Kritik zu Schirkoa: In Lies We Trust

© Rapid Eye Movies

2024
Original-Titel: 
Schirkoa: In Lies We Trust
Filmstart in Deutschland: 
29.08.2024
L: 
103 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Jegliche Individualität ist ausgelöscht, Menschen tragen Papiertüten über dem Kopf in der diskussionswürdigen Dystopie des Regisseurs Ishan Shukla, dessen Animationsfilm auf Techniken aufbaut, die in der Game-Industrie entwickelt wurden

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Big Brother lässt grüßen. Repression ist im Land Schirkoa alltäglich: Wer gegen die herrschende Ordnung protestiert, bekommt die Knüppel der Polizei zu spüren. So etwas kennt man aus vielen Ländern. Aber in Schirkoa geht man noch ein ganzes Stück weiter: Hier ist jegliche Individualität ausgelöscht, die Menschen haben Nummern statt Namen und müssen sich – auch zu Hause – Papiertüten über die Köpfe ziehen. Dem gehorcht auch der Protagonist der Geschichte, 197 A, ein kleiner Regierungsbeamter, dem eine Beförderung in Aussicht gestellt ist.

Einmal mehr ist es die Begegnung mit einer fremden Frau, die beim Protagonisten der Geschichte Zweifel sät an seiner bisherigen Existenz. Er begegnet ihr innerhalb kürzester Zeit mehrfach, das erste Mal sieht er sie in einer Seitenstraße sitzen und eine Zigarette rauchen – ohne Papiertüte über dem Kopf. Schließlich stehen sie auf zwei nebeneinanderliegenden hohen Dächern, die Stadt unter sich. Auf ihr Bekenntnis, in die Tiefe springen zu wollen, reagiert er mit dem nüchternen Satz, das sei illegal ohne Papiertüte über dem Kopf. Und auf ihre Frage, wie man am effektivsten vorginge bei dieser Art des Selbstmordes, fertigt er, in bester bürokratischer Tradition, eine Reihe von Zeichnungen an, die etwas Lehrbuchhaftes besitzen. Das Surreale ist nicht weit in diesem Film, dem Langfilmdebüt des indischen Regisseurs Ishan Shukla, der dabei auf seinem gleichnamigen Kurzfilm aus dem Jahr 2016 aufbauen kann.

Ist die Welt von »Schirkoa« überwiegend in Grautönen gehalten und erinnert mit der Regierungspropaganda, die über Großbildschirme verbreitet wird, öfters an George Orwells »1984« bzw. dessen Neuverfilmung durch Michael Radford, so ist die von Konthaqa farbenfroh und frei. 197 A wachsen hier Hörner und er wechselt sein Geschlecht. Dass die Herrscherin von Konthaqa auf den Namen Lies (Lügen) hört, könnte allerdings schon zu denken geben. Und in der Tat ist dies nicht das Paradies auf Erden, als das es von der Opposition in Schirkoa hingestellt wird, für 197 A wird es zu einer zwiespältigen Erfahrung, ebenso der Besuch in einem dritten Land mit wieder anderen Regeln: In Heghov dominiert eine allumfassende Spiritualität, doch auch die hat ihre Tücken. Am Ende kehrt 197 A zurück nach Schirkoa, zu seiner Freundin 242 B. Beide nehmen ihre Papiertüten vom Kopf – ein Anfang?

Mit einem Rotlichtviertel, das an »Blade Runner« erinnert, und einem Großraumbüro mit niedriger Decke, wie wir es aus Billy Wilders »Das Appartement« kennen, greift der Film bekannte dystopische Motive auf, mit den als »Anomali« verteufelten Einwohnern von Konthaqa wird den Menschen in Schirkoa ein griffiges Feindbild vermittelt; dass manche Utopien sich anders entwickeln als erhofft, machen die Nationen, die anders sein wollen als Schirkoa, deutlich. Dieser Film stellt richtige und wichtige Fragen, fasziniert allerdings vor allem durch seine Animation, die Shukla aus Techniken entwickelt hat, die in Videospielen gebräuchlich sind. Nicht zu vergessen: die Stimmen der Figuren. Für Gastauftritte hat Shukla eigenwillige Filmemacher wie Gaspar Noé und Lav Diaz gewonnen, für größere Rollen Asia Argento und Golshifteh Farahani.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt