Venedig: Gestern trifft heute

Kontaktbogen aus dem Bestand von Heinrich Hoffmann, Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv: Adolf Hitler begrüßt Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937). © Majestic Filmverleih

»Riefenstahl« (2024). © Majestic Filmverleih

Die dunklen Seite der Geschichte sind allgegenwärtig bei den deutschen Produktionen, die beim Filmfest in Venedig ihre Premiere feierten

Der Dokumentarfilmer Andres Veiel präsentierte außer Konkurrenz seinen neuen Film »Riefenstahl« über die berüchtigte Filmemacherin und NS-Propagandistin. Nach dem Tod von Horst Berger, Riefenstahls letzten Partner, standen Veiel und seiner Produzentin Sandra Maischberger 700 Kisten voller neuem Material zur Verfügung: Briefe, Filmschnipsel, Tonaufnahmen, mitgeschnittene Telefonate. Dem Film ist seine jahrelange Recherche fest eingeschrieben ist, 18 Monate habe er, so Veiel, im Schneideraum verbracht.

Mittels assoziativer Montage blickt Veiels hinter die Fassade Riefenstahls. Angefangen bei ihrem Debüt »Das blaue Licht« (1932), einem mythisch-romantischen Bergfilm, hangelt sich »Riefenstahl« über die Werke der Regisseurin durch die Jahre. Zentral sind »Triumph des Willens« (1934), Riefenstahls Inszenierung eines NSDAP-Parteitags und ihre Filme über die Olympischen Spiele von 1936. 

Riefenstahl starb 2003 im Alter von 101 und hat zeitlebens daran gearbeitet, ihre Biografie auszubügeln. Durch Off-Aufnahmen, in denen sich die Filmemacherin in herrischen Wutausbrüchen über die Fragen ihrer Interviewpartner aufgeregt, bröckelt ihre inszenierte Fassade immer wieder.

Sie habe, sagt Riefenstahl, nur dokumentiert und Kunst, nie Politik gemacht. Etwas, dass man ihr zu keiner Zeit glaubt, denn auch wenn Veiel in seiner Montage der Aufklärung nicht daran interessiert ist, ein einseitiges Bild der Filmemacherin zu zeichnen, so entlarvt er doch immer wieder die Frau zwischen Hitler-Hype, radikaler (gespielter?) Naivität und heftigem Ehrgeiz. Es ist konsequent, wie Veiel die Bildmanipulatorin mit ihren eigenen Mitteln seziert. 

Von einer anderen Art der Montage der Aufklärung handelt auch Tim Fehlbaums Journalisten-Thriller »September 5«. Der Schweizer Regisseur erzählt darin vom Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972, bei dem palästinensische Terroristen elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln nahmen. Nach Filmen wie Steven Spielbergs »München« findet er einen eigenen filmischen Zugang, indem er aus der Sicht von Journalisten von dem Terroranschlag erzählt – dem ersten, der live im TV übertragen und von, so heißt es im Abspann, 900 Millionen Menschen verfolgt wurde. 

Der dicht inszenierte, kammerspielartige Thriller bleibt fast die gesamte Zeit im Münchner Sendezentrum des US-Kanals ABC, in dem die Sportjournalisten von den Ereignissen im olympischen Dorf überrumpelt werden. Mit einem spielfreudigen Cast um Leonie Benesch, John Magaro, Ben Chaplin, Rony Herman und Peter Sarsgaard feiert Fehlbaum einerseits das klassische fernsehjournalistische Handwerk. Zugleich stellt er journalistisch-ethische Fragen: Welche Bilder dürfen gezeigt werden und inwieweit spielt das charismatische Team den Terroristen, die die Bilder ebenfalls sehen können, in die Hände? »Ist das unserer Geschichte oder deren«, fragt einmal jemand. Auch die unrühmliche Rolle der deutschen Polizei wird thematisiert. 

Aktuell sind beide Filme: wegen ihrer politischen Bezüge zur Gegenwart und weil beide auf ihre je eigene Art Fragen zur Macht der Bilder stellen.

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