Kritik zu Good Will Hunting
Er hat ein außergewöhnliche photographisches Gedächtnis . Er ist ein mathematisches Genie und kann lange Passagen aus Büchern auswendig hersagen. Aber mühsam muß er das lernen, was man nicht berechnen und was man keinem Buch entnehmen kann: die Erfahrung des Vertrauens, das Einmaleins der Liebe. Er heißt Will Hunting und wird von Matt Damon gespielt, der auch - zusammen mit Ben Affleck (der in der Rolle von Wills Freund Chuckie zu sehen ist) - das Drehbuch zum Film geschrieben hat
Im Originaltitel steckt ein ironisches Wort spiel mit dem "good will". Denn der "gute Will" ist gar nicht "gutwillig", im Gegenteil. Er ist widerwillig, läßt nichts und niemanden an sich heran, hat sich hinter einer Mauer aus Mißtrauen und Abwehr verschanzt. Wie diese Mauer Schritt für Schritt ins Wanken gerät und schließlich zusammenkracht, davon erzählt Gus Van Sants Film. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden, vom Verletzlichwerden, vom Liebelernen, erzählt mit viel Dialog- Witz, Charakter- und Wahrhaftigkeit und spielerischem Elan, so daß sich die Erschütterungen des Helden glaubwürdig und bewegend mitteilen.
Vier Freunde um die zwanzig leben in Boston-Süd, einem Arbeiterviertel. Sie machen Gelegenheitsjobs, prügeln sich mit Jungs anderer Cliquen, besuchen ein Baseball-Spiel im Viertel, kutschieren im Auto herum, suchen nach Mädchen in Studenten-Kneipen und bekommen prompt auch dort Streit. Sie werden von der Polizei aufgegriffen, haben ein beachtliches Vorstrafenregister.
Der Anfang des Films ist Milieuschilderung. Man muß dazu wissen, daß Damon und Affleck - die beiden Darsteller und Drehbuchautoren, die das Filmprojekt ausgeheckt haben - in Boston aufgewachsen sind und ,,ihrer" Stadt eine wichtige Rolle im Film zugedacht haben. Die Stadt soll das Spannungsfeld in der Gegensätzlichkeit des Milieus und der sozialen Klassen bieten, sich zugleich als vertraute Nachbarschaft und als abweisendes Fremdland zeigen. Gus Van Sant hat dieses Stadtbild mit unprätentiösem, dokumentierendem Gestus skizziert In der Universität hat Will einen Job als Raumpfleger. Er wischt den Boden und entdeckt auf einer Tafel im Flur eine schwierige mathematische Aufgabe. Mathematikprofessor Lambeau hat sie als besonders knifflige Preisaufgabe seinen Studenten gestellt. Jetzt offenbart sich Will als mathematisches Genie. Ohne viel Umstände greift er zur Kreide und schüttelt die Formel aus dem Ärmel.
Professor Lambeau sucht nach dem geheimnisvollen Studenten, der die Aufgabe lösen konnte. Schließlich stößt er auf Will und entdeckt, daß dieser ein Genie ist. Will hat nie ein College besucht, aber er hat sich als Autodidakt phänomenale Kenntnisse angeeignet, wozu ihn sein außergewöhnliches Gedächtnis befähigt Die besondere Begabung, dieser Genie-Aspekt des Helden erscheint zuerst als herbeigeholter, künstlicher und schwacher Aspekt im Aufbau der Figur und der Geschichte. Aber merkwürdigerweise raubt er dem Film insgesamt nicht die Überzeugungskraft. Vielleicht deshalb, weil das Geniemotiv nicht weiter aus gewalzt wird. Es wird nicht storytragend. Die Karriere eines außergewöhnlich Begabten ist nicht das Thema des Films. Das Geniemotiv bleibt der Entwicklungslinie des Erwachsenwerdens, des menschlichen Erwachens des jungen Will untergeordnet. Und in dieser Perspektive liest es sich als psychologische Metapher für die mitgeschleppten, immer noch wirksamen Allmachtsphantasien der Pubertät. Wills phänomenale Gedächtnisleistungen werden zum Abbild jenes abstrakten Könners und angelesenen Wissen, das beiseitegeräumt werden muß, um wirklichen existentiellen Erfahrungen Platz zu machen.
Professor Lambeau aber ist erst mal begeistert von seinem Genie und möchte ihm auch eine Genie-Karriere ermögliche. Will ist wieder einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und kommt nur unter zwei Bedingungen auf Bewährung frei: er muß einmal in der Woche zu einer Mathematik-Sitzung bei Professor Lambeau erscheinen und muß eine Therapie beginnen.
Eine Reihe von Psychologen versuchen in Wills Innenleben einzudringen. Mit den verschiedensten Methoden . Sie legen ihn auf die freudsche Couch oder versetzen ihn in Hypnose. Aber Will sträubt sich. Er läßt keinen an sich heran und dreht das Therapie-Spiel herum, indem er gnadenlos die Schwachstellen der Therapeuten bloßlegt. Zuletzt geht Lambeau zu seinem alten Klassenkameraden Sean McGuire (Robin Williams) , der an einem College unterrichtet und Therapeut ist. Hier beginnt das spannendste Kapitel und eigentliche Drama des Films.
Eine Art Zweikampf entspinnt sich zwischen Will und Sean.Beide sind dickschädelig, schroff. Aber Sean spricht eine Sprache, die Will versteht. Er gibt Dinge aus seinem Leben preis, offenbart sich immer auch ein Stück weit selbst, verhält sich zunehmend eher als väterlicher Freund, denn als Therapeut - so daß Will nach vielem Hin und Her Vertrauen gewinnt. Beide tauchen in ihre Lebensgeschichten ein, geben ihre Verwundungen zu erkennen. Will, das Waisenkind, das vom Stiefvater mißhandelt wurde. Sean, der Witwer, dessen Frau an Krebs starb. Die Wort-Duelle zwischen Will und Sean sind die stärksten Szenen des Films. Nur zum Schluß hin werden die gegenseitigen Offenbarungen der beiden etwas schematisch. Weil die beiden Charaktere bis dahin so überzeugend, immer auch in neuen, überraschenden Wendungen erschienen sind, hat man an dieser Stelle Angst, sie würden in eine schematische Sentimentalität abrutschen.
Davor aber bewahrt sie vor allem Robin Williams' Darstellungskunst. Williams ist hier nicht in seiner wohlbekannten speedig-komödiantischen Aufgekratztheit zu sehen. Er setzt sei ne Mittel zurückhaltend, sparsam ein, und zeigt sich so in einer seiner besten dramatischen Rollen. Ein kleiner, schneller, hastiger Blick zur Seite, ein Zeigefinger, der nur andeutungsweise aufgestellt wird, ein verhuschtes Lächeln , das in einer schmerzlichen Grimasse erstarrt - in solchen Gesten vermag Robin Williams das Drama der verwundeten Seelen spürbar zu machen.
Ähnlich überzeugend wie Williams ist Minnie Driver als Medizinstudentin Skylar. Sie lehrt Will die Grundrechnungsarten der Liebe. In einer Kneipe bei der Uni begegnen sie sich. Sie ergreift die Initiative. Sie kann dreckige Witze erzählen und zugleich Wills angstgesteuerte Fluchtbewegungen überzeugender analysieren als die Psychiater. Sie ist die stärkste Figur des Films.
Gus Van Sant verblüfft, überzeugt durch Intensität, die er seinen Darstellern abgewinnt. Er zeigt Charaktere hautnah, ungeschminkt und lebendig, wie es Mainstream-Hollywood nie wagen würde. Er macht feinste Stimmungsschwankungen spürbar, und so gibt es Momente im Film, in denen die Inszenierung so direkt, scharf, klug und aufmerksam ist, wie man das im europäischen Kino etwa beim frühen Wenders oder bei Eustache finden konnte.
Erstaunlich auch dies: wir haben heute ein Bild von Jugendlichkeit, das ganz und gar von Mode geprägt ist. Der Film schafft es, davon keine Notiz zu nehmen.
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