Venedig: Unerfüllte Erwartungen

»Joker: Folie à Deux« (2024). © Warner Bros. Pictures

»Joker: Folie à Deux« (2024). © Warner Bros. Pictures

Beim Filmfestival von Venedig enttäuscht Todd Phillips' Fortsetzung »Joker: Folie à Deux« die Fans des Originals. Und auch Luca Guadagnino mit »Queer« kann die großen Erwartungen nicht ganz erfüllen

Im Kino-Alltag bestimmen sie mehr denn je das Programm, aber auf Festivals sind sie keine gerne gesehenen Gäste und laufen, wenn überhaupt, außer Konkurrenz: Filme mit Nummern im Titel, soll heißen Sequels und andere Arten von Fortsetzungsfilme. Das Festival in Venedig brach in dieser Hinsicht dieses Jahr mit der Tradition. Schon der Eröffnungsfilm »Beetlejuice Beetlejuice« war eine Neuauflage eines Films von 1988. »Joker: Folie à Deux«, das Sequel zu Todd Phillips' Film »Joker« von 2019, lief nun sogar im Wettbewerb.

Aber schon das Original passte mit seiner Figur aus dem Comic-Book-Universum im Zentrum nicht wirklich ins Konzept eines Filmfestivals, das Kino als Kunst feiert. Doch dann bekam 2019 ausgerechnet »Joker« den Goldenen Löwen – und spielte danach weltweit mehr als eine Milliarde Dollar ein.

Wo ein Sequel zu einem Kassenerfolg seine Existenz schon durch die Profiterwartung berechtigt sieht, steht ein Goldener-Löwe-Nachfolge-Film noch einmal unter besonderem Druck: Das Sequel muss belegen, dass es sich auch künstlerisch lohnte, zum Stoff noch einmal zurückzukehren. Die Handlung von »Joker: Folie à Deux« schließt unmittelbar an die Ereignisse von »Joker« an. Wieder von Joaquin Phoenix gespielt, befindet sich Arthur Fleck im Anschluss an die von ihm verübten Gräueltaten im Untersuchungsgefängnis, wo er seinen Prozess erwartet.

Besucht wird er von seiner Anwältin (Catherine Keener), die ihn mit der Strategie verteidigen will, nicht er, der seit seiner Kindheit misshandelte Arthur, sondern eine abgespaltene Persönlichkeit in ihm habe die Verbrechen begangen. Eines Tages erblickt er in einer Chorgruppe im Gefängnis Harley Quinn (Lady Gaga), die ihn provozierend anlächelnd. Es ist Liebe auf den ersten Blick.

Auf einer Ebene ist »Joker: Folie à Deux« ganz anders als der Vorgänger: Statt in misslingenden Stand-up-Jokes drückt sich der ehemalige Möchtegern-Comedian Arthur nun in Songs aus dem Repertoire amerikanischer Unterhaltung von Fred Astaire bis Frank Sinatra aus. Die Lieder gleichen sich in der Tonlage von trauervollem Abgesang auf die Welt, womit man wieder in der Stimmung des ursprünglichen »Joker« wäre. Wenn Lady Gaga singt, klingt es zwar besser als bei Phoenix, aber es gelingt ihr nicht, ihrer Figur Profil oder Bedeutung zu verleihen. Eigentlich würde man erwarten, dass die beiden irgendwann zusammen ausbrechen und erneut Chaos verbreiten.

Aber wie so viele der Erwartungen, die man in diesen Film setzte, bleibt auch diese unerfüllt. Was Todd Phillips stattdessen erzählt, ist im Grunde, dass die Figur des Joker nicht zu retten ist. Am Ende fragt man sich, ob es dazu einen Film gebraucht hätte.

Das Gefühl einer gewissen Enttäuschung zieht sich durch diesen Festivaljahrgang: So beim Brasilianer Walter Salles, der in »I'm Still Here« den Fall eines 1970 während der Militärdiktatur verschwundenen Familienvaters rekonstruiert: ein berührender Film mit einer starken Leistung von Fernanda Torres in der Hauptrolle, der aber jenseits der Rekonstruktion des Vergangenen zu wenig bietet.

Oder auch bei Luca Guadagninos »Queer«, dessen William Burroughs-Adaption mit Daniel Craig in der Hauptrolle einer der Höhepunkte des Festivals hätte sein sollen: Guadagnino zeichnet atmosphärisch dicht die schwule Subkultur amerikanischer »Ex-Patriates« im Mexiko City der frühen 50er Jahre nach. Er verliert dann aber den Faden seine erotisch aufgeladenen Geschichte, wenn er seine Helden in den Dschungel auf die Suche nach einer Telepathie-Droge schickt und sich im Body-Horror-Kino verliert.

Ein Film, der nach der ersten Enttäuschung eher wächst, ist dagegen Pedro Almodóvars »The Room Next Door«. Julianne Moore und Tilda Swinton spielen darin zwei Freundinnen, die sich mit der Frage des selbstbestimmten Sterbens auseinandersetzen müssen. Wie gehabt erzählt der bald 75-jährige Spanier viel mit farbcodierten Set-Designs und einer alles untermalendem Filmmusik. Dem gesprächlastigen Film verleiht das zunächst etwas Steifes. Aber nach und nach fängt der Film seine Zuschauer doch noch ein, verlockt sie zu einer Reflexion über Sterben, Trauer, Abschied und Verzeihen. Almodóvar ist in jedem Fall ein Kandidat für eine Auszeichnung als bester Regisseur. Das Festival endet am Samstag mit der Vergabe des Goldenen Löwen.

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