Kritik zu River
Die Flüsse und wir: In Bildern von überwältigender Schönheit erzählt der zwischen visuellem Essay und Poem angelegte Dokumentarfilm von den
»Arterien des Planeten« und unserem Verhältnis zu ihnen
Mal stürzen sich wagemutige Kajakfahrer Wasserfälle hinab, mal wird am Ganges die Asche Verstorbener ins heilige Gewässer geworfen. Dann schwebt die Kamera über sattgrüne Wiesen, durch die ein schmaler Fluss mäandert, wenige Sekunden später schaut sie gottgleich auf ein unendlich verzweigtes Delta. Die Bilder, die Jennifer Peedom und Co-Regisseur Joseph Nizeti in aller Welt für »River« gesammelt haben oder sammeln ließen, von so brillanten Kameraleuten wie Yann Arthus-Bertrand, sind immer wieder atemberaubend.
Nach »Mountain« (2017) als zweiter Teil einer Trilogie über »Auswirkungen der Landschaft auf das menschliche Herz« angelegt, was wohl nicht medizinisch gemeint ist, entzieht sich »River« gängigen dokumentarischen Kategorien. Am ehesten lässt sich der Film als Experiment zwischen Essay und Poem beschreiben, das den Flüssen und ihrer Bedeutung für den Menschen gewidmet ist. So erinnert er mit seiner weltumspannenden Montage, der virtuosen Anwendung von Techniken wie Zeitlupe und Zeitraffer und der rauschhaften Verschmelzung von Landschaftsbildern und Musik – sie reicht von Johann Sebastian Bach bis Radiohead – an Werke wie »Koyaanisqatsi« oder auch Terrence Malicks Imax-Opus »Voyage of Time«. Und wie »Voyage of Time« fügt »River« der visuellen und der musikalischen Ebene noch eine verbale hinzu: Willem Dafoe hat einen spärlichen, dabei aber erstaunlich kontraproduktiven Erzähltext eingesprochen.
Die Narration versucht, die Bedeutung von Flüssen historisch, ökologisch und philosophisch zu betrachten, vermeidet aber einen journalistischen oder gar wissenschaftlichen Tonfall – eine pointierte und poetische Form war offensichtlich das Ziel. Ergeht sich nun bereits die Bild-Musik-Kombination phasenweise in weihevoller Schwelgerei nah am Kitsch, legt der Text noch zahllose Gemeinplätze und Weisheiten fürs Poesiealbum darüber, bei fast völliger Abwesenheit von Information.
So raunt er davon, wie Flüsse uns stets inspirieren, unseren Geist erneuern, wie unbeirrt sie ihren eigenen Willen verfolgen (»Immer nach unten!«); mehrfach will er uns überreden, wir sollten so denken wie ein Fluss . . . Derlei Geschwurbel ist umso bestürzender, als der Autor hinter jenen Zeilen immerhin Robert Macfarlane ist, einer der lesenswertesten aktuellen Vertreter des Nature Writing.
Selbst Willem Dafoes angenehm verhaltene, gelegentlich fast ironisch klingende Stimme kann da nicht verhindern, dass die Narration die Bilder beschädigt. Dabei vermitteln diese grandiosen visuellen Studien für sich genommen so mühelos wie eindrücklich das meiste von dem, woran der Text sich abmüht: Sie erzählen davon, wie sich menschliches Leben an Flüssen konzentriert, welchen Reichtum die Gewässer schenken, welche Gefahr sie aber auch darstellen können, wie kraftvoll sie sind und zugleich verletzlich. Auch die Schäden, die der Mensch mit seinen vielfältigen Eingriffen verursacht, belegen einige Szenen eindrucksvoll. Vielleicht hätte also dieses eine schöne Zitat von W. H. Auden, das »River« vorangestellt ist, als Text vollkommen ausgereicht: »Tausende haben ohne Liebe gelebt, nicht einer ohne Wasser.«
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns