Kritik zu The Banshees of Inisherin

deutsch © 20th Century Studios

2022
Original-Titel: 
The Banshees of Inisherin
Filmstart in Deutschland: 
05.01.2023
L: 
114 Min
FSK: 
16

Martin McDonagh erzählt in der einzigartigen Landschaft der irischen Árainn Islands eine märchenhafte Fabel über Freundschaft, Verrat und Einsamkeit. Brendan Gleeson und Colin Farrell spielen vor dem Hintergrund des irischen Bürgerkrieges 1923 zwei Trinkbrüder, die sich bitter verstreiten

Bewertung: 5
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Es ist die Zeit des Aufruhrs. Nach dem »Easter Rising« 1916 und dem Unabhängigkeitskrieg 1919–21, der den Beginn der Eigenständigkeit der irischen Republik einläutete, bekämpfen sich Gegner und Befürworter des anglo-irischen Vertrages bis aufs Blut. Auf der kleinen Insel Inisherin vor der Westküste des Landes allerdings weiß man wenig von den einzelnen Parteien. Hier, wo es mehr Kreuze als Bäume gibt und mehr Tiere als Einwohner, ist die Zeit quasi stehengeblieben. Es passiert nicht viel im nebeligen Einerlei der Tage, und da ist es schon eine Sensation, wenn Colm (Brendan Gleeson) beschließt, seinen langjährigen besten Freund Pádraic (Colin Farrell) einfach nicht mehr zu mögen. Wie ein böser Kommentar auf den Bürgerkrieg ist ihm Pádraic plötzlich zu langweilig. Colm will komponieren, etwas hinterlassen, was die Zeit überdauert. »Aber doch nicht dieses bescheuerte Liedchen«, spottet Pádraic und verlässt mehr traurig als wütend den Pub, den einzigen Ort der Zusammenkunft auf der Insel. Doch Colm meint es ernst. Sollte Pádraic ihn weiter belästigen, werde er sich einen Finger nach dem anderen abschneiden. Die Geister, so scheint es, haben sich seiner bemächtigt. 

Der Film beruht auf dem dritten Teil der Árainn-Island-Trilogie, »The Banshees of Inisheer«, die Martin McDonagh für das Theater schrieb, der aber nie zur Aufführung kam. Jeder der drei Inseln, auf denen er als Kind viele Sommer verbrachte, hatte er ein Stück gewidmet. »The Cripple of Inish­maan« 1996 und »The Lieutenant of Inishmore« 2001. Warum »The Banshees of Inisheer« unpubliziert blieb, ist nicht klar. An der Qualität des Stücks kann es nicht gelegen haben.

McDonagh kondensiert die Besonderheiten der Inseln auf der fiktiven Insel Inisherin (Erin ist der keltische Name Irlands). Hier ist der Mythos auch im 20. Jahrhundert noch lebendig. Die Banshees allerdings, die traditionell den bevorstehenden Tod ankündigen, so heißt es im Film, haben sich zurückgezogen und schauen nun teilnahmslos zu, wie das Leben seine Arbeit macht. Dabei gibt es diese eine mythisch-hexenartige Figur, zeitlos alt, hellsichtig und teilnahmslos, etwas verrückt und doch scheinbar harmlos: Mrs McCormick (Sheila Flitton), die in einer kargen Steinhütte am Ufer des Sees lebt und die Lebenden zu sich winkt. Bis tatsächlich jemand stirbt. 

Gedreht wurde der Film auf den Árainn Islands und auf Acaill, der größten der west­irischen Inseln, auf der Heinrich Böll sein »Irisches Tagebuch« schrieb. Dort ist es sehr einfach, in die Vergangenheit einzutauchen, viele der Straßen sind bis heute nicht asphaltiert, leuchtend grüne Felder, von Steinmauern begrenzt, zieren die Landschaft. Das Leben ist karg dort, trotz des florierenden Tourismus. Den gab es in den 1920er Jahren noch nicht. Jeder, der etwas konnte, verließ die Insel damals, und die wenigen, die blieben, passten in einen Kirchenraum. 

Und so lässt Martin McDonagh nichts aus, was das Leben damals bestimmte. Die uneingeschränkte Obrigkeit der Kirche, eine korrupte Staatsmacht in Form eines Polizisten, der betrunken seinen Sohn befummelt, einen Dorfladen, der zugleich Poststation und Ort des Austauschs von Neuigkeiten ist, arme Farmer, die sich mit drei Kühen und einem Esel durchbringen müssen und die Tiere, so weit ist die Zivilisation inzwischen, nicht mehr im Haus dulden. 

Zusammengehalten wird all das von tiefschwarzem Bier und der Musik, für die im Film der großartige Carter Burwell sorgt. McDonagh setzt erfolgreich auf stimmungsvolle Details, bis hin zur Spange der Chieftains, die Pádraics stolze Schwester Siobhan (Kerry Condon) als Brosche am Mantel trägt. Selbst wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Farmerstochter im Jahr 1923 auf einer der Árainn Islands zwei Wintermäntel besitzt, dazu einen roten und einen gelben, so überwiegt auch hier, in der Bürgerkriegsparabel, der Symbolgehalt. Schließlich endet sie auf dem Festland, wo, wie sie sagt, hauptsächlich Spanier leben, an einem Ort, der nicht genannt wird, aber sehr wohl Spanish Point heißen könnte.      

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine absurde Geschichte, die mit Recht nie publiziert wurde. Ich glaube nicht, dass man sie retten kann, wenn man sie als Parabel über den irischen Bürgerkrieg interpretiert.
Zweifellos bietet der Film wunderschöne Landschaftsbilder. Und zweifellos stört der menschliche Irrsinn diese Harmonie. Aber das scheint mir auch schon alles zu sein.
Wenn wir für die Oscars keine besseren Kandidaten haben, sollten wir alle Kinos schließen.

Klar kann man den Film nicht mögen. Nur habe ich Zweifel, dass wir den gleichen Film gesehen haben. Eingenickt? Dabei war dieser Kinofilm gerade emotional eine echte Achterbahnfahrt – allerdings eine in Zeitlupe. Wunderbar.

Ich stimme Ihnen in jeder Hinsicht zu.

Mich hat der Film sehr getroffen.Grandiose Schauspieler vor der atemberaubenden Kulisse Irlands. Das Thema für mich: Was zählt? Was bleibt? Das vor dem Hintergrund dieser kleinen überschaubaren Welt. Tatsächlich konnte ich an keiner Stelle lachen, wie der Rest der Besucher des Kinos. Die Gefühle der einzelnen Personen und ihre Schicksale machten mich nur traurig. Für mich ein Film-Juwel !

Bin mit der Kritik von Ulrich Sonnenschein nicht ganz happy. Die Dinge, die er geschrieben hat, kann ich mitgehen. Aber das Wesentliche des Films ist doch: es wird ein menschlicher Irrsinn sichtbar, der physisch wehtut. Wir haben den Saal völlig erledigt verlassen, auch wenn wir ein paar mal laut lachen mussten. Aber wie kommt es zu diesem Irrsinn? Und nur vor diesem Hintergrund macht für mich der Bezug zum Bürgerkrieg einen Sinn. "Was zählt, was bleibt"? Ich denke, es geht darum, wie Menschen zusammenleben und miteinander auskommen müssen, aber jeder so seine Eigenheiten hat. Sie führen immer zu Konflikten, und ab einem gewissen Grad an Konflikt bricht alles auseinander. So entstehen dann auch Kriege...

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