Kritik zu Loro
Nach Giulio Andreotti in Il Divo widmet sich Paolo Sorrentino nun der nächsten prägenden und zwiespältigen Politikergestalt Italiens: Silvio Berlusconi, wieder gespielt von Toni Servillo
Einen »Porno ohne Moral« nannte die italienische Ausgabe des »Rolling Stone« den neuen Film von Paolo Sorrentino. Der Regisseur selbst beschreibt »Loro« hingegen als einen »zarten Blick auf die Verletzlichkeit eines alten Mannes«. Das Thema des Films: ein Ausschnitt aus dem Leben des Silvio Berlusconi. Das passt zunächst einmal hervorragend in die jüngste Filmografie Sorrentinos, der sich in der HBO-Serie »The Young Pope«, dem Spielfilm Il Divo und dem oscarprämierten »La Grande Bellezza« mit der Verquickung von männlicher Macht und Sexualität auseinandersetzte. Gespielt wird Berlusconi passenderweise von Toni Servillo, der in »Il Divo« Giulio Andreotti und in »La Grande Bellezza« den alternden Playboy für Sorrentino verkörperte.
Ist »Loro« also wirklich pornografisch? »Bunga-bunga« steht jedenfalls wie zu erwarten im Vordergrund: Der Film folgt zunächst nicht Berlusconi selbst, sondern der Clique aus dekadenten Geschäftsmännern, die für ihn wilde Partys mit jungen weiblichen Gästen organisiert. Ganz besonders der skrupellose Sergio (Riccardo Scamarcio) – eine fiktive Figur – hat es darauf abgesehen, in den inneren Zirkel Berlusconis vorzudringen. Zu diesem Zweck »castet« er attraktive Frauen, die er mit Kokain, Geld und Luxus gefügig macht.
Sorrentino inszeniert diese exzessiven Szenen absichtlich mit maximaler Geschmacklosigkeit: Zu ununterbrochener Popmusikuntermalung zoomt die Kamera auf nackte Brüste und Hintern, umschmeichelt luxuriöse Insignien. Vorbild für diesen Hochglanzhedonismus könnte Martin Scorseses »The Wolf of Wall Street« gewesen sein – dessen bizarre Intensität erreicht »Loro« aber zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen muss sich Sorrentino den Vorwurf gefallen lassen, seinem Subjekt auf den Leim gegangen zu sein: Eine gewisse peinliche Ehrfurcht erfüllt den Film.
Die kann er auch in der zweiten Hälfte nicht wieder abschütteln, welche fast vollständig Berlusconi selbst gewidmet ist. Servillo macht seine Sache in der Rolle zwar nicht schlecht, das Skript aber gibt ihm wenig Spielraum. Hauptsächlich wandert der Protagonist in seinem sardischen Anwesen umher, beschwichtigt seine eifersüchtige Ehefrau Veronica Lario (Elena Sofia Ricci) und versucht, seine politische Macht zurückzugewinnen – »Loro« spielt zwischen 2006 und 2010, also dem Ende von Berlusconis zweiter Amtszeit und dem Beginn der dritten.
Ursprünglich war das Projekt wohl als Zweiteiler geplant, stattdessen erscheint »Loro« nun als zweieinhalbstündiges Konvolut, dem man seine Ungleichmäßigkeiten deutlich ansieht: Handlungsstränge laufen ins Leere, Charaktere verschwinden plötzlich. Zudem vermögen auch die reißerischen Drogen- und Partyszenen nicht über die belanglosen Dialoge hinwegzutäuschen. So bleibt völlig unklar, was »Loro« eigentlich sein möchte: Anklage, Parodie oder distanzierte Betrachtung. Nur eine Szene, in der Berlusconi die Opfer des Erdbebens von L’Aquila besucht, schafft es, die von dieser polarisierenden Persönlichkeit ausgehende Faszination einzufangen.
Kommentare
Film
Gerade die Kritik von Tim Lindemann ist bescheuert. Es sind die Stärken dieses Filmes, ein offenes Gefühl erzeugend, diesen Berlusconi am Ende seines schaffens zu sehen. Fast hat man Mitleid mit Ihm. Man wird aufgefordert selbst zu denken, weil keine Moral vorgehalten wird. Lange nicht so einen Guten Film gesehen.
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