Nachruf: Thomas Plenert
© Thomas Plenert
Den ersten von Thomas Plenert fotografierten Film habe ich 1987 im Internationalen Forum der Berlinale gesehen. Es war der Dokumentarfilm »Die Küche«, der 1985 in Regie von Jürgen Böttcher auf der Rostocker Neptun-Werft gedreht worden war und ein Jahr später in Neubrandenburg seine Uraufführung hatte: ein dreiundvierzig Minuten langer Besuch in Küche und Speiseraum der örtlichen Kantine, wo vor allem Frauen um die tausend Mahlzeiten pro Tag für die Arbeiter der Werft und anliegender Betriebe kochen. Die Bilder von qualmenden Töpfen, hantierenden KöchInnen und den Schlange stehenden Hungrigen sind mir bis heute in bester Erinnerung (der tolle Soundtrack aus Gesprächsfetzen, Zischen und Töpfeklappern auch). Sie sind fast alle in Einstellungen mittlerer Nähe gedreht.
Dabei müssen neben den schwierigen Lichtverhältnissen auch die bewegten Arbeitsabläufe in der Küche und deren Tempo eine Herausforderung für die Arbeit an der Kamera gewesen sein. Und es lässt sich gut sehen, dass (damals wurde ja noch analog mit zeitlich begrenztem Filmmaterial gedreht) Plenert die Kunst hervorragend beherrschte, mit sicherem Gespür für die wesentlichen Momente zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. »Der Drehprozess ist das Entscheidende«, sagt Jürgen Böttcher dazu im Interview. »Es ist eben eminent wichtig, wann man die Kamera einschaltet, wann nicht. Die wesentliche Nachricht entsteht bei uns beim Drehen.« Die handwerklichen Grundlagen für diese Art des Arbeitens hatte Thomas Plenert bei seinem Studium an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen gelernt – aber sicherlich auch in der Zusammenarbeit und im Austausch mit seiner Partnerin Gudrun Steinbrück-Plenert geschult, die als Schnittmeisterin bei der DEFA diesen und viele andere Filme Thomas Plenerts schnitt.
Bei »Winter adé« (1988) von Heike Misselwitz schrieb Gudrun auch am Drehbuch mit (jedenfalls nach Auskunft auf der Webseite der DEFA-Stiftung, das »filmportal« nennt Thomas Plenert als Ko-Autor). Diese Unbestimmtheit zeigt schön, wie in den auf Dauer angelegten und meist auch freundschaftlichen Arbeitsbeziehungen im DEFA-Dokumentarfilmstudio dieser Zeit das Filmemachen unter den KollegInnen ein gemeinschaftlicher Prozess war, in dem sich Kräfte und Persönlichkeiten bündelten.
Dort begann etwa zur gleichen Zeit auch die langjährige und enge Zusammenarbeit mit dem Regisseur Volker Koepp, in der Plenert sich dann auch als Meister subtiler Farbkompositionen und grandioser Landschaftspanoramen bewies. Grundlage dieser Meisterschaft war aber auch hier das Gespür für Kadrage und Zeit. Und die Hartnäckigkeit, die Kamera bei einem Gespräch auch nach dem scheinbaren Ende eines Statements eingeschaltet zu lassen. Eine Haltung, die sich grundsätzlich von der in digitalen Zeiten grassierenden Methode des »Einfach mal laufen lassen« unterscheidet und zu distinkten Ergebnissen führt. Aus solchen gewonnenen Momenten erwachsen dann Sternstunden dokumentarischer Begegnungen wie in »Kalte Heimat« (1995), »Herr Zwilling und Frau Zuckermann« (1999) oder »Schattenland« (2005) .
Auch mit Jörg Foth, Hannes Schönemann oder Lutz Dammbeck arbeitete Plenert wiederholt zusammen, mit Sibylle Schönemann drehte er 1991 den Schlüsselfilm »Die verriegelte Zeit«. Spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit Lothar Warneke 1982 für »Die Beunruhigung« war Plenert auch für Spielfilme und später auch das Fernsehen tätig, wo er seit 1993 unter anderem mit Andreas Kleinert und Bernd Böhlich regelmäßig Folgen von »Polizeiruf 110« realisierte. Sein letzter vollendeter Film war 2021 wieder mit Helke Misselwitz ein Dokumentarfilm über die türkische Malerin Güler Yücel (»Die Frau des Dichters«). Im Nachruf der Berliner Akademie der Künste würdigen Koepp und Misselwitz die »Zärtlichkeit in der Bewegung« in Plenerts Arbeiten und erzählen, dass er noch vor Kurzem an Plänen für neue Projekte saß. Doch nun ist Thomas Plenert unerwartet am 15. Juli in seiner mecklenburgischen Wahlheimat gestorben. Wir werden ihn und diese noch nicht gedrehten Filme vermissen – und erfreuen uns an dem reichen Werk, das er uns hinterlassen hat.
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