Kritik zu Diese Nacht
Die Verschmelzung von Opernpathos und Autorenfilmverismus ist seit jeher sein Markenzeichen: Werner Schroeter hat den Roman »Para esta noche« als allegorisches Endzeitspiel verfilmt
Santamaria, der fiktive Schauplatz von Werner Schroeters Film, wirkt wie ein Kulissenzauber, ein aufgetürmtes barockes Welttheater. Das Panorama des realen Drehortes Porto in Nordportugal ist in opulentes gelb-blaues Licht getaucht. Eine mächtige Festung thront über der Stadt, unten am Wasser ankert ein Schiff. Eine Nacht lang währt die erzählte Zeit, in der Ossorio (Pascal Greggory), ein Arzt und Widerständler, den verlorenen Krieg zugunsten der Suche nach seiner Geliebten aufgibt, zurückgekehrt in seine Stadt jedoch zwischen die Fronten gerät.
Geheimdienstchef Morasan (Bruno Todeschini), ein Sadist, durchkämmt im Namen des Siegers die Stadt nach untergetauchten Rebellen. Milizenchef Martins (Jean-François Stevenin) schwankt zwischen einem letzten Ausbruch aus der Umzingelung oder dem Überlaufen zum Feind. Barcala (Sami Frey), der einstige Kopf des Aufstandes, bereitet seinen finalen Abgang vor. Ossorio, dem Pascal Greggory die Kontur eines unbestechlichen Intellektuellen gibt, kämpft um Tickets für die Flucht, doch er wird Clara nicht finden.
Drehbuchautor Gilles Taurand führte den Topos der verschwundenen Frau in seine Bearbeitung der Romanvorlage ein, um die Motive der nächtlichen Konfrontationen zu verdichten. Das 1943 erschienene Buch des uruguayischen Autors verweist auf die Dramen um Schiffspassagen zur Flucht vor den Nazis, auch auf Massaker und Machtkämpfe in den Gewaltregimen seiner Zeit, die filmische Adaption zeigt erschreckend aktuelle Bezüge, ohne je den Charakter einer allegorischen Parabel zu verlieren.
Werner Schroeter ist nicht an konventionellem Realismus interessiert. Er taucht das Inferno um Terror, Verrat und Opportunismus in gleißende Chiaro/Scuro-Effekte, zelebriert sein Trauerspiel wie transzendiert von klassischer Musik und feiert noch im Untergang die Farben Rot und Schwarz. »Diese Nacht« erzählt einen Thriller in vielen Wendungen, zugleich bleibt der Regisseur seiner Stilistik treu. Seit »Eika Katappa« (1969), rund zwanzig weiteren Filmen und vielen Bühneninszenierungen steht der 1945 geborene Regisseur für die konsequente Verschmelzung von Opernpathos und Autorenfilmverismus, Melodramenschmelz und artifizieller Überhöhung des Leids. Die große, fremdsetzende Geste ist bei ihm Ausdrucksform und Zauberbann gegen die höllischen Seiten der Existenz. Seinen Film versteht er mit einem Memento-Mori-Motto als Traktat gegen die träge-ängstliche Melancholie: »Der Tod kommt, wann er kommen muss.«
In Schroeters Kosmos sind die Frauen wie Heilige stark im Schmerz. So knüpft Irène (Amira Casar), die madonnenhafte Barfrau, noch im Gefängnis Verbindungen für Ossorio, führt ihm die abgeklärte Pensionsbesitzerin Inês (Bulle Ogier) Barcalas halbwüchsige Tochter als Schutzbefohlene zu. Liebe und Eros (auch der schwulen Schönen) machen Männer und Frauen unter dem Terror fragil. Etwas darüber hinaus scheint die Vision zu sein, die Schroeters beeindruckende Allegorie bereithält: Bis zum Ende ist Ossorio einer, der nicht mehr mitmacht.
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