Kritik zu Orphan – Das Waisenkind
Regisseur Jaume Collet-Serra (»Goal II«) hat sich gesteigert: »Orphan« ist über weite Strecken ein eleganter Psychothriller, der das Leben einer bürgerlichintellektuellen Familie dekonstruiert
Kinder im Horrorfilm sind meist die Verkörperung unterschwelliger Elternwünsche. So zumindest brachte es David Cronenberg auf den Punkt. In seinem dritten Spielfilm »The Brood« nimmt eine labile Mutter den therapeutischen Imperativ ihres Psychiaters wörtlich und gebiert »Kinder des Zorns«, die für ihre Mutter töten. Auch in Jaume Collet-Serras »Kinderfilm« »Orphan« spielt eine Therapeutin, die nichts versteht, eine Schlüsselrolle. Bei der Psychologin in Behandlung ist die trockene Alkoholikerin Kate Coleman, die, nach einer Fehlgeburt traumatisiert, ihren Job verloren hat. Doch die Schlaflosigkeit und die Alpträume, unter denen sie leidet, sind nichts gegen den Horror, den sie und ihr Mann John erleben, nachdem die Familie sich auf Kates innigen Wunsch hin zu einer Adoption entschließt, um das tote Kind zu »ersetzen«.
Nach dem uninspirierten Schocker »House of Wax« ist man zunächst überrascht, wie viel Sorgfalt Collet-Serra auf die Zeichnung seiner Figuren und des in seiner beflissenen Kulturbürgerlichkeit beinahe schon europäisch wirkenden Familienlebens verwendet. Kate und ihr Architektengatte leben in einem bauhausmäßigen Holz-Glas-Palast, der zwar großzügig, aber nicht maßlos ist. Risse in diesem Gefüge sind erkennbar, aber die Verhältnisse wirken nicht überzeichnet. So hat Kate als Musikerin eine gehörlose kleine Tochter, die sich durch ihre Taubheit offenbar gegen gewisse mütterliche Ambitionen schützt. Und wenn der etwa achtjährige Sohn Daniel demonstrativ mit Trash-Elektronik spielt, so ist dies auch ein Protest gegen die Vorlieben seiner Eltern.
Wie anders erscheint dagegen das Adoptivkind Esther: Die altkluge Neunjährige spricht artikuliert, malt hübsche Bilder und spielt Klavier. Als Repräsentantin der »alten Welt« ist die kleine Russin eine perfekte Bestätigung des elterlichen Narzissmus. Doch das traute Familienleben gerät durch das eigenwillige Mädchen nach und nach aus dem Lot. Die Eltern kommen nicht mehr zum Sex, und vom Kinderspielplatz werden rätselhafte Zwischenfälle berichtet. Als Kate ihren Mann zu überzeugen versucht, dass mit diesem Kind etwas nicht stimmt, glaubt der, seine Frau habe den Verstand verloren.
»Orphan – Das Waisenkind« ist allerdings ein Film mit zwei Gesichtern. Was als ansehnlicher, spannender Psychothriller beginnt, in dem das Heim buchstäblich unheimlich wird, endet leider als konventioneller Horror-Schocker, in dem das Monster wieder einmal nicht totzukriegen ist. Insbesondere die Auflösung um die Identität des Kindes ist enttäuschend, sozusagen brachial ödipal. Wenn die Kleine dann noch – ausgerechnet – einer schwarzen Nonne mit dem Hammer den Schädel zertrümmert, dann lotet der Film die Schmerzgrenze des Zuschauers neu aus. Neben Peter Sarsgaard, der einmal mehr einen farblosen Langweiler spielt, überzeugt Vera Farmiga (»Der Junge im gestreiften Pyjama«, »Departed«), die als Kate den ganzen Film mit ihrer ungekünstelten Vitalität trägt.
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