Interview mit Martin McDonagh über seinen Film »Three Billboards ...«
Martin McDonagh am Set von »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« (2017). © 20th Century Fox
Mr. McDonagh, die Hauptrolle Ihres Films haben Sie schon vor sehr langer Zeit besetzt…
Ja, Frances McDormand und ich begegneten uns nach der Premiere eines meiner Stücke in New York – das war 1998. Danach sahen wir uns verschiedentlich wieder. Beim Drehen konnte ich mich ganz nach ihren Terminen richten, das einzige Problem wäre gewesen, wenn ihr das Drehbuch nicht gefallen hätte.
Haben Sie ihr für ihre Figur eine backstory gegeben?
Nein, das mache ich normalerweise nicht und Frances war daran auch nicht übermäßig interessiert. Für Mildred ist mit der Ermordung ihrer Tochter ihr vorangegangenes Leben irgendwie unwichtig geworden.
Kommen Schauspieler denn oft zu Ihnen mit dem Anliegen, mehr über ihre Figuren zu erfahren, wollen sie wissen, warum sich ihre Figuren in einem bestimmten Moment so und nicht anders verhalten?
Ich tendiere dazu, ihnen das selber zu überlassen. Ich selber habe eine Vorstellung von der Motivation, aber wenn die Darsteller die selber herausarbeiten, ist das wirkungsvoller.
Was war der Ausgangspunkt für diesen Film: eine trauernde Frau, die sich in ihrem Zorn mit allen anlegt…?
Es war eine Kombination zweier Dinge: ich sah vor zwanzig Jahren etwas Ähnliches wie das, was wir hier auf den Billboards sehen, der Zorn, der daraus sprach, blieb mir zehn Jahre lang im Gedächtnis. Ich wollte schon seit langem eine starke Frauenrolle für einen Film schreiben und als die Entscheidung fiel, dass sie eine Mutter ist, ergab sich der Rest fast von selber.
War die Ambivalenz der meisten Figuren von Anfang an Bestandteil der Erzählung oder hat sich das erst beim Schreiben entwickelt?
Bei Mildred wusste ich, dass sie so zornig war, dass sie keine positive Heldin sein konnte, was die Polizisten anbelangt, war es ähnlich, denn der Rassismus bei der Polizei ist nicht zu leugnen. Andererseits wollte sch sie auch nicht alle mit demselben Pinselstrich zeichnen: der von Woody Harrelson verkörperte Polizeichef sollte schon vernünftiger sein, zugleich aber auch verdammt. Da gab es allein bei den drei Hauptfiguren sehr viele Möglichkeiten.
Hat jemand von den Geldgebern dieses Films je gesagt, »Wir mögen die Geschichte, hätten aber doch gerne ein anderes Ende«?
Nein, nie. Sie wissen inzwischen auch, dass man mit mir nicht über meine Drehbücher verhandeln kann, sondern sie so akzeptieren muss, wie sie sind; ebenso, dass ich über die Besetzung selber entscheide und den Final Cut habe. Bei meinem Debüt »Brügge sehen... und sterben« war das noch schwieriger, aber inzwischen kennen die Produzenten meine Arbeit.
Stand denn für Sie selber das Ende von vornherein so fest?
Nein, ich kannte das Ende nicht, bevor ich beim Schreiben dort angelangt war. Mir war allerdings schon klar, dass es nicht darum ging, den Fall zu lösen, dass es vielmehr um eine Entwicklung von Zorn zu Hoffnung ging. Diese Art von Ende hatte ich insofern schon im Kopf, denn die Filme, die im am liebste sehe, sind jene, die man mehrmals anschauen kann.
Sie führen allerdings einmal einen möglichen Schuldigen ein, so dass viele Zuschauer (mich eingeschlossen) denken, jetzt löst sich der Fall doch noch, wenn auch auf märchenhafte Art, zumal dadurch auch die von Sam Rockwell gespielte Figur eine große Wandlung erfährt.
Aber das wäre zu einfach!
Genau das führte bei mir dazu, über die Konventionen eines durchschnittlichen Hollywood-Films nachzudenken. War das Ihre Absicht?
Ein kleines bisschen.
Die Balance zwischen der dramatischen Geschichte und den vielen komischen Momenten ist etwas, das dem Film seinen sehr eigenen Tonfall verleiht. Ist das etwas, was für Sie beim Schreiben ganz natürlich ist, da es auch in Ihren beiden vorangegangenen Spielfilmen Bestandteil war?
Ja, das trifft ebenso für meine Bühnenstücke zu – so sehe ich die Welt. Man darf sich von den Tragödien nicht unterkriegen lassen. Hier ist der Zorn von Frances' Figur so ausgeprägt, dass er schon wieder komisch wird. Es durfte andererseits nicht zu komisch sein, denn das hätte uns weggeführt von dem tragischen Schicksal ihrer Tochter. Aber diese Balance ist für mich essentiell – auch wenn ich in »7 Psychos« vielleicht zu stark zum Komischen tendierte.
Gelingt es ihnen immer schon, diese Balance im Drehbuch auszutarieren oder passiert es auch, dass Sie die in manchen Szenen erst beim Schnitt finden?
Im Allgemeinen ist das im Skript gelöst, aber hier hatten wir in der Tat vier oder fünf Szenen, die komisch waren, jedoch die Geschichte nicht voranbrachten – das haben wir im Schnitt verändert. Nachdem mir jemand nach einer frühen Schnittfassung sagte, dies sei in erster Linie eine Tragödie, fiel es mir leichter, diese Szenen herauszunehmen.
Dieses Drehbuch haben Sie nicht erst nach Ihrem letzten Film begonnen…
Nein, ich habe es geschrieben, nachdem ich das Drehbuch für »7 Psychos« geschrieben hatte und bevor ich »7 Psychos« drehte, das war vor acht Jahren, das Schreiben selber ging allerdings ziemlich schnell.
Ich frage deshalb, weil ich den Eindruck habe, die Zeit ist jetzt eher reif für eine starke weibliche Figur.
Ja, es scheint perfekt zu sein, den Film jetzt in die Kinos zu bringen, gerade nachdem, was in den letzten Monaten in Hollywood passiert ist.
Sie wurden in London geboren, aber Ihr Name verrät irische Wurzeln…
Ja, meine Eltern stammen aus Galway, kamen aber in den sechziger Jahren auf Arbeitssuche nach London. Mein Bruder Michael und ich kamen in London zur Welt, aber wir waren mindestens zweimal im Jahr in Irland, weil unsere Großeltern dort noch lebten. Ich denke, es gibt eine gewisse irische Sensibilität in meiner Arbeit, aber genauso eine Londoner. Ich lebe in London und dies ist eigentlich auch ein britischer Film, die Produktionsgesellschaft, die alle meine drei Filme gemacht hat, sitzt hier und ein Teil des Budgets kommt von Film Four. Von meinen Bühnenstücken spielt nur eines in London, aber acht in Irland – an anderen Orten fühle ich mich irgendwie freier als dort, wo ich lebe. Hier spüre ich fortwährend Einflüsse.
Würden Sie sagen, dass Ihr Bruder ursprünglich stärkere Verbindungen zu Irland hatte – wenn man an seine ersten beiden Film »The Guard – Ein Ire sieht rot« und »Am Sonntag bist Du tot« denkt?
Ich glaube nicht, wir mögen dieselbe Art von Film. Vielleicht liegt das daran, dass meine Bühnenstücke so viel mit Irland zu tun hatten und ich mich deshalb mit den Filmen eher anders verorten wollte. Ich gelte als irischer Bühnenautor, aber nicht als irischer Filmemacher
Ich war ziemlich überrascht vom letzten Film Ihres Bruders, »War on Everyone« und musste mich erst einmal vergewissern, dass er nicht vom Regisseur von »7 Psychos« stammte, während Ihr »Three Billboards…« mehr gemein hat mit seinem »Am Sonntag bist Du tot«. Tauschen Sie Sich über Filmprojekte aus?
Nein, nie. Aber wir versuchen immer, eine frühe Schnittfassung der Filme des jeweils anderen zu sehen, um einen Kommentar zu bekommen – aber da wir beide ziemliche Sturköpfe sind hören wir nicht unbedingt auf den anderen.
Gibt es eine Beziehung zwischen Ihrer Arbeit für die Bühne und der für den Film? Wissen Sie immer schon, für welches Medium Sie etwas schreiben, wenn Sie beginnen?
Immer! Wenn es nur wenige Figuren sind, wenn es innen spielt, dann ist das etwas Anderes als wenn es sich kinematographisch anfühlt. In »Brügge sehen... und sterben« geht es zwar auch wesentlich um zwei Männer, die miteinander reden, aber der Ort ist doch sehr spezifisch, Brügge verleiht dem Film das Filmische. Ebenso ist »Three Billboards« in einer amerikanischen Kleinstadt verankert.
Ist das, was Ihnen sowohl am Kino als auch am Theater Spaß macht, die Arbeit mit den Schauspielern? Oder gibt es auch ganz unterschiedliche Befriedigungen?
Ich habe am Theater nie Regie geführt, bin aber bei den Proben dabei und arbeite mit den Schauspielern. Als Bühnenautor hat man viel Macht, sie dürfen Deine Dialoge nicht ändern, Du darfst die Besetzung bestimmen und bei den Proben dabei sein.
Würden Sie sagen, dass Sie mit »Three Billboards…« zu Ihrem eigenen Stil gefunden haben und »7 Psychos« eher eine Abweichung war?
Ja, im Nachhinein scheint mir das so. »7 Psychos« war von den drei Filmen am Schwierigsten zu drehen, wegen der viel Figuren und der Orts- und Stimmungswechsel. Vor Drehbeginn von »Three Billboards…« habe ich mir die beiden Filme noch einmal angeschaut um herauszufinden, warum ich den einen lieber mochte als den anderen: ich denke es geht um das Verhältnis zu den Figuren. Ich kann größere Empathie entwickeln, wenn sie Raum haben, auf der Leinwand nachzudenken, auch wenn sie noch nicht wissen, wo sie hingehen werden.
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