Kritik zu Was will der Lama mit dem Gewehr?
Eine Dorfgemeinschaft in Bhutan wird durch den politischen Umbruch im Land – der König lässt wählen! – in seinen Werten herausgefordert
Der kleine, buddhistisch geprägte Staat Bhutan, etwa so groß wie die Schweiz, liegt im Himalaya-Gebirge zwischen China und Indien. Es ist das einzige klimaneutrale Land der Erde und das einzige, dessen Wirtschaftssystem das Konzept eines »Bruttonationalglücks« in seine Rechnung miteinbezieht. In Bhutan gibt es Tiere, die im Rest der Welt nicht einmal mehr dem Namen nach bekannt sind. Ein Paradies auf Erden? Dann aber kommt der junge König auf die Idee, in seinem Hoheitsgebiet die modernen Zeiten einziehen zu lassen. Es kommen Fernsehen und Internet, es kommt die konstitutionelle Monarchie, es kommen demokratische Wahlen. Die Untertanen reagieren irritiert: Es ist doch alles gut, wie es ist, warum und was oder wen überhaupt sollen wir wählen? In dieser Zeit tiefgreifender Veränderungen, die ihren Höhepunkt 2008 erreichten, ist »Was will der Lama mit dem Gewehr?« von Pawo Choyning Dorji angesiedelt.
Überall sitzen die Leute vor den Fernsehern und bestaunen den Trailer zum aktuellen James-Bond-Film. Regierungsbeamte reisen durch die Gegend, um die Durchführung der angekündigten Testwahlen zu überwachen, schließlich will man sich vor der Weltöffentlichkeit nicht blamieren. Erste Geschäftemacher mit zwielichtigen Absichten finden sich aus dem Ausland ein. Anhänger unterschiedlicher Parteien messen sich in der Größe ihrer jeweiligen TV-Geräte und spalten die Dorfgemeinschaften. Da schickt der Lama aus seiner abgelegenen Meditationsklause seinen Mönch los, damit der bis zum Vollmond ein paar Gewehre besorge; er wolle eine wichtige Zeremonie durchführen, es müsse wieder Frieden einkehren. Leichter gesagt als getan in einem Land, in dem kaum einer eine Waffe hat und viele gar nicht wissen, wie ein Gewehr aussieht.
Pawo Choyning Dorji debütierte 2019 mit »Lunana«, in dem er einen Lehrer mit Auswanderungsplänen in der entlegensten Schule Bhutans den Wert heimatlicher Verbundenheit lernen ließ. Gedreht wurde seinerzeit mit einem Miniteam am nichtelektrifizierten Originalschauplatz. Diesmal ging es vergleichsweise gemütlich zu, ist doch das Dorf Ura, in dessen Umgebung die Orte der Handlung liegen, ans Stromnetz angeschlossen und mit dem Auto erreichbar. Was will dort nun also der Lama mit dem Gewehr? Beziehungsweise warum erzählt Pawo Choyning Dorji – der neuerlich ein eigenes Drehbuch mit großteils Laiendarsteller:innen in Szene setzt – seine Geschichte?
Die Folgen des Systemumbruchs, den Bhutan in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat, sind zur Gänze noch gar nicht abzusehen; da mag eine Erinnerung an jene Phase, in der die traditionellen Werte des Landes sich frisch herausgefordert sahen, mehr als nur den Zweck eines nostalgischen Rückblicks erfüllen. Jene Zeremonie nämlich, die der Lama am Ende durchführt, verfügt durchaus über globale Strahlkraft. Sie bestätigt zudem, was der Filmemacher selbst als Motiv seiner Arbeit mitteilt: Bhutan mag keine übermäßig laute Stimme haben, es hat aber der Welt Wichtiges mitzuteilen, auf das zu hören lohnt.
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