Kritik zu She Said

© Universal Pictures

Maria Schrader verfilmt die Geschichte schreibende Reportagearbeit der Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey, die 2017 mit ihrem Artikel über Harvey Weinstein den wesentlichen Katalysator für die #Metoo-Bewegung lieferten

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Die junge Frau staunt nicht schlecht, als sie an einem irischen Strand auf ein Segelschiff aus dem 18. Jahrhundert trifft. Nein, sie befindet sich nicht in einer Parallelwelt. Sie beginnt einen Job bei einem Drehteam. Schlaglichtartige Bilder beleuchten die Faszination dieser Arbeit bei einer glamourösen Filmfirma. Doch dann rennt die Frau panikartig durch eine Straße. Als ob der Leibhaftige ihr nachgestellt hätte.

Das hat er auch. Doch das machte die »New York Times« erst Jahrzehnte später, im Oktober 2017, publik. In einer Geschichte über den Filmproduzenten Harvey Weinstein, in der diesem vorgeworfen wurde, eine Vielzahl junger Frauen sexuell genötigt oder vergewaltigt zu haben. Die Aufdeckung des Skandals führte zur Zeitenwende des #Metoo. Rein faktisch ist er eigentlich aufgearbeitet. Aber einschlägige Dokumentationen machen eines nicht spürbar: Frauen, die nach Weinsteins sexuellen Attacken die Öffentlichkeit suchten, wurden jeweils zur Unterzeichnung einer wasserdichten Schweigeklausel verdonnert. Wie fühlt sich der Schmerz an, den sie durchleben mussten, weil der mächtige Produzent ihre aufkeimende Schauspielkarriere für immer im Keim erstickte?

Diese Dimension des Traumas rückt Maria Schrader in ihrem bemerkenswerten US-Film in den Fokus. Ihr Film verbeugt sich vor dem klassischen Recherchethriller »Die Unbestechlichen« über den Watergate-Skandal. Zoe Kazan und Carey Mulligan spielen die beiden Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey, die für ihre Enthüllung 2018 mit dem Pulitzer-Preis geehrt wurden. Gemeinsam mit der britischen Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz breitet Schrader ein komplexes Puzzle aus. Schritt für Schritt fassbar wird so die Funktionsweise einer gut geölten Maschinerie. In einer Schlüsselszene muss der Prokurist von Weinsteins Firma Miramax an der Haustür unangenehme Fragen über die Zahlung von Schweigegeldern beantworten. Der fragende Blick seiner Ehefrau spricht in diesem Moment Bände. Spürbar wird, wie das System Weinstein von einem Erdbeben erschüttert wird.

Die Machart des Films erklärt sich aus der Thematik: »Pulp Fiction«, »Der Herr der Ringe«, »Der englische Patient« und Hunderte weiterer Qualitätsfilme – Weinstein war nicht irgendein Produzent. Über Jahrzehnte hinweg avancierte er zur Seele des anspruchsvollen Kinos. Seine Übergriffigkeit ist der blinde Fleck des Kinos. Was er tat, ist obszön – und zwar auch im etymologischen Sinn, in dem »obszön« »außerhalb der Szene« bedeutet. Obszöne Bilder, die zeigen würden, wie Weinstein sich an Frauen vergeht, spart der Film bewusst aus. Der Produzent selbst ist nur einmal kurz sehen. Von schräg hinten in einer Art Pseudo-Cameo.

Der Schwerpunkt liegt auf den Gesprächen der Recherchierenden mit betroffenen Frauen. Diese Unterredungen gipfeln allerdings nicht in exaltierten Gefühlsausbrüchen. Erstickte Worte machen die eigentliche Dimension des Weinstein-Skandals spürbar. Die für das Bildmedium Kino eigentlich untypische Betonung der Sprache, die bereits im Titel »She Said« anklingt, liegt in einem Trend. Annapurna Pictures und Brad Pitts Firma Plan B, die für die Produktion verantwortlich zeichnen, realisierten eine beeindruckende Reihe teils oscarprämierter Projekte wie »The Big Short« oder »Moonlight«.

Positioniert zwischen Independentfilm und Blockbuster, stehen diese Produktionen für inhaltlich fokussierte Filme, deren Thema der Star ist. Entsprechend macht »She Said« auch die Funktionsweise einer großen Zeitung minuziös transparent. Gedreht wurde in den Redaktionsräumen der »New York Times«, die während der Pandemie verwaist war. Wenn schließlich nach der letzten Korrektur mit zittrigem Finger die Taste ­»Publish« gedrückt wird, dann vermittelt sich die Spannung. Rückblickend weiß man, was von dieser einen Veröffentlichung alles abhing. Den steinigen Weg dorthin hat Maria Schrader sehenswert ausgeleuchtet.

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