Kritik zu Tolkien
Vom englischen Auenland ins Mordor des Ersten Weltkrieges: eine Filmbio auf den Spuren von J. R. R. Tolkiens Jugend und seiner Inspiration für sein ikonisches Fantasy-Werk
JR. R. Tolkien war, flapsig gesprochen, ein cooler Typ. Als Oxford-Professor für Altenglisch konnte er seine seit Kindertagen gepflegte Leidenschaft für altgermanische Sprachen und nordische Mythologien austoben. Er gründete Männerclubs mit Namen wie »Vikings« und »Inklings«, in denen isländische Sagas in der Originalsprache gelesen wurden. Nebenbei erfand er Fantasiesprachen und schrieb u. a. die Romane »Der Hobbit« und »Herr der Ringe«, die in den späten Sechzigern zu Kultbüchern der Hippies aufstiegen.
Eine Filmbiografie über den – besonders seit den Verfilmungen von Peter Jackson legendären – Gelehrten und Fantasy-Autor kann notwendigerweise nur wenige prägende Lebensjahre umfassen. Regisseur Dome Karukoski beschränkt sich im Wesentlichen auf Tolkiens Jugend vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wie im Grimm'schen Märchen die Brotkrumen, werden auch in der filmischen Schilderung kreative Indizien ausgelegt, die schnurstracks zu den ersten Federstrichen »In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit« führen. Da jenseits der chronologischen Fakten aus dieser Zeit wenig bekannt ist, ist die Ausschmückung allerdings hochspekulativ.
Nach dem Tod des Vaters in Südafrika und dem Umzug nach England müssen Ronald Tolkien und sein Bruder bald darauf den Tod ihrer Mutter verkraften. Schließlich kommen sie bei einer Gönnerin in Birmingham unter. Bei ihr begegnet er der Waise Edith, seiner späteren Frau. Das Herz des Films ist aber Barrows, eine Teestube, in der Tolkien mit drei ebenso schwärmerischen College-Freunden eine empathische Kameradschaft gründet. Als Handlungsgerüst dient die Schlacht an der Somme 1916, in der er als junger Soldat verzweifelt nach einem Freund sucht und sich im Fleckfieberdelirium an Stationen seines Lebens erinnert. Und so wie die englische Countryside seiner Kindheit zum Vorbild für das Auenland wird, so dient das apokalyptische Grauen des Krieges als Blaupause für Mordor.
So eindrucksvoll die Schlachtenhölle und ihre Fantasy-Überblendung veranschaulicht wird, so sehr wird sie als strukturierendes Element überstrapaziert. Das Hin und Her zwischen Schützengraben und Rückblenden ist nicht nur umständlich, sondern wirkt so theatralisch wie der Abschied von Edith, die mit einem anderen verlobt ist. Eine fast peinlich stereotype und unnötige Filmszene, schon weil er in der Realität mit Edith bereits vor Kriegseintritt verheiratet war. Auch die Schnitzeljagd nach Tolkiens Inspiration – kindliche Ritterspiele, Wagner-Opern, ein Kriegskamerad namens Sam – wirkt unbeholfen. Doch es liegt auch an dem blassen Hauptdarsteller, dass Tolkiens Schicksal nicht stärker ergreift als das anderer junger Männer in jenen Jahren. In Nicholas Hoults ausdrucksloser Mimik schimmert nie der coole spätere Tolkien durch. Hinzu kommt, dass ein bestimmendes Element seines Schaffens, sein gläubiger Katholizismus, fast gänzlich ignoriert wird. So ist diese Filmbio durchaus unterhaltsam. Doch es fehlt der zündende Funke, jenes epische Gefühl, das Tolkiens Werk so besonders macht.
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