Kritik zu Not Fade Away
David Chase, legendärer Autor der Serie »Die Sopranos«, legt mit 68 Jahrens ein Kinoregiedebüt vor und erzählt eine autobiografisch geprägte Geschichte um einen jungen Mann in den 60er Jahren und seinen Traum vom Musikerdasein
Hast du gestern die Stones bei Dean Martin gesehen?«, fragt Eugene (Jack Huston) seinen Schulfreund Doug (John Magaro). Wir schreiben das Jahr 1964 an Amerikas Jersey-Küste, wenige Monate zuvor hat mit den Beatlesdie »British Invasion« in den USA begonnen. Für Eugene ist mit dem Auftritt Mick Jaggers eine Grenze durchbrochen worden:»Genug! Wir gründen eine Band!« Und so geschieht es. Als Zuschauer macht man sich gefasst auf die genreübliche Montagesequenz, in der weitere Bandmitglieder gefunden werden, man sich zu Übungen in Kellern trifft und es schließlich zum ersten Konzert vor Publikum kommt. Doch nichts davon wird größer auftauchen. Not Fade Away ist kein weiterer Film über die 60er Jahre und deren kollektiv geteilter Traum, als Musiker bekannt zu werden. Vielmehr geht es um das Lebensgefühl, in dem dieser Traum zum wichtigen Katalysator wurde. Zum Katalysator für alles Mögliche, für den Auszug aus dem Elternhaus, für den Ausbruch aus den Konventionen und den vorgesehenen Karrieren, für das Entdeckendes eigenen Geschmacks, nicht nur inSachen Musik, sondern weit darüber hinaus.Diesem Lebensgefühl einer Epoche spürt Autorund Regisseur David Chase nach wie einem flüchtigen Duft. Im Hintergrund sind die üblichen Marker gesetzt, das Kennedy-Attentat, die populäre »Twilight Zone«-Serie, Väter mit strengen Mienen und Mütter, die ihre Hausarbeitin Bademantel und Lockenwickler verrichten. Aber im Vordergrund geht es um die ungeheure sinnliche Wucht, die von einem Song der Beatles oder Stones ausgehen konnte.
Auch wenn Not Fade Away damit ein Film über das Anfangen ist, markiert er fürden heutigen Zuschauer zunächst ein Ende: Es ist einer der letzten Filme, die der im Juni dieses Jahres verstorbene James Gandolfini noch gedreht hat. Gandolfini spielt hier noch einmal gewissermaßen seine Standardrolle: den braven Bürger von New Jersey, Immigrant zweiter Generation, ein strenger, zwischen Aggressivität und Fürsorglichkeit schwankender Papa, der sich zu Tode arbeitet, um seine Kinder aufs College zu schicken, und es nicht fassen kann, dass die dort lange Haare tragen und ihre Zeit mit Musikspielen verplempern. Ein Papa, den sein eigener Sohn als Teenager nicht verstehen konnte, den der Erwachsene, der sich an diese Zeit erinnert, aber ganz anders sieht.
Denn diese Doppelperspektive macht das Besondere dieses Films aus: Man spürt von der ersten Minute an, dass hier jemand Autobiografischeserzählt, mithin Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen, die nicht nach Handlungsaufbaugesetzen durchstrukturiert sind. Von David Chase, der als Erfinder und Autor der »Sopranos« hoch verehrt wird, haben die meisten etwas anderes erwartet. Doch Chase, als David DeCesare in New Jersey aufgewachsen, hat sich in seinem Regiedebüt für eine offene Form entschieden, der etwas Unfertiges anhaftet in der Aneinanderreihung von Szenen eines Erwachsen werdens in den 60ern. Letztlich aber ist es genau dieses Unfertige, Unstrukturierte, das dem Zuschauer Gelegenheit gibt, sich einzulassen auf diese Hommage an die Power der Popmusik.
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