Kritik zu Waves
Sein Spielfilmdebüt »Krisha« (2015) kam leider nie in deutsche Kinos, mit dem Horrorfilm »It Comes at Night« (2018) konnte der texanische Independent-Filmer Trey Edward Shults ebenfalls nur in den USA richtig punkten. Sein neuer Film, ein Highschool-Drama, könnte ihn zumindest bei der Jugend bekannter machen
»Waves«, der neue Film von US-Regisseur Trey Shults (»It Comes At Night«) ist einer jener zweigeteilten Filme, die vor ein grundlegendes Dilemma stellen: Wie über den Film berichten, ohne jenen dramatischen Moment in der Mitte des Films zu verraten, in dem der Plot eine fundamentale Wendung nimmt? Shults macht keinen Hehl daraus, dass »Waves« ein Film über Dualität, über Yin und Yang ist. Für den Zuschauer kann der Umschwung allerdings zunächst etwas holprig wirken.
Zu Beginn folgt »Waves« dem Protagonisten Tyler (Kelvin Harrison Jr.), einem afro-amerikanischen Teenager, der in einem wohlhabenden Vorort im Süden Floridas aufwächst. Der beliebte Tyler ist einer der erfolgreichsten Mitglieder des Ringer-Teams seiner Highschool, bekommt gute Noten und ist glücklich mit seiner Freundin Alexis (Alexa Demie) liiert; gepusht wird er von seinem strengen Vater (Sterling K. Brown), der dem Jungen keinerlei Schwäche durchgehen lässt. Dann aber verletzt sich Tyler an der Schulter und erhält eine ernüchternde ärztliche Diagnose. Verbissen nimmt er trotz Verbot weiterhin am Training teil, hält sein Handicap aber geheim und greift immer regelmäßiger zu starken Schmerzmitteln – eine folgenschwere Entscheidung.
»Waves« überwältigt von Beginn an mit seiner geradezu berauschenden Optik, die wirkt, als hätte Terrence Malick ein Highschool-Drama gedreht und durch einen Instagram-Filter gejagt. Mit sanften Bewegungen gleitet die Kamera durch eine Welt aus satten, überzeichneten Farben, umschmeichelt die attraktiven Darsteller in ihrem luxuriösen Upper-Middle-Class-Kosmos und den palmenumsäumten Stränden Floridas. Begleitet wird der üppige Look einerseits von dem Synthie-Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross als auch von einem geschmackvollen Mixtape mit Songs von Frank Ocean, Animal Collective und Kendrick Lamar. In der Tradition großer Melodramen setzt Shults also voll auf emotionale Überwältigung seines Publikums: Wen die Bilder noch nicht packen, der wird spätestens von den melancholischen Melodien mitgerissen.
Teilweise stört diese inszenatorische Opulenz, stellt sie die schauspielerischen Leistungen der jungen Schauspieler und die durchaus brisante Story doch etwas in den Schatten; im spannenden Vorlauf zum dramatischen Mittelpunkt verengt sich sogar das Bildformat, um den steigenden Druck auf Tyler zu visualisieren. Es scheint, als wollte der Film seinen drängenden Standpunkt hinter all diesen technischen Interferenzen verstecken: dass auf Menschen anderer Hautfarbe in einer weißen Mehrheitsgesellschaft stets die Erwartung lastet, besonders zu brillieren. Wenn dann die zweite Hälfte des Films beginnt, die Tylers Schwester Emily (grandios: Newcomerin Taylor Russell) in den Fokus rückt, erscheint das erst einmal als erneute formelle Spielerei, die einen weiter von den sympathischen Figuren entfernt.
Dann aber findet »Waves« einen Rhythmus, der zwar weniger Spannung generiert als der Anfang, dafür aber mehr Raum lässt, sich in die Filmwelt einzufinden. Herzstück dieses zweiten Teils ist ein wehmütiger Roadtrip, den Emily mit ihrem neuen Freund Luke (Lucas Hedges) unternimmt, um dessen im Sterben liegenden Vater zu besuchen. Ist die erste Hälfte dieses filmischen Diptychons geprägt von »Teenage Angst« und dem ständigen Druck, seinen Wert beweisen zu müssen, ist Emilys Storyline eine Meditation über das Akzeptieren der harten Fakten des Lebens – was stellenweise etwas in Telenovela-artigen Kitsch abrutscht.
Für die meisten Über-25-Jährigen mag »Waves« daher in jeder Hinsicht ein wenig zu viel sein: zu viel Schmalz, zu viel Musik, zu viele visuelle und narrative Gimmicks. Für junge Filmfans der Generation Z könnte sich Shults' Teenager-Melodram allerdings als effektive Einstiegsdroge in die Welt des ambitionierten, kreativen Kinos erweisen. Denn zweifellos hat »Waves« das Herz am rechten Fleck und überzeugt mit seiner rohen Emotionalität ebenso wie mit einzigartigen Bildern.
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