Kritik zu Vorsicht Sehnsucht

Trailer OmeU © Sony Pictures Classic

Als Alain Resnais im vergangenen Jahr in Cannes mit einem Sonderpreis für seine Karriere ausgezeichnet wurde, war dies keine Verlegenheitslösung: Auch sein neuestes Werk entpuppt sich als Juwel

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Marguerite ist eine anspruchs-, aber auch hingebungsvolle Käuferin. Als sie das Schuhgeschäft im Palais Royal betritt, tut sie das mit tastender Entschlossenheit: Das neue Paar soll sich der Form ihrer Füße wie eine zweite Haut anschmiegen. Mit weniger als dem Ideal wird sie sich nicht zufrieden geben. Georges hingegen ist ein argwöhnischer Kunde. Als er eine frische Batterie für seine Uhr braucht, ist er gewiss, dass die Verkäuferin beim Austausch das Datum verstellen wird. Er wirft einen abschätzig bewundernden Blick auf ihre Fesseln. Zwei Prinzipien etabliert die Exposition zu »Vorsicht Sehnsucht«, welche seine Figuren fortan indes nach Kräften sabotieren werden: den Wunsch nach dem Passenden, Angemessenen, dem Rechtzeitigen.

Alain Resnais erzählt die Geschichte eines leichtfüßigen Stalkings, das sich in eine wechselseitige, abgründige Heimsuchung verwandeln wird. Das Drehbuch von Alex Reval und Laurent Herbiet ist eine mannigfache Verkettung der Ereignisse, in welcher der Annäherung der beiden Protagonisten zugleich viele Hürden in den Weg gestellt werden.

Marguerite (Sabine Azéma) wird nach dem Einkauf ihre Handtasche gestohlen und Georges (André Dussollier) findet immerhin ihr Portefeuille wieder. Dessen Inhalt setzt Fantasien frei: Für ihr Passfoto mag sie ein ernstes Gesicht aufgesetzt haben, aber das auf ihrem Pilotenschein strahlt munteren Tatendrang aus; die Fliegerei ist eine Leidenschaft, die er von seinem Vater geerbt hat. Erst nach langem Zaudern übergibt er die Brieftasche der Polizei und erwartet gebannt ihren Dankesanruf. Aber schon am Telefon schlägt er lauter Misstöne an, weist sie ruppig zurück, als müsse er seine eigenen Sehnsüchte brüsk dementieren: Er ist ein launischer, leicht kränkbarer Verehrer. Aber ein unwiderstehlicher Köder ist ausgelegt bei dieser ersten Begegnung.

Ein zunehmend leutseliger Kommentar aus dem Off gibt vor, Spuren für den Zuschauer auszulegen, schlägt aber vor allem Widerhaken in die Verbindung, die der Film zwischen den Figuren knüpft. Resnais legt sie als Rätsel an. Marguerite stellt er in flüchtiger, fragmentierender Konkretion vor: eingangs sieht man nur ihre Hände und Füße, ihren Rücken und den roten Haarschopf, es braucht Geduld, bis er uns ihr Gesicht offenbart. Später werden wir sie als infernalische Zahnärztin kennenlernen. Georges ist offenbar Pensionär. Seine inneren Monologe verleiten dazu, ihm ein bedrohliches Maß an Misogynie zu unterstellen, das sein Umgang mit seiner Frau (Anne Consigny) zunächst jedoch nicht bestätigen mag. Wie bei den wilden Gräsern des Originaltitels, die auch dort wachsen, wo es eigentlich unmöglich ist, blühen unverhoffte und unwägbare Regungen auf.

Ein untilgbarer Schimmer liegt von Anfang an über dem Film. Resnais' Kameramann Eric Gautier filtert sanft das Licht. Wie in ihrem ersten gemeinsamen Film Herzen ist jede Einstellung weichgezeichnet. »Vorsicht Sehnsucht« verleiht er eine Aura des Entrückten. Nichts ist kristallin in diesem Film. Weder Georges wackere Ehefrau noch Marguerites skeptisch-unternehmungslustige Freundin (Emmanuelle Devos) bringen Klarheit in die Geschehnisse, allenfalls der großartige Mathieu Amalric steht als Polizist für ein fragiles Realitätsprinzip. Die Irrealität entfaltet sich zudem in einer Ausschweifung der Farben. Die mal leuchtend gesättigten, mal pastellfarbigen Akzente laden Kostüme und Requisiten magisch auf.

Immer wieder verweist diese Scharade der Möglichkeiten, dieser verhängnisvolle Konjunktiv, den Zuschauer ins Reich der Hypothese. Die Reaktionen der Figuren sind so kapriziös wie die der überaus agilen Kamera. (Weshalb etwa wird Georges Familienleben so nachdrücklich in extremen Aufsichten gefilmt? Weil in ihm nichts im Gleichgewicht ist, weil es nur Fallhöhen kennt?) Die Montage von Hervé de Luze treibt ein exzentrisches Spiel mit der Verschiebung und dem Insistieren das an Resnais' frühes Meisterwerk »Muriel oder die Zeit der Wiederkehr« erinnert; auch dies eine Geschichte über Liebende, die nicht zusammenfinden können. »Vorsicht Sehnsucht« knüpft daran an in einem Gestus des entschiedenen Zögerns, der Revision der Gesten. Nur eines scheint gewiss: seine Figuren mögen unentschlossen sein, ihr Regisseur ist es nicht.

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