Kritik zu The Last Duel
Ridley Scott verwandelt einen gut belegten mittelalterlichen #MeToo-Fall mit Hilfe der Drehbuchschreiber Ben Affleck, Matt Damon und Nicole Holofcener in ein tolles Stück Abenteuerkino zum Nachdenken
Es erfordert einen gewissen Mut, die Orts- und Zeitangabe »Paris, 29. Dezember 1386« an den Beginn eines Ritterdramas zu setzen. Im Fall von »The Last Duel« kommt die Einblendung einer Warnung gleich: Man soll sich nicht täuschen lassen von der mittelalterlichen Kulisse und den beiden Rittern, die sich da zum Zweikampf in einer Arena rüsten – dieser Fall ist nicht fiktiv. Das, was sich an jenem Wintertag in Paris zugetragen hat, ist ziemlich genau belegt – durch Gerichtsakten. So handelte es sich beim »letzten Duell« nicht um das letzte Mal, dass zwei Männer sich nach Handschuhwurf etc. gegenüberstanden, sondern um das letzte Mal, dass dies als Form staatlicher Gerichtsbarkeit geschah. Der Ritter Jean de Carrouges hatte seinen alten Freund und Weggefährten Jacques le Gris angeklagt, seine Frau Marguerite vergewaltigt zu haben. Le Gris hatte den Vorwurf bestritten. Das Duell sollte nun darüber entscheiden, wer recht hatte, da Gott den Gerechten mit dem Sieg belohnen würde. Da die offenbar sehr ausführlichen Aufschriebe zum Fall von Le Gris' Rechtsanwalt bis heute überlebt haben, weiß man über den Klageverlauf fast genauer Bescheid als über viele #MeToo-Fälle der letzten Jahrzehnte.
Von seiner Eröffnungssequenz, der unmittelbaren Duellvorbereitung, springt der Film zurück in die 1370er Jahre, als Le Gris (Adam Driver) und De Carrouges (Matt Damon) Seite an Seite in Schlachten kämpften. Statt ausführliches, spektakuläres Schlachtgetümmel, wie man es von einem Ridley-Scott-Film eigentlich erwarten würde, bekommt man mehr die entscheidenden Szenen davor und danach zu sehen: De Carrouges, wie er sich allzu begierig in einen Kampf stürzt, den zu gewinnen es keine Aussicht gibt. Le Gris, wie es ihm gelingt, davon im richtigen Ton ihrem Lehnsherren Pierre (Ben Affleck) zu erzählen. De Carrouges, den Matt Damon mit einer fast lächerlichen Vokuhila-Frisur und einer leicht unsympathischen Starrköpfigkeit spielt, fühlt sich oft unterschätzt. Dem sozial viel geschickteren Le Gris dagegen scheint der soziale Aufstieg wie von selbst zu gelingen. Da findet der verwitwete De Carrouges mit Marguerite (Jodie Comer) doch noch eine schöne Braut, und prompt stellt sich heraus, dass das wertvollste Landstück in ihrer Mitgift per Dekret bereits Le Gris überschrieben wurde. Sobald dann später Marguerite in gesetzten, aber eindeutigen Worten ihrem Mann berichtet, was vorgefallen ist, als er für ein paar Tage nach Paris gefahren war, sieht man in dessen Augen den Entschluss, seinen Konkurrenten nun ein für alle Mal vernichten zu wollen. Und dann schaltet der Film noch einmal zurück – um die Ereignisse aus Le Gris' Perspektive zu zeigen. Und danach kommt gleichsam die Krönung des Ganzen: eine dritte Sichtweise, und zwar die von Marguerite.
Wäre »The Last Duel« ein kleiner Arthouse-Film, würde man diesen »Rashomon-»Trick« fast für abgeschmackt halten. Aber die Kombination von Ridley Scotts Seriosität – die seine Abenteuerfilme oft mit etwas zu viel Bedeutsamkeit beschwerten –, und der spielerischen Lust, die die Drehbuchschreiber hier beim Zusammenblenden von damaligen Verhältnissen und heutigen Diskursen (mit vollem Mut zum ahistorischen Detail) an den Tag legen, erweist sich als geradezu berauschend fremd und frisch. Was auch eine blöde Produzentenidee hätte sein können, Ben Affleck und Matt Damon zum ersten Mal seit »Good Will Hunting« auch wieder schreibend zusammenzubringen und mit einer Frau, Nicole Holofcener, zu ergänzen, wird hier zum absoluten Glücksfall. Obwohl die drei Teile dieselben Ereignisse aufgreifen, sind sie so ökonomisch erzählt, dass es nie zu ermüdenden Wiederholungen kommt. Und wenn der gleiche Vorfall aus anderer Sichtweise gezeigt wird, sind die Unterschiede interessant und aufschlussreich. Zusammen mit den Darstellern, die alle vier – ja, auch Affleck als aasiger Fürst – dem Spiel mit den Perspektiven großartige Akzente abgewinnen, ist »The Last Duel« ein seltenes Stück Popcorn-Kino mit echtem Anspruch.
Kommentare
Merkwürdig, dass Barbara
Merkwürdig, dass Barbara Schweizerhof gar nicht auf den offensichtlichen thematischen Zusammenhang zu Scotts Erstlingswerk "Die Duellisten" eingeht, welcher in diesem Film – wenn auch nur durch ein scharfes Auge erkennbar – sogar in einer Einstellung(Stichwort: "Gänse") zitiert wird.
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