tag
Sehr guter Film auch das Ambiente von 1946 wird nachvollziehbar.
Einige unverständliche Dinge wurden mir erst beim Nachlesen des Inhalts klar:
Der Brief ist kein Brief von Nino, sondern das Wahlschreiben.
Unverständlich ist die Szene , und es wird nicht erkärt , warum es zur Explosion der Cafebar durch den amerikanischen Soldaten kommt.
Aber insgesamt ein toller Film.
Volkmar Diez
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