Kritik zu Blade Runner 2049

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Alles richtig gemacht: Denis Villeneuves spätes Sequel zu einem der einflussreichsten SciFi-Monumente der Filmgeschichte glänzt als würdige Mixtur aus Hommage, Variation und Weiterentwicklung

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Wieder schaut, am Anfang, ein Auge in extremem Close-up auf eine dystopische Zukunftswelt. Doch während der enigmatische Gottesblick im Original auf eine infernalische nächtliche Industrielandschaft fiel, sieht er jetzt, genau 30 Filmjahre später, ein aschfahles Meer aus Dächern und Sonnenkollektoren. Die Welt ist blasser und kälter geworden, der Horizont weiter, die Perspektive trostloser. Manchmal regnet es, oft fällt aber auch Schnee, der sich beinah wie nuklearer Fallout anfühlt. Nachts leuchten sie noch, die bunt-betörenden Neonzeichen, zu denen sich nun auch faszinierende Hologramme hinzugesellen. Unten jedoch, in den Straßen, wo im alten »Blade Runner« noch reges urbanes Treiben herrschte, überwiegt jetzt fatalistische Endzeitstimmung: Wer immer noch auf diesem Planeten ist, zählt zu jenen Unterprivilegierten, die sich den Trip in die Off-World-Kolonien nicht leisten können. Oder hier für Ordnung sorgen müssen.

Das Auge zu Beginn zählt zu den vielen Anspielungen und Zitaten, mit denen sich Denis Villeneuves »Blade Runner 2049« auf unterschiedlichen Ebenen vor Ridley Scotts Meisterwerk aus dem Jahr 1982 verneigt. Der Kanadier (»Sicario«, »Arrival«) erweist sich als Idealbesetzung für diese Mammutaufgabe. Organisch führt er thematische Motive fort, webt Töne und Musikfolgen in den opulenten Klangteppich ein, belebt Figuren auf zum Teil fantastische Weise wieder. Gemeinsam mit seinen Autoren Hampton Fancher, der schon beim Original mit von der Partie war, und Michael Green schafft Villeneuve so eine perfekte Balance zwischen Alt und Neu, zwischen Comeback und Initiation.

Im Zentrum steht ein neuer Blade Runner, bei dem wir uns nicht fragen müssen, ob er ein Replikant ist oder nicht: Er zählt zu jenen neueren Modellen, die – komplett domestiziert – klaglos die Drecksarbeit für die Menschen erledigen. In seinem Fall heißt das: Jagd machen auf die älteren, renitenteren Versionen, mit denen es sein Vorläufer Deckard im Original zu tun hatte. Dieser neue Blade Runner trägt keinen Namen, nur eine Seriennummer, kurz »K«. Ryan Gosling spielt ihn mit einer wunderbaren Mischung aus stoischem Gleichmut und leiser Melancholie: Zwischen Pflichtgefühl und Sinnsuche pendelnd, umweht ihn eine berührende Aura der Traurigkeit, die man auch den Schmerz der Erkenntnis nennen könnte. Genau wie seine »unechte« holografische Lebensgefährtin Joi (Ana de Armas) lebt er mit dem Bewusstsein der eigenen Fabriziertheit, was beide zu Wesen zweiter Klasse macht. Ihre Emotionen sind dagegen von humaner Aufrichtigkeit. »Blade Runner 2049« fragt nicht mehr, ob jemand ein Android ist oder nicht, sondern demonstriert, dass es eigentlich keinen Unterschied mehr macht.

Ks Geschichte läuft ab wie eine klassische detektivische Recherche. Sie beginnt mit einem vermeintlichen Routinejob, der sich aber schnell als Fall mit einer tieferen Dimension entpuppt und in ein wahres Storylabyrinth mündet. Ehe K sich versieht, ist er einem Geheimnis auf der Spur, das die gesellschaftliche Ordnung ins Wanken bringen könnte – und ihn selbst vom Jäger zum Gejagten macht. In dieser Hinsicht ist er ein Film-Noir-Held wie Deckard, der erst spät auftaucht (ungewöhnlich konzentriert: Harrison Ford). Aber Villeneuve belässt es nicht bei solch offensichtlichen Parallelen. Sein Plot ist voller überraschender, tatsächlich funktionierender Twists, und das wahre Kunststück dabei ist, dass der Film mit seinem getragenen Rhythmus, der nur sparsam eingesetzten Action und der gedämpften Atmosphäre mindestens so ernsthaft und seriös daherkommt wie das Original, in vielerlei Hinsicht aber auch weit darüber hinausgeht. Das gilt in geografischer Hinsicht, weil der Handlungsraum sich nicht auf L.A. beschränkt, aber auch thematisch, weil Villeneuve sich mutig den großen Fragen nach Intellekt und Individualität, nach Erkenntnis und Erinnerung stellt. Ihm ist ein Arthaus-Blockbuster gelungen, wie es sie nur einmal alle 35 Jahre gibt.

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