Der Frauenfilm: Die Unverletzlichkeit der Person
»She Said« (2022). © Universal Studios
In diesem Monat kommen zwei Filme ins Kino, die um zentrale frauenpolitische Konflikte kreisen: sexualisierte Gewalt in »She Said« und das Recht auf Abtreibung in »Call Jane«. Für Birgit Roschy ein Anlass, auf die letzten Jahre und eine Reihe engagierter Filme, vor allem von Regisseurinnen, zurückzublicken. Hat die MeToo-Kampagne uns vorangebracht?
Es war einmal ein Filmproduzent, der über 20 Jahre lang für das Zustandekommen einiger der Best-ofs der Branche verantwortlich zeichnete. Von »Shakespeare in Love« bis »Pulp Fiction«, von »Der Herr der Ringe« bis hin zu »The King's Speech« wurden seine Produktionen 19 Mal für den Oscar als Bester Film nominiert und gefielen sowohl Kritikern wie dem großen Publikum. Umso heftiger fiel das Beben aus, als Harvey Weinstein, der König des Qualitätsfilms, 2017 der sexuellen Belästigung angeklagt und 2020 zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde. Unter dem Hashtag #MeToo trauten sich immer mehr Missbrauchsopfer auch anderer Bosse zu reden. Neben dieser bald weltweiten Bewegung formte sich in den USA nach der Aufhebung der seit 1973 gültigen Roe-v.-Wade-Grundsatzentscheidung durch den Supreme Court im Juni 2022 ein weiterer Proteststurm. Verkürzt gesagt, wurde durch Roe v. Wade Frauen das verfassungsgemäße Recht verliehen, selbst über den Abbruch einer Schwangerschaft zu entscheiden. Durch die Aufhebung aber wurde den Bundesstaaten die juristische Entscheidungsgewalt über Abtreibung zurückgegeben. In der Praxis wird dies wohl dazu führen, dass in den USA die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs vielerorts erneut eingeschränkt oder verboten werden wird.
Haben sich diese Erschütterungen auch auf Filme ausgewirkt – wird »Frauenthemen« und weiblichen Sichtweisen mehr Aufmerksamkeit gewidmet?
Bei dem Recht auf Abtreibung, wie die juristische Volte in den USA zeigt, handelt es sich, gerade in christlich geprägten Gesellschaften, um eine Schlacht, die niemals geschlagen scheint und immer wieder aufs Neue geführt werden muss. Dieser Belagerungszustand wird durch immer neue Filme seit langem konstant widergespiegelt, und wird in seiner fundamentalen Wichtigkeit, obwohl es doch ein »Und ewig grüßt das Murmeltier«-Konflikt ist, offenbar auch vom Kinopublikum begriffen.
Erinnert das neu anlaufende Drama »Call Jane« über eine Untergrundorganisation der späten Sechziger, die heimliche Abtreibungen ermöglichte, an historische Vorkämpferinnen einer liberalen Gesetzgebung, so erfreuen andere Filme der jüngsten Zeit, von Frauen gedreht, mit einem intensivierten Fokus auf die Betroffenen, lassen das Bemühen erkennen, weibliches Erleben so tiefenscharf wie möglich spürbar zu machen. Der weibliche Regieblick macht tatsächlich den Unterschied aus. »Das Ereignis« (Audrey Diwan, 2021) nach einem autobiografischen Roman der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux veranschaulicht ebenso kühl wie genau die Zwangslage einer jungen, ungewollt schwangeren Studentin zu Beginn der sechziger Jahre, als Abtreibung in Frankreich strafbar war. Wie in jener schlechten alten Zeit muss im US-Gegenwartsdrama »Niemals Selten Manchmal Immer« (Eliza Hittman, 2020) ein ungewollt schwangeres Mädchen aus dem Arbeitermilieu trotz liberaler Gesetze einen demütigenden Parcours hin zum Schwangerschaftsabbruch absolvieren. Auch in diesem stillen Independent-Film liegt der Teufel im Detail, entfaltet sich mit der fast dokumentarisch anmutenden Einfühlung in die Perspektive dieses Teenagers das Panorama einer unverändert scheinheiligen Gesellschaft, in der besonders junge Frauen sexualisiert, bedrängt und zugleich als »Schlampen« abgestempelt werden. Jenseits dieser äußerlichen Zumutungen handeln die beiden deutschen Filme »24 Wochen« und »Eine Handvoll Leben«, beide 2016 gedreht, von einer anderen Bedrückung: vom Wissen der Schwangeren, dass ihr ungeborenes Kind mit einer schweren Behinderung zur Welt kommen würde. Das Drama »24 Wochen« bekommt, neben Diskussionen mit dem Umfeld über die Möglichkeit einer Spätabtreibung, durch die Auftritte authentischer Ärzte und Psychologen ebenfalls eine dokumentarische Note, ist fast ein Lehrfilm.
Die Quintessenz dieser Filme lautet aber, dass allein Frauen das Recht zusteht, die Entscheidung über das eigene und (bis zu einer zeitlichen Grenze) auch das ungeborene Leben in ihrem Bauch zu treffen. Diese Botschaft besagt etwas Selbstverständliches, nämlich, dass jeder Mensch die Verfügungsgewalt über seinen eigenen Körper besitzt. Doch selbst in der gesetzlichen Praxis ist es noch nicht sehr lange her, dass Frauenkörper Männern gehörten. Dass Harvey Weinstein jahrzehntelang und ziemlich ungestört Schauspielerinnen und weibliche Angestellte bedrängen und vergewaltigen konnte, wurde denn auch nach Aufdeckung des Missbrauchs als strukturelles Problem begriffen. In allen westlichen Staaten kam es durch die Lawine der MeToo-Enthüllungen zu Rücktritten besonders im Bereich von Regierung und Unterhaltungsindustrie. In Firmen und Institutionen wurden Richtlinien verändert, um Belästigungen zu verhindern. Das Thema ist auch in Filmen selbst angekommen, wie nicht nur die von Maria Schrader inszenierte aktuelle Chronik »She Said«, basierend auf dem Sachbuch der Journalistinnen, die Weinsteins Übergriffe aufdeckten, zeigt.
Doch im Versuch der Darstellung sexuellen Missbrauchs ergibt sich ein schwer überwindbares Dilemma. Wie lässt sich klarmachen, was da passierte in Büros und Hotelzimmern – im »Raum« (Lenny Abrahamson, 2015), in dem eine entführte Frau jahrelang gefangen ist – ohne einen pornografischen Voyeurismus zu bedienen und die Opfer erneut auszubeuten? Wie sehr die mutmaßlich gute Absicht schiefgehen kann, beweist »Blond« (Andrew Dominik, 2022), eine im MeToo-Fahrwasser gedrehte Phantasmagorie über Marilyn Monroe. Die meist kindlich verschreckt blickende Schauspielerin wird bei einer Vergewaltigung durch einen Studioboss, bei Abtreibung, einem Dreier und einem Kennedy-Blow Job beobachtet – das Hochamt eines auf künstlerisch wertvoll getrimmten und mit bedeutungsschwangerer Küchenpsychologie aufgeladenen Male Gaze. Auch der Film »Bombshell« (2019), der die ein Jahr vor dem Weinstein-Skandal enthüllten Übergriffe auf Mitarbeiterinnen des Senders Fox durch dessen CEO Roger Ailes behandelt, bleibt der glänzenden Oberfläche verhaftet. Wie Schauspielerinnen, die sich als erotische Verheißung präsentieren müssen, so werden die barbiehaft aufgezäumten Moderatorinnen zum Kommentieren der Nachrichten nach den schönsten Beinen ausgesucht. Sex sells – das gilt leider auch für diesen Film, in dem zwar viel Wert darauf gelegt wird, das stille Entsetzen und die sich entwickelnde Solidarität der Frauen zu zeigen, diese aber zugleich mit ihrer geklonten Makellosigkeit ins Rampenlicht geschoben werden und der weitere Kontext unterbelichtet bleibt.
Dabei kommt es doch besonders darauf an, wie das großartige Netflix-Drama »The Assistant« (2019) beweist. Denn wie beim Thema Abtreibung, wo unter der Hand Adressen von »Engelmacherinnen« weitergegeben wurden, geht es auch bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz um offene Geheimnisse, eingebettet in das Reich des Gossip, ein Netz von Mitwissern. Regisseurin Kitty Green unterzieht sich der Mühe, diesen Flurfunk im Detail transparent zu machen. Nicht die Frage nach der Wahrhaftigkeit der Opfer steht im Mittelpunkt, sondern die Komplizenschaft einer Umgebung, die den Missbrauch duldet und im Sinne der Jobsicherheit unterstützt. Der Film beleuchtet Weinsteins System aus der Perspektive einer neuen Angestellten in seinem New Yorker Büro. Die junge Frau, eine emsige Arbeitsbiene, die in der Hoffnung auf eine Karriere auch mal als Putzfrau aushilft, schnappt Dinge auf, die sie noch nicht zu ignorieren gelernt hat. Der stille Höhepunkt des Films ist ihre schüchterne Beschwerde beim Personalleiter wegen einer jungen Frau, die sie auf Geheiß des Chefs in ein Hotel bringen muss. Er weist ihren Verdacht rundweg ab, schmeichelt und droht und bestätigt mit einem Rausschmeißer-Trost dreist ihre Befürchtung: »Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind nicht sein Typ.« Das auf seine Weise perfekte Drama, in dem der allmächtige Boss nur als Telefonstimme vorkommt, vermittelt in winzigen Indizien eingefahrene Missbrauchsstrukturen und die zwischen Mitgefühl, Zynismus und Sexismus schwankende Haltung der Angestellten. Das geile Kichern der Männer beim Lauschen, die abgebrühten Kommentare der Frauen angesichts eines hübschen Mädchens im Wartezimmer – das wird die neue Angestellte zukünftig zu überhören lernen. Wie nebenbei illustriert der Film mit stiller Grausamkeit ein Phänomen, um das jedes Missbrauchsopfer weiß: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Oder für Schlimmeres.
Handelte es sich um eine Vergewaltigung oder um Sex, den die Frau später bereut? Einige Regisseure versuchen in ihren Filmen, die Ambivalenzen der MeToo-Vorwürfe, das Problem der Beweislast durch verschiedene Versionen der Tat widerzuspiegeln. So inszeniert Ridley Scott in »The Last Duel« (2021) einen durch historische Prozessdokumente belegten mittelalterlichen Vergewaltigungsfall mit der »Rashomon«-Methode, indem er ihn nacheinander aus der Sicht des Täters, des Vergewaltigungsopfers und ihres Ehemanns erzählt. Am Ende steht der Tod, entweder für ihn oder für sie.
Komplexität ist auch das Markenzeichen der französischen Romanverfilmung »Menschliche Dinge« (Yvan Attal, 2022), in der ein Elitestudent aus bekannter Familie der Vergewaltigung einer 16-Jährigen – der Tochter des neuen Freundes seiner Mutter – angeklagt wird. Die Stunden rund um die Tat werden Stück für Stück je aus seiner und aus ihrer Perspektive geschildert, der eigentliche Vorfall ist aber ausgespart. Wie in »The Last Duel« wird dem Knirschen der Justizmaschinerie, in der beide Familien gefangen sind, viel Zeit gewidmet. Im Roman und teilweise auch in der Verfilmung finden in einem weiten Bogen außerdem die Fälle Lewinsky und Strauss-Kahn und die Massenübergriffe in der Silvesternacht in Köln 2015 Eingang in die pessimistische Betrachtung einer permissiven Gesellschaft. #BalanceTonPorc, die französische #MeToo-Variante, bekommt hier ein besonderes Geschmäckle mit einer bekannten Feministin als Mutter des Angeklagten. Die Frage, ob es sich um Nötigung oder einvernehmlichen Sex handelte, das Mädchen zu schüchtern war, um sich zu wehren, der Junge zu selbstherrlich dem Vorbild seines Vaters, eines Schürzenjägers, nacheifernd, bleibt ungeklärt. Der gesellschaftliche Tod droht aber beiden.
Auf dem schmalen Grat zwischen Zivilisation und Barbarei ist die existenzielle Vernichtung als letzte Konsequenz aber jederzeit präsent, wie auch die Serie »The Morning Show« zeigt, die in der ersten Staffel ebenfalls durch ein MeToo-Echo beherrscht wird. Steve Carell spielt den charmanten TV-Moderator, der wie selbstverständlich seit jeher die von ihm abhängigen Frauen in seinem Umfeld »vernascht«, wie es so schön heißt. Bis ihm eine sexuellen Missbrauch vorwirft und seine Welt auf den Kopf gestellt wird. Auch hier gibt es zwei Versionen einer Tat zu sehen. Doch die Serie zeigt, neben der Verzweiflung des Mannes, eindringlich, wie zerstörerisch die Scham ist, die Frauen durch den Ruf, sich »hochzuschlafen« empfinden.
So verdienstvoll diese MeToo-Filme sind, so bewegt sich das Gezeigte doch fast nie aus jener Glamourzone, die medial ohnehin überrepräsentiert ist. Es ist die Sphäre jener Berufe, für die der Begriff »Besetzungscouch« erfunden wurde, in die schöne, oder auch nur privilegierte, Menschen drängen, wo neben Geld Status lockt, Journalismus, Werbung, Politik und Künste sich gegenseitig stützen. In »Menschliche Dinge« ist der eigentliche Schurke der Vater des Angeklagten, ein prominenter Fernsehjournalist, der wie in »The Morning Show« auf die hübschesten Praktikantinnen zugreift. Er ist ein »zivilisiertes Raubtier«, wie die jungen Elitestudenten, die im Thriller »Promising Young Woman« (Emerald Fennell, 2022) zur Zielscheibe der Heldin werden, die den Tod ihrer vergewaltigten Freundin rächen will. Opfer und Täter unterhalb dieses Milieus finden wenig Beachtung. »Niemals Selten Manchmal Immer« ist eine Ausnahme, ein Lower-Class-Drama, das allerdings in seinem Porträt eines Teenagers, der sich nicht unterkriegen lässt, sein MeToo-Subthema etwas vernachlässigt. Und in der Serie »Impeachment« über den Fall Monica Lewinsky bekommt immerhin auch eines der Opfer von Clinton, Wahlkampfhelferin Paula Jones, Zeit gewidmet. Wie diese ungebildete Frau auf einer Pressekonferenz zu schildern versucht, was Clinton getan hat, und von Journalisten ausgelacht wird – das sagt, in einer kurzen Szene, mehr über ein Missbrauchsmilieu und die alles bestimmende Klassenzugehörigkeit aus als viele feiner ziselierte Filme. Doch wird man je einen von dem Fall Dominique Strauss-Kahn inspirierten Film sehen, in dem ein schwarzes Zimmermädchen gegen ihren Vergewaltiger, einen hochrangigen Politiker, klagt?
Überhaupt weist das derzeitige Kino trotz MeToo kaum Filme auf, in denen atavistische Gefühle auch von Zuschauerinnen ein Ventil finden. Selbst in einem Rachethriller wie »Promising Young Woman« verschwendet die Heldin unendlich viel Zeit und Gedanken darauf, den Männern, von denen sie sich als vorgeblich betrunkener Lockvogel abschleppen lässt, mit drastischer Pädagogik erziehen zu wollen. Wir waren schon mal weiter: »Thelma und Louise« (1991), aber auch Rachethriller wie »Eine Frau sieht rot« (1976) oder »Extremities« (1986), in denen Frauen auf ganz brachiale Weise und unter Einsatz sowohl ihres Gripses wie ihres Körpers Angreifer ausschalten, um sich Lebensraum zurückzuerobern, machten einst Kasse. Ihre Nachfolgerinnen, die im eskapistischen Fantasymärchen angesiedelten Action- und Superheldinnen à la »Wonder Woman« oder die grimmig blickenden schwarzen Königinnen im »Wakanda« der »Black Panther«-Filme vermitteln vor allem das Gefühl, stundenlang in der Maske gesessen zu haben, bevor sie es wagen, Lasso oder Speer zu zücken. Und währenddessen flimmern YouTube-Filme über iranische Frauen, die auf Polizeiautos tanzen und Mullahs den Turban vom Kopf schlagen, durch die ganze Welt.
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