Kritik zu Porträt einer jungen Frau in Flammen
Auf Festivals bereits schwärmerisch gefeiert, ist dieses irritierend schöne Kostümdrama über die Liebe zwischen einer Malerin und ihrem Modell auch eine Reflexion über die schöpferische Kraft der Kunst und die Stellung der Frau in der Gesellschaft
Zwei Frauen in Profil-Nahaufnahme, die eine verdeckt die andere: Vorsichtig dreht Marianne den Kopf, um Héloïse zu betrachten. Die jedoch starrt Marianne ganz unerwartet frontal an – und damit auch uns, das Publikum. Es ist ein Blick wie ein Stromschlag, nicht nur weil Darstellerin Adèle Haenel soviel Wut in ihre großen blauen Augen legt. Marianne wurde von Héloïses Mutter vermeintlich als Gesellschafterin für das Mädchen angeheuert, das sich gegen die Heirat mit einem Mann, den es noch nie gesehen hat, wehrt. In Wahrheit aber soll die Malerin heimlich Héloïses Porträt malen, das an eben jenen potenziellen Verlobten verschickt werden wird. Als die Mutter für einige Tage verreist, sind die beiden mit einer jungen Zofe allein im Haus.
Der neue Film von Céline Sciamma, die bereits in drei Jugenddramen ihre besondere Handschrift bewies, ist im Jahr 1770 angesiedelt. Doch der Schauplatz, eine bretonische Insel, wirkt wie ein der Zeit enthobener »huis clos«, in dem die Frauen unter sich sind. Männer verrichten lediglich Bring- und Holdienste. Zwischen einem karg möblierten Herrenhaus, Strandspaziergängen und Malen keimt eine Liebe, deren Erblühen manchem so spannend wie das sprichwörtliche Betrachten trocknender Ölfarbe vorkommen mag. Tatsächlich ist dieser Film zuvorderst eine Studie über die Kunst und ihre Entstehung, mit der Liebe als Nebeneffekt. Nicht nur, weil im Detail Mariannes Arbeit gezeigt wird; die Handlung scheint um eine Handvoll Einstellungen herumgebaut, die an Gemälde erinnern. Das Chiaroscuro der durch Kerzen und Kaminfeuer erhellten Innenräume lässt etwa an den Barockmaler Georges de la Tour denken; Sciamma selbst nennt auch den impressionistischen Maler Camille Corot als Stil-Inspiration – und im Übrigen »Titanic«. Ihren irritierenden Zauber gewinnen diese Bilder aber durch die Abwesenheit des gewohnten männlichen Blicks. Der »male gaze« wird durch den erst professionellen, dann liebenden Blick der Malerin ersetzt; statt offensiver Zurschaustellung primärer Geschlechtsmerkmale geht es hier um die Linie eines Nackens, die Zartheit der Haut, um individuelle Eigentümlichkeiten, an denen sich das Begehren entzündet.
Die sorgfältig arrangierten Filmbilder, darunter das titelgebende Gemälde, sind hinreißend. Kaum traut man sich darauf hinzuweisen, dass Adèle Haenel für die Rolle eines gerade aus der Klosterschule herausgenommenen Mädchens zu alt, ihre Haltung und Redeweise zu erwachsen und heutig sind. Bei aller Sinnlichkeit ist die Inszenierung auch recht didaktisch. Hinweise auf die beruflichen Beschränkungen, denen Malerinnen unterlagen, ein Subtext mit Abtreibung und »weisen Frauen«, eine Klassen überwindende Verschwesterung und die überdeutliche Symbolik der Orpheus-Sage lassen den Film zu lang geraten.
Dennoch: Die filmische »mise en abyme«-Konstruktion mit einer aus der Rückblende erzählten Liebe, die sich in Ölgemälden, Skizzen, Medaillons, Geistererscheinungen, in der Wechselwirkung der Blicke zwischen Frau und Frau und nicht zuletzt dem Kinopublikum widerspiegelt, ist sehr wirkungsvoll. Dass durch Mariannes liebenden Blick Héloïses’ Porträt umso anziehender wird, die Malerin sie ihrem Zukünftigen also erst recht ausliefert, ist von einer herzzerreißenden Ironie. Die aufgewühlte Stimmung in dieser Insel-Enklave, halb Auszeit von einer patriarchalisch bestimmten Welt, halb Gefängnis mit unsichtbaren Wärtern, wird unterstrichen durch die sparsam eingesetzte Musik. Neben Vivaldi ist ein polyfoner Frauenchor zu hören, komponiert von Techno-DJ Para One (Jean-Baptiste de Laubier), der bereits Sciammas Vorgängerfilmen ihre verwunschene Aura verlieh. Dieser nur wenige Minuten dauernde geisterhaft anschwellende Hexengesang bringt die Dinge ins Rollen. Als »Instant-Klassiker« wurde der Film bereits auf Festivals beschwärmt. Und es ist vielleicht Sciammas Mut zur Gratwanderung zwischen Drama und Kitsch, der ihren Film nicht nur zu einer Augenweide, sondern tatsächlich zu einer immersiven Erfahrung à la »Titanic« macht.
Kommentare
Rezension
Eine sehr treffende Beschreibung und Kritik!
maler der bilder
ich hätte gern gewusst wer die
portraits gemalt hat und gezeichnet hat.
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