Frances McDormand: Mit ihr ist zu rechnen
»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« (2017). © 20th Century Fox
Sie spielt oft Frauen, die viel wegstecken – und dann plötzlich Widerstand leisten. Wie jetzt in »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«. Anke Sterneborg porträtiert Frances McDormand
Eine Frau sitzt im Auto und steuert über eine unbefahrene amerikanische Landstraße, auf eine Weise, die verrät, dass sie das seit Jahrzehnten so macht. Doch an diesem Tag fallen ihr im Vorbeigleiten drei riesige Werbetafeln auf, die schon lange nicht mehr gebucht wurden, weil der Verkehr über eine neue Hauptstraße weitläufig umgeleitet wird. Die Plakate sind zerschlissen, das Holz ist verwittert. Sie hält inne und man kann dabei zuschauen, wie sich in ihrem Kopf eine Idee formt. So ist das oft bei Frances McDormand, denn sie gehört zu den Schauspielern, die keine Worte brauchen, um ganze Lebensgeschichten zu erzählen. Man blickt einfach nur in dieses Gesicht, das nicht schön ist, eher herb, fast unscheinbar, das Gesicht einer einfachen Frau, in dem sich all die Enttäuschungen und Schicksalsschläge abzeichnen, die sie im Laufe ihres Lebens, in Ehe, Arbeit und als Mutter absorbiert hat. Ein Gesicht aber auch mit einem harten Zug um den Mund und eine Schärfe im Blick, die verraten, dass sie sich nichts gefallen lässt. Und mit einem Funkeln in den Augen und dem Anflug eines Lächelns, die den ebenso scharfen wie trockenen Humor verraten, der ihren Widerstand befeuert.
Scheinbar einfach gestrickt, liefert McDormand geradezu unheimlich viele Nuancen in ihrem Spiel. Sie ist ein Rohdiamant, berühmt für einen staubtrockenen Humor, ob sie nun der von Charlize Theron in »Kaltes Land« gespielten Frau unter den Männern im Kohlebergbau rät, sich eine Alligatorenhaut zuzulegen, oder sich in »Three Billboards« beim Mitarbeiter der Behörde des kleinen Kaffs Ebbing erkundigt, was im öffentlichen Raum erlaubt ist: »Nur um sicherzugehen: Ich darf da nicht Fuck, Sex und Arsch draufschreiben ...« – »Ja, und Anus auch nicht«, fügt der Mitarbeiter hinzu. »Na, dann habe ich ja keine Probleme.« Es gibt nicht viele Schauspieler, die das so geradeheraus und zugleich vielschichtig sagen können.
Kaum zu glauben, dass sie als 27-Jährige, gerade frisch von der Schauspielschule, enorme Angst hatte, womöglich zu theatralisch zu agieren, und sich darum insgeheim entschied, möglichst gar nichts zu machen. Auch damals saß sie in einer ersten Einstellung in einem Auto, von hinten kaum auszumachen im Dunkel der Nacht, fast so, als könne man dabei zusehen, wie sich hier ganz langsam das Talent von Frances McDormand materialisiert. Das war 1984 in »Blood Simple« von Ethan und Joel Coen, wo sie gleich mit ihrem ersten Leinwandauftritt eine Hauptrolle ausfüllte. Ein bisschen Glück hatte sie damals, weil die eigentlich vorgesehene Holly Hunter plötzlich die Chance für ein substanzielles Broadway-Engagement bekam. Dass McDormand die Rolle der Abby dann tatsächlich übernehmen durfte, lag auch daran, dass sie einfach mal so sagte, zum zweiten Vorsprechen um 14 Uhr könne sie leider nicht kommen, weil sie ihrem Freund bei seinem ersten Soap-Opera-Auftritt beistehen müsse. Dass diese Frau die Rolle nicht um jeden Preis wollte, gefiel den Coens. Joel Coen sicherte sich diesen Schatz dann gleich für alle Zukunft, indem er die Schauspielerin quasi vom Fleck weg heiratete, weshalb sie in ihrer Oscar-Dankesrede zu »Fargo« zwölf Jahre später wissen ließ, Ethan Coen habe sie zur Schauspielerin gemacht und Joel Coen zur Frau. Acht Filme haben sie seitdem zusammen gedreht, acht Filme, die das Herzstück von Frances McDormands Schaffen sind, acht Rollen, die in alle Richtungen ausstrahlen und nachhallen – zum Beispiel auch in »Three Billboards« und sogar dann, wenn sie gar nicht mehr selbst mitspielt, wie in der Serienversion von »Fargo«.
Im Bonusmaterial der gerade frisch restaurierten Special Edition von »Blood Simple« erzählt sie, dass alle Schauspieler, die bei den frühen Filmen der Coen-Brüder vor oder hinter der Kamera dabei waren, für alle Zeiten verwöhnt und verdorben seien, immer wieder süchtig nach demselben Kick, derselben Vertrautheit, wie die Coens sie auf ihren Sets erzeugen. Und später, als McDormand und Joel Coen längst ein Paar waren, war er es, der ihr, wenn sie im Zusammenhang mit einer Audition nervös und unsicher war, sagte, dass die einzige Macht, die ein Schauspieler habe, die sei, Nein zu sagen. Damit erklärt sich wohl auch, dass sich Frances McDormand im Kino ziemlich rar macht, oft nur einen einzigen Film im Jahr zusagt und gern ganz kleine Nebenrollen übernimmt, die immer einen großen Eindruck hinterlassen. Zum Beispiel als resolut liebevolle Mutter des jungen Musikreporters in Cameron Crowes »Almost Famous«, die einem der luftigen Musikerfreunde ihres Sohnes eine telefonische Lebenslektion erteilt: »Be bold and the mighty forces will come to you«, zitiert sie einen Goethe-Satz, der zu ihrem eigenen Lebensmotto taugt.
Ihr entspanntes Verhältnis zum Kino hat auch damit zu tun, dass ihr die Arbeit auf der Bühne unter anderem als Ensemblemitglied der berühmten New Yorker Wooster Group, zu der auch Willem Dafoe gehört, wichtiger ist als der Ruhm, der im Kino zu erlangen ist: »Schauspieler arbeiten, und Filmstars haben Karrieren«, hat sie einmal gesagt: »Ich bin eine Charakterdarstellerin, das ist einfach so.« Sie, die im Film so oft bodenständige Arbeiterinnen gespielt hat, ist auch in ihrem eigenen glamourösen Beruf eine Arbeiterin. Zu dieser No-Bullshit-Attitüde gehört, dass sie kaum Interviews gibt und für Selfies nicht zur Verfügung steht: »Ich bin keine Schauspielerin, weil ich fotografiert werden will. Ich bin Schauspielerin, weil ich am menschlichen Austausch teilhaben möchte.«
Wie so oft spielt sie auch in »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« eine einfache Frau vom amerikanischen Land, auf dem sie selbst aufgewachsen ist, als adoptierte Tochter eines kanadischen Paares. Man sieht dieser Frau all die Enttäuschungen an, die sie im Laufe der Jahre stoisch weggesteckt hat. Diese unaufgeregt sachliche, fast spröde Art des Auftretens ist typisch für die Frauen, die McDormand spielt, Frauen, die viel erdulden, bis sie an einen Punkt kommen, an dem sich ihr Widerstand formiert und sie ebenso gewitzt wie tatkräftig zurückschlagen. Das bekam schon in »Blood Simple« ihr gewalttätiger Ehemann zu spüren, dem sie im Gerangel einfach mal den Zeigefinger bricht, um ihn anschließend mit einem heftigen Tritt in die Weichteile zum Brechen zu reizen. Das bekamen auch in »Fargo« all die Männer zu spüren, die dachten, sie könnten der unbedarft wirkenden Polizistin Marge etwas vormachen, die da so behäbig hochschwanger durch den Schnee stapfte. Wie Columbos Schwester im Geiste lullte sie mit ihrer entwaffnend offenherzigen Art alle ein, um sich in Ruhe einen Reim auf den mörderischen Irrsinn zu machen, der sich in ihrer friedlichen Welt ausbreitet.
Die Magie des Spiels von Frances McDormand liegt darin, dass es fast immer so aussieht, als sei sie einfach nur da, als würde sie gar nichts Nennenswertes machen, während sie schon längst die Essenz eines Menschen auf die Leinwand gezaubert hat. Meistens sieht sie dabei unscheinbar aus. Statt glamouröser Roben trägt sie funktionale Arbeitsklamotten, wie die Polizeiuniform in »Fargo«, den Blaumann in »Kaltes Land«, Karohemd und wattierte Weste in »Promised Land« oder auch einen simplen Hosenanzug, den sie aus dem eigenen Kleiderschrank an den Set mitbringt, wie in »Blood Simple«. Statt Make-up trägt sie in erster Linie ihr eigenes Gesicht, umrahmt von Haaren, die meistens einfach so fallen oder funktional zum Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Insofern ist es schon sehr komisch, dass sie in »Burn After Reading« von den Coen-Brüdern das schnell und kriminell verdiente Geld braucht, um sich mit einer Serie von Schönheitsoperationen in Form bringen zu lassen. Aber auch wenn die Figuren, die sie spielt, so wie hier ein Witz sind, bewahren sie sich eine innere Wahrheit. Und wenn es umgekehrt wirklich gar nichts mehr zu lachen gibt, dann macht sie einen staubtrockenen Witz.
Statt tatenlos auf Rollen zu warten, nimmt McDormand die Dinge manchmal auch selbst in die Hand. So erkannte sie in Elizabeth Strouts mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman »Olive Kitteridge« das Potenzial für eine Miniserie, die sie als Koproduzentin zu ihrem persönlichen Herzensprojekt machte. Sie erwarb die Rechte, beauftragte die Entwicklung des Drehbuchs und überzeugte die Regisseurin Lisa Cholodenko, für die sie in »Laurel Canyon« eine unkonventionelle Mutter gespielt hatte, die Regie zu übernehmen. So stapft sie dann in den ersten Bildern so resolut wie resigniert in einem einsamen Wäldchen durchs Herbstlaub, platziert ihre Handtasche auf dem Boden einer Lichtung, packt ein Transistorradio, einen Abschiedsbrief und eine Pistole aus – aber halt! So weit kommt es noch nicht. Die Uhr wird 25 Jahre zurückgedreht, und es geht mitten hinein in den Alltag eines ruhigen Küstenstädtchens: Olive arbeitet als Mathematiklehrerin, bewohnt ein Häuschen mit Garten, ist Mutter des unglücklichen Teenagers Christopher und Ehefrau von Henry, dem Apotheker, dargestellt von Richard Jenkins, mit dem sie immer wieder wundervolle Duette gespielt hat, weil er im Grunde ihre männliche Version verkörpert, mit einer ähnlichen Mischung aus Resignation und Aufbegehren, Humor und Menschlichkeit.
Das einfache Leben normaler Menschen wird in »Olive Kitteridge« mit dem unbestechlichen, ungnädigen Blick der Titelheldin gesehen, die sich konsequent weigert, den gesellschaftlichen Normen der Höflichkeit und des Takts zu entsprechen oder ihre eigene Lage zu beschönigen. Rücksichtslos spricht Olive alles aus, was sie denkt, über ihre dummen Schüler, den einfältigen Sohn, ihren biederen Mann und seine liebevolle Valentinskarte, die er kaum eine Stunde später schon im Müll vorfindet: Gelesen habe sie sie ja schließlich schon, und er wisse doch, dass sie keinen Krimskrams möge. Der schneidende Pragmatismus und die Bitterkeit könnten so eine Figur unerträglich machen, würde sie nicht mit dieser entwaffnenden Wahrhaftigkeit und menschlichen Tiefe von Frances McDormand gespielt und zugleich mit lakonischer Tragikomik unterfüttert. Auf den ersten Blick wirkt ihr Verhalten schockierend, auf den zweiten wird klar, dass sie nur das ausspricht, was andere nicht zu sagen wagen. Und dann offenbart sich, dass sie unter ihrer unversöhnlich kratzbürstigen Fassade ausgesprochen einfühlsam und wachsam auf die echten Nöte ihrer Mitmenschen reagiert. Sie ist dann eben auch die Einzige, die merkt, dass der Sohn der psychisch kranken Nachbarin in Not ist, dass eine Dorfbewohnerin von den Klippen ins Meer gefallen ist oder ein selbstmordgefährdeter Mensch Hilfe braucht.
Über all diesen geerdeten Frauen vergisst man leicht, wie schön Frances McDormand auch aussehen kann, mit einem Hauch von mädchenhaft unschuldigem Charme in »Blood Simple« oder als platinblonde Glamour-Frau in »The Man Who Wasn't There«, wo sie in engen Kostümen, mit perfekt gestylten Locken und Sonnenbrille als verführerische Femme fatale auftritt. Meistens aber würden solche Äußerlichkeiten nur den Weg zum inneren Kern ihrer Figuren verstellen. So hat sie sich im Laufe der Jahre immer stärker von klassischen weiblichen Nebenrollen in einer Welt der Männer emanzipiert. Mit ihrer magnetischen Präsenz hat sie bewiesen, dass Figuren, denen sonst in Hollywood nur ein Schattendasein am Rande der Geschichten vergönnt ist, zwei Stunden Aufmerksamkeit allemal wert sind. Mit sechzig Jahren, also in einem Alter, in dem Frauen sonst ausgemustert werden, hat sie sich einen Status erobert, der sonst nur Männern vorbehalten ist. Die Mildred in »Three Billboards« hat sie tatsächlich nach dem Vorbild der von John Wayne gespielten Helden in den Filmen von John Ford angelegt, wie sie der »New York Times« erzählte: »Diese Figuren können aus dem Nichts kommen, sie brauchen keinen großen Hintergrund, man muss nicht erklären, warum sie so sind, wie sie sind, sie sind es einfach!« Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie damit nicht eine fünfte Oscar-Nominierung und einen zweiten Oscar holen könnte.
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